Marcus Scholz

13. September 2020

Es gab kurz Applaus, als Trainer Daniel Thioune Tim Leibold aufrief. Der Linksverteidiger trat aus dem Mannschaftskreis in die Mitte des selbigen und empfing die Ehre der Kollegen mit einer kurzen Verbeugung. Anlass des Prozederes war die Wahl zum Mannschaftskapitän. „Er hat eine gute Saison gespielt und viele Torvorlagen gegeben. Sein Wort hat Gewicht in der Mannschaft. Tim Leibold wird ein guter Kapitän sein“, begründete Thioune seine Entscheidung pro Leibold und schob auf der anschließenden Pressekonferenz noch hinterher, dass man den Linksverteidiger ein wenig in die neue Rolle schubsen müsse.

Dabei hatte Leibold selbst schon vor ein paar Wochen in einem Interview gesagt, dass er sich  das Kapitänsamt sehr gut vorstellen könne, nachdem er im Test (wie viele andere auch) einmal probeweise als Kapitän aufgeboten worden war. Aaron Hunt hingegen, bis zuletzt Mannschaftskapitän, hatte sich früh aus dem Rennen um das Kapitänsamt verabschiedet. „Aaron braucht die Binde nicht, um sich zu 100 Prozent einzubringen“, sagte Thioune heute und erklärte, dass es Hunts Wunsch gewesen sei, „einen Schritt zurück“ zu machen. „„Einige haben sich auch hinter Aaron versteckt. Wir wissen um Aarons sportliche Qualität und auch seine sonstige Qualität. Er stand jetzt nicht zur Verfügung – weder für das Amt des Kapitäns noch für den Mannschaftsrat“, so Thioune.

Leibold neuer Käpt'n - Gjasula und Leistner "Vizes"

Jetzt also Leibold, der bislang spielerisch sicher einer der absoluten Stützen war, der aber verbal auf dem Platz nicht zu den lautstarken Vertretern der Zunft zählt. „Ich habe aber bemerkt, dass sein Wort in der Kabine sehr wohl Gewicht hat und dass er einfach nur ein wenig nach vorn geschoben werden muss“, sagte Thioune. Inwieweit es eine gute Idee ist, einen Kapitän erst zu einem solchen heran zu erziehen – es bleibt abzuwarten. Wobei, um es ganz deutlich zu sagen: Auch bei der Beurteilung dieser Wahl bedarf es vielmehr Einblick als wir ihn tatsächlich haben.

Denn der Kapitän muss nicht zwingend der beste Spieler sein. Es muss auch nicht der lauteste Spieler sein, nicht der härteste und nicht der intelligenteste. Am Ende ist derjenige der beste Kapitän, der die Mannschaft mitnehmen kann, dem die Spieler folgen. Aus Sympathie ebenso wie aus sportlicher Überzeugung. Und ich traue Thioune sehr wohl zu, sich in den letzten sechs, sieben Wochen genau hierüber ein umfassendes Bild gemacht und dann die beste Entscheidung getroffen zu haben. Achja, um es nicht zu vergessen: Klaus Gjasula und Toni Leistner sind übrigens die stellvertretenden Kapitäne, während David Kinsombi und Tom Mickel zusammen mit den Kapitänen den Fünfer-Mannschaftsrat bilden.

Apropos fünf: So viele Spieler reisen nicht mit nach Dresden zur ersten Runde im DFB-Pokal (Montag, 18.30 Uhr). „Wir fahren mit 21 Spielern nach Dresden. Definitiv ausfallen werden Rick van Drongelen und Bakery Jatta. Wir werden zudem auf Jan Gyamerah und Ewerton verzichten und auch Julian Pollersbeck wird uns nicht begleiten“, verkündete Trainer Daniel Thioune heute bei der Pressekonferenz. Auch der Einsatz von Stephan Ambrosius ist weiter fraglich. „Bei Ambrosius wird sich kurzfristig entscheiden, ob er uns zur Verfügung stellt“, so Thioune, der im Vorfeld auf das Üben von Elfmetern verzichtete.

 

 

Aus Gründen, wie er heute erläuterte: „Es ist ein DFB-Pokalspiel. Es gibt nur ‚Do or Die’. Ich habe kein Elfmeterschießen trainiert. Das ist immer auch abhängig von der Stimmung im Stadion, sodass man das eh nicht gut simulieren kann.“ Elfmeterschützen habe er ebenfalls noch nicht bestimmt: „Da sind wir gut beraten, das Spiel auf uns wirken zu lassen. Wir wollen aber von der ersten Minute an Gas geben und das Spiel nach Möglichkeit nach 90 Minuten entscheiden.“

Per Bus statt Flieger - Regeneration im Vordergrund

Auch, um möglichst wenig Belastung zu haben auf dem Weg zur Zweitligaeröffnung vier Tage später hier im Hamburger Volksparkstadion gegen Fortuna Düsseldorf. „Wir wollen gewinnen, im besten Fall nach 90 Minuten weiterkommen. Weil unsere Regenerations-Zeit bis zum Spiel gegen Düsseldorf doch recht kurz ausfallen wird. Wir haben die Saison-Eröffnung am Freitag. Da sind wir gut beraten, von der ersten Minute an Gas zu geben.“ Dass man per Bus und nicht wie in den letzten Jahren immer wieder per Charterflieger anreist, sei eine rein praktisch orientierte Entscheidung gewesen. „Wir haben alle Möglichkeiten, schnell nach Dresden zu kommen, abgeschöpft“, so der Coach, der mit seiner Mannschaft die Nacht nach der Erstrundenpartie in Dresden im Hotel bleiben will, um „gut zu schlafen und zu regenerieren.  Wir versuchen, den Jungs maximale Erholung zu gewähren. Ich glaube, dass das so gegeben ist“, hofft der HSV-Trainer, der in Dresden sein Pflichtspieldebüt als HSV-Coach feiert – und sich darauf freut. „Wenn ich sagen würde, es wäre ein ganz normales Spiel für mich, würde ich der Sache nicht gerecht.“

Zum wiederholten Male die Nummer eins ist indes Daniel Heuer Fernandes, den Thioune für das Pokalspiel setzte. Allerdings auch zunächst einmal nur für das Pokalspiel. „Scholle, wer wird denn jetzt die Nummer eins für die Saison?“, wollte vorhin ein guter alter HSV-Bekannter von mir wissen – und ich konnte ihm nichts antworten, außer: „Heuer Fernandes ist vorn – aber offenbar will sich der Trainer hier noch ein Hintertürchen offenhalten für den Fall, dass noch etwas passiert.“

 

Dass noch etwas passiert, das gilt als nahezu sicher. „Wir  müssen sehen, was noch passiert“, so Thioune heute über den ansonsten noch immer vergleichsweise ruhigen Transfermarkt. Er glaube, dass sich der Markt noch einmal öffnen und noch einmal Bewegung reinkommen würde. „Da wird noch Dynamik entstehen“, so Thioune, der darauf vorbereitet sein will: „Wir müssen da im richtigen Moment richtig reagieren können.“ Ob das letztlich auch für die Position zwischen den Pfosten gilt – das wiederum hängt vor allem von Julian Pollersbeck ab. Findet der jüngst zur Nummer drei degradierte Keeper noch einen neuen Verein, kann und will der HSV offenbar noch einmal nachlagen. Was das wiederum für Heuer Fernandes und Mickel bedeuten würde – offen. Zumindest aber scheint Thioune seine Planungen im Tor noch immer nicht zu 100 Prozent abgeschlossen zu haben.

Auch was die Startelf betrifft, ist noch einiges offen. Im Abschlusstraining heute war nicht zu erkennen, wie genau Thioune morgen spielen lassen will. Ich persönlich hoffe und glaube, dass der HSV mit der Dreierkette auch in Dresden am besten fährt. Obgleich Ambrosius‘ Einsatz noch wackelig ist, hat der HSV-Trainer hier eine vernünftige Auswahl. Zuletzt gegen Hertha spielte Jung in der Mitte der Dreierkette mit Leistner und Ambrosius, den heute im Training Jonas David ersetzte. Möglich also, dass auch morgen so begonnen wird.

Thioune will überraschen und lässt vieles offen

Fakt aber ist für mich, dass einem Tim Leibold und auch einem Josha Vagnoman die Positionen außen vor der Dreierkette (defensiv rücken sie wieder ein) entgegenkommt. Während Vagnoman defensiv zuletzt solider spielte als er offensiv kreativ wurde, war es bei Leibold genau andersrum. Beide aber können (oder im Fall Vagnoman: müssen!) ihren Offensivdrang in dieser Formation besser ausleben. Zudem ist man in er Offensive im Mittelfeld schnell in Überzahl.

Wirklich gespannt bin ich zum einen auf die neuen Trikots, die morgen inklusive neuem Schriftzug ("Orthomol") Premiere feiern. Zum anderen bin ich gespannt, ob ganz vorn Hinterseer oder Terodde beginnt. Beide zusammen halte ich für schwierig, zumal sie beide eher Strafraumstürmer sind und sich gegenseitig Platz nehmen würden. Schon deshalb würde ich den Fleißarbeiter Manuel Wintzheimer als hängende Spitze mit der Tendenz zum Rechtsaußen spielen lassen, während Sonny Kittel wohl wieder auf die Linke Außenbahn ausweichen muss und Aaron Hunt dafür auf die Zehn vor Jeremy Dudziak und Abräumer Gjasula rutscht.

Mit anderen Worten: Der HSV hat das Potenzial, den Gegner zu überraschen, da nicht einmal wir als tägliche Beobachter wirklich wissen, wie der neue Trainer spielen lassen will. Sehr zur Freude übrigens von Thioune, der heute noch einmal betonte, die kommenden Gegner immer wieder überraschen zu wollen.

Unsere Livecouch ist wieder da!

 

 

Weniger überraschend, dafür umso erfreulicher ist, dass wir morgen Abend natürlich auch wieder dabei sein  werden mit unserer immer beliebter werdenden „Live-Couch“. Ab 18 Uhr habt Ihr die Möglichkeit, via Rautenperle-Youtube-Channel oder auch via Twitch mit uns zusammen den Pflichtspielauftakt zu verfolgen. Wir freuen uns jedenfalls auf Euch! In diesem Sinne: bis morgen! Da melde ich mich natürlich auch um 7.30 Uhr wieder mit dem MorningCall bei Euch. Habt einen schönen Rest-Sonntag bis dahin!

Scholle

 

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