Marcus Scholz

1. November 2017

Ich werde nie Trainer, da bin ich mir ziemlich sicher. Zumindest werde ich nie im Erwachsenenbereich trainieren, weil mir dafür einfach die Geduld fehlt. Selbst, wenn ich versuche, das Positive zu sehen, fallen bei mir in der Nachbetrachtung die negativen Dinge deutlich schwerer ins Gewicht. Das habe ich im Amateurbereich für mich längst erkannt – und im Profibereich noch deutlicher. Ich bin einfach nicht der Typ, der Unzulänglichkeiten auf dem Platz lange ertragen kann. Mich nervt Stargehabe. Ich ertrage es nicht, wenn ein Anfangzwanzigjähriger sein Leibchen nicht in die dafür vorgesehen Tüte wirft, sondern einfach auf den Boden fallen lässt, damit es Betreuer XY aufhebt und wegpackt. Nein, ich stelle mich bei Spielen meiner Niendorfer auch immer weit abseits der Zuschauer. Meist sogar so, dass mich die Spieler auf dem Platz auch nicht hören können, weil ich mich nicht gut zurückhalten kann, wenn ich mich ärgere. Würden sie alles hören, ich würde meine Spieler so wahrscheinlich sehr schnell gegen mich aufgebracht haben. Das ist keine große Selbsterkenntnis, aber eben Fakt. Denn selbst wenn ich wie gestern versuche, mal positive Ansätze im HSV-Training hervorzuheben, so dominieren bei mir letztlich irgendwie doch die negativen Eindrücke und ich frage mich, weshalb der HSV-Trainer – in diesem Fall Markus Gisdol – eben nicht deutlich härter durchgreift.

Auch heute wieder. Ich weiß nicht genau, ob das die Qualität eines Profitrainers ausmacht – aber eine große Portion Gelassenheit ist Trainer Markus Gisdol nicht abzusprechen. Links und rechts sowie hinter mir hörte ich immer wieder lautes Stöhnen. Ich selbst konnte zwischendurch nicht anders. Aber der Trainer blieb ruhig. Und da seine Assistenten ebenfalls selten bis nicht eingriffen, schien es so okay zu sein. Und das ist schwer anders zu erklären, als mit einer Portion Resignation. Es sei denn, Markus Gisdol schätzt das abrufbare Potenzial seiner Spieler schlichtweg besser ein als ich und es ist nicht mehr vorhanden, als das, was gezeigt wird. Aber sollte das so sein, wäre es fatal.

Wobei, um hier fair zu bleiben: Da ich nicht 90 Minuten lang das Training filme, sondern partiell, fehlen einige auch recht gute Szenen. Andre Hahn beispielsweise hatte einige Abschlüsse bei der Flankenübung, die richtig stark waren. Aber es gab eben auch die, die im Video zu sehen sind. Und da kann ich komplett ohne Häme sagen, dass so eine Übung bei uns in der Oberliga im Training unterbrochen worden wäre. Schlechte Flanken, falsche Laufwege, schwache Abschlüsse – und das alles in aller Regelmäßigkeit. Und trotzdem fehlten die Ansagen von außen. Keine Unterbrechungen, um den Jungs zu zeugen, dass das so nicht geht. Zumindest mir fehlten sie heute – mal wieder.

„Du spielst, wie Du trainierst“ heißt es – und beim HSV stimmte eben dieses Sprichwort in den letzten Jahren oftmals nicht. Da wurde gut trainiert – und schlecht gespielt. Deshalb ist auch hier im Blog so ein Verdruss da, wenn wir über die einzelnen Einheiten sprechen. Dass sich der HSV-Profi an sich dabei ja auch „nur“ mit einem anderen HSV-Profi messen muss, mag ein Argument sein, weshalb manches im Training besser rüberkommt, als es sich letztlich auf dem Platz darstellt. Letztlich aber, und deshalb sehe ich mich in meinem kritischen Ansatz hier bestätigt, geht es (zwar auch, aber) weniger darum, das zu verbessern, was man schon kann, wenn auf der anderen Seite so viele Mängel bestehen. Deshalb komme ich auch immer wieder – egal wie anstrengend diese andauernden Wiederholungen für viele hier auch sein mögen – auf das Thema Sondertraining und vor allem Spezialtrainer zu sprechen.

Zumal Sondertraining nicht immer auch körperlich ermüdend sein muss. Oftmals sind es taktische Dinge oder kleine spielerische Feinheiten, die aus einem Talent einen richtig guten Spieler machen können. Und genau deshalb wundere ich mich bis heute, weshalb sich Gisdol so sehr dagegen wehrt. Dass er dabei auf unzählige statistische und medizinische Werte bauen kann und diese in der Argumentation für seine Form der Belastungssteuerung schlüssig vorlegen kann, da bin ich mir absolut sicher. Aber Sportphysiologie hin oder her – ich befürchte, hier verwissenschaftlicht man sich selbst den maximalen Erfolg.

Ich weiß von Spielern, dass sie sehr wohl mehr machen wollten und auch mehr gemacht haben, als der jeweilige Trainer letztlich wusste. David Jarolim hat sich einen Privattrainer zugelegt, mit dem er regelmäßig Kraft, Ausdauer und Koordination trainiert hat. Heung-Min Son hat es gemacht, obwohl er mehrfach von seinen Trainern ermahnt wurde, nicht zu übertreiben. Der Südkoreaner, der heute in Tottenham eine großartige Karriere hinlegt, hat privat aber auch direkt beim HSV nach jedem Training für sich trainiert. Er hat sich Bälle hingelegt, hat sie über außen im Vollsprint nach vorn getrieben, zog plötzlich in die Mitte und schlenzte den Ball ins lange Eck. Oftmals ganz allein, ohne einen Kollegen auf dem Platz. Aber eben so, wie er dann auch – für Trainingszuschauer wenig überraschend - beim HSV viele seiner Tore in der Bundesliga aus dem Spiel heraus erzielte. Hakan Calhanoglu legte sich nach jedem Training Bälle für Freistöße zurecht und fragte die Torhüter, ob nicht einer draußen bleiben wolle. Und dann zirkelte er sie über die aufgestellte Plastikmännchen ins Tor. Bis zum Erbrechen – aber mit großem Erfolg auch in der Bundesliga. Und das sind nur wenige Beispiele von vielen, wo Extratraining direkt leistungssteigernd funktioniert hat.

Dass sich der eine oder andere Trainer in seiner Kompetenz angegriffen fühlt, wenn zusätzlich trainiert wird, ist sicher menschlich. Aber letztlich ist es hier wie bei allen anderen Dingen im Verein auch: Das Wohl des HSV geht über das eigene Ego. Insofern ruft bitte endlich einen Ricardo Moniz oder einen vergleichbar guten Individualtrainer an und gebt ihm die Jattas, Ambrosius, Janjicics, Itos, Arps und Co. als seine ganz persönlichen Projekte an die Hand. Denn ohne mich hier auf ihn festzulegen – aber bei Moniz weiß ich, dass er den ganzen Tag mit den Jungs arbeiten würde. Bis sie funktionieren.

So aber hat sich Gisdol eine große Chance selbst genommen. Am Sonnabend gegen Stuttgart wird der HSV-Trainer trotz der Rückendeckung aus dem Vorstand unter besonderer Beobachtung stehen. Und er zieht seine letzten Trümpfe. Mit Arp und Ito bringt er Youngsters und hofft darauf, dass sie DER belebende Faktor sind, der dem HSV zuletzt fehlte. Angesichts der letzten Leistungen ist das auch völlig okay. Aber für den Fall, dass das letztlich nicht wie erwünscht (und notwendig ist) funktioniert, hat Gisdol gefühlt fertig. Dann glüht das Feuer nur noch und es dürfte fast unmöglich werden, noch mal loderndes Feuer zu zünden - weil er nicht mehr nachlegen kann. Dann sind auch die letzten Hoffnungen verbrannt und es passiert, was hier in Hamburg schon Usus ist – der Trainer wird gewechselt...

Dennoch, so sehr das auch von vielen gefordert wird, ich sehe darin nicht die Lösung. Wie in den vorigen Blogs beschrieben gibt es unzählige wichtige Baustellen abzuarbeiten, die auch einen richtig guten Trainer in Hamburg nicht funktionieren lassen. Vollkommen unabhängig davon, ob dieser am Ende Jol, Doll, Stevens, Tuchel, Gisdol, Heynckes, Pep Guardiola oder sogar Ernst Happel heißt. Thomas von Heesen hat es in einem Video meiner Mopo-Kollegen trefflich formuliert: So mutig der Weg über die Jungen jetzt auch ist und so richtig es ist, eine härtere Gangart gegenüber der Mannschaft zu wählen – das hätte schon von Beginn an so sein müssen.

Nein, ich hoffe tatsächlich, dass Gisdol, den ich für einen sehr integren, intelligenten Trainer halte, am Ende nicht bereut, hier nicht alles probiert zu haben. Wobei mit dem VfB Stuttgart wahrlich keine Übermannschaft nach Hamburg kommt. Vielmehr ist es eine sehr diszipliniert verteidigende Mannschaft, die einen guten Lauf hat und selbstbewusst auftreten wird. Aber es ist auch eine Mannschaft, die man schlagen kann. Wenn alles passt, womit ich noch mal kurz die Diskussion um Arp und Ito anstoßen möchte. Denn so klar wie hier für einen Startelf-Einsatz der beiden votiert wird, bin ich mir nicht. Ich würde tatsächlich mit Ito beginnen, weil der einfach auch im Training schon besser ist, als die anderen. Und wenn Arp, der heute aus schulischen Gründen ebenso wie van Drongelen und Salihovic (trainierten individuell) nicht mittrainieren konnte, im Training erkennbar besser ist als Hahn oder Wood – dann MUSS er beginnen. Denn das Leistungsprinzip ist und bleibt alternativlos.

Ansonsten bricht man sicherlich längst nicht Arps Erwartungshaltung, wenn man ihm klarmacht, dass er mit seinen 17 Jahren gegen Stuttgart als Joker dringend gebraucht wird. Wenn er dann unter dem Applaus und vor eben jenen 57000 Zuschauern gefordert und eingewechselt wird, wird er eh einen Adrenalinstoß haben, der ihn noch Tage danach glücklich machen wird.

In diesem Sinne, bis morgen!

Scholle

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