Tobias Escher

22. Dezember 2020

Ein letztes Mal musste der HSV in diesem seltsamen Corona-Jahr zu einem Pflichtspiel antreten. Gegner Karlsruher SC entpuppte sich als typische Zweitliga-Mannschaft: Mit zwei Viererketten, ein bisschen Pressing und schnellen Kontern wollten die Badener den Favoriten aus dem Norden ärgern. Das wurde aber nichts. Bedanken bedarf sich der HSV bei einem starken linken Flügel, einer stabilen Defensive sowie bei Torgarant Simon Terodde.

Trainer Daniel Thioune blieb sich auch im 13. Zweitliga-Spiel dieser Saison treu. Abermals wechselte er taktische Formation und Personal, um seine Mannschaft an den Gegner anzupassen. Die Dreierkette, die beim 4:0 gegen Sandhausen zum Einsatz kam, wurde abgelöst von einer Viererkette. Der HSV agierte in einer Mischung aus 4-3-3 und 4-2-3-1. Bei gegnerischem Ballbesitz bewegte sich Jeremy Dudziak auf eine Höhe mit Stürmer Simon Terodde, um Druck auszuüben. Bei eigenem Ballbesitz ließ er sich zurückfallen.

Die linke Seite als Schokoladenseite

Neues Personal gab es auf der linken Seite zu bestaunen: Jan Gyamerah rutschte kurzfristig auf die Linksverteidiger-Position, nachdem Stammspieler Tim Leibold verletzt ausfiel. Zusammen mit Bakary Jatta bildete er ein neues Duo auf diesem Flügel. Ihr Zusammenspiel entpuppte sich schnell als große Stärke an diesem Abend: Gegen das wenig spektakuläre 4-2-3-1-System der Karlsruher brachen die Hamburger immer wieder über die linke Seite durch.

Gyamerah wagte sich als Linksverteidiger immer wieder in Eins-gegen-Eins-Situationen. Er zog dabei häufig an seinem Gegenspieler vorbei nach innen. Damit gelang es ihm nicht nur, Karlsruhes Außenstürmer nach innen zu locken, auch der gegnerische Außenverteidiger bewegte sich häufig ins Zentrum. Jatta bekam in der Folge Freiräume auf dem Flügel und konnte Tempo aufnehmen für seine Dribblings. Die frühe Führung durch Jatta (3.) blieb nicht die einzige Chance, die der HSV über diese Seite einleitete. Jatta schaffte es recht häufig, von der linken Seite in den Strafraum zu passen. Leider ließen die Angreifer im gegnerischen Sechzehner etwas die Zielstrebigkeit vermissen, es gab zu viel Klein-Klein gegen die vielfüßige Defensive der Karlsruher.

Taktische Aufstellung KSC - HSV
Taktische Aufstellung KSC - HSV

 

Gyamerahs Rolle stach nicht nur offensiv heraus. Tatsächlich hielt er sich hier sogar stark zurück. Nach seinen kurzen Dribblings rückte er selten mit auf, was angesichts von Jattas Tempo und Dudziaks unterstützenden Läufen auch nicht nötig war. Vielmehr sicherte Gyamerah defensiv ab. Teilweise agierte der HSV fast schon mit einer Dreierkette. Das half bei der Konterabsicherung; grundsätzlich stand der HSV in dieser Saison mit einer Dreierkette in der letzten Linie immer stabiler als mit einer Viererkette. Über Gyamerahs Seite ließ der HSV kaum Konter zu.

Das galt leider nur für die linke Seite. Während der HSV Konter über diesen Flügel unterband, konnte Karlsruhe auf Hamburgs rechter Seite immer wieder durchbrechen. Josha Vagnoman agierte ungleich höher, sodass auf dieser Seite die Absicherung nicht gegeben war. Die übrigen drei Verteidiger bildeten keine „echte Dreierkette“, sondern waren nur die Überbleibsel einer Viererkette. Somit standen sie leicht verschoben nach links und konnten auf der rechten Seite nicht sofort Zugriff erlangen. Karlsruhe leitete über diese Seite nicht nur den Ausgleich ein (14.), sondern hatte auch noch zwei bis drei weitere gute Kontergelegenheiten.

Der Rasen als Endgegner

Dass ein flottes Spiel mit Chancen auf beiden Seiten entstand, war nicht rein der starken linken Seite beider Teams geschuldet. Der größte Gegner für den HSV war am Montagabend nicht der KSC, sondern der Rasen. Auf dem seifigen wie durchlöcherten Untergrund bekam der HSV nie die gewohnte Genauigkeit in das Aufbauspiel. Viele Versuche, das Spiel vertikal zu eröffnen, scheiterten am Rasen. Auf den Flügeln kam der HSV noch am ehesten zu Raumgewinn.

Nach der Pause gelang es dem HSV, die eigene rechte Seite besser zu sichern. Der Gegner wurde nun im Pressing stark nach links gedrängt; auf jene Seite also, auf der die Hamburger kompakter standen. Da der KSC ebenfalls die Flügel stärker absicherte, gab es weniger Torgelegenheiten nach der Pause.

Grundsätzlich blieb der HSV aber das gefährlichere Team. David Kinsombi und Dudziak sorgten zwar für wenig Präsenz im Zentrum, unterstützten aber immer wieder die Flügelakteure. So gelang es dem HSV in unregelmäßigen Abständen, die Außenstürmer von ihren Gegenspielern zu befreien. Sie wussten: Eine gute Flanke auf Terodde und sie konnten das Spiel drehen. Das Kalkül ging auf, als Terodde in der 82. Minute eine Hereingabe des eingewechselten Sonny Kittels ins Tor bugsierte.

Karlsruhe versuchte noch einmal, mit einer Umstellung auf ein offensives 4-1-3-2-System Torgefahr zu entfachen. Thioune konterte cool: Er wechselte defensiv starke Spielertypen wie Gideon Jung ein und wies seine Mannschaft an, Ball und Gegner laufen zu lassen. Mit einem kompakten 4-4-1-1-System und 60% Ballbesitz in der Schlussviertelstunde schaukelte der HSV das knappe Ergebnis nach Hause.

Der Abschied

Der Erkenntnisgewinn der Partie dürfte eher klein sein. Dass der HSV auf der linken Seite besser besetzt ist als auf der rechten, gehört seit mindestens drei Jahren zur Binsenweisheit des Vereins. Dass die Konterabsicherung mit einer Viererkette schlechter funktioniert als mit einer Dreierkette, zeigte sich bereits in den vergangenen Wochen. Und dass jeder Gegner in der zweiten Liga mit einem kampfbetonten 4-2-3-1-Pressing dem HSV das Leben schwer machen kann, mussten HSV-Fans seit dem Abstieg mehrfach schmerzhaft erfahren.

Somit kann ich in meiner letzten Analyse für die Rautenperle nicht mit den allergrößten Erkenntnissen dienen. Ob dem HSV in dieser Saison der langersehnte Aufstieg gelingt, steht weiterhin in den Sternen; dominant war die Leistung gegen den KSC schließlich nicht. Ich kann nur mein Bedauern ausdrücken, dass die Rautenperle den Weg des HSV nicht länger verfolgen wird. Das tut mir im Herzen weh. Ganz besonders Spaß gemacht hat mir die Auswärtscoach, auf der ich auch einige Male Platz nehmen durfte. Ich wünsche den Kollegen alles Gute für die weitere Zukunft und bedanke mich für die unkomplizierte Zusammenarbeit. Auch in meiner Heimat, dem Osten Hamburgs, sagt man Tschüss!

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