Marcus Scholz

5. August 2020

Wettertechnisch hätte es der HSV kaum besser treffen können. Das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit strahlend blauer Himmel, dazu 28 Grad und eine nahezu perfekt dosierte Dosis kühlender Windstöße. „Sowas nennt ihr also Schietwetter?“, lachte HSV-Trainer Daniel Thioune nach seiner ersten knapp zweistündigen Trainingseinheit mit dem HSV auf dem ebenfalls perfekt präparierten Rasen neben dem Volksparkstadion. Dem neuen Coach hat bislang gefallen, was er bei seinem neuen Arbeitgeber vorgefunden hat. Es würde ihn nicht überraschen, sagte er uns heute, aber eben doch sehr freuen. Bei Thioune sind es auch die kleinen Dinge, die große Freude bereiten können. Und genau so vorsichtig-bescheiden äußerte sich der neue HSV-Trainer auch heute, als er auf die Ziele mit dem HSV angesprochen wurde.

Schon der erste Besuch der Kabine heute Nachmittag habe ihm gefehlt, so Thioune, der immer wieder betont, dass er noch mehr Fußballer als Trainer ist. Der Geruch der Kabine, die Aussicht auf Fußball auf dem Platz – wenn Thioune darüber spricht, könnte man tatsächlich meinen, er sei Spieler, nicht Trainer, was sich allerdings schlagartig ändert, wenn man Thioune auf dem Platz beobachtet. Dort war er verbal sehr präsent. Mit einer ähnlich tiefen Stimmlage wie Dieter Hecking, nur noch etwas lauter, war der neue HSV-Trainer wirklich für alle zu hören. Auch für uns am Rand war immer zu verstehen, was Thioune gerade einforderte.

Thioune: „Wir müssen uns der Liga anpassen“

Ähnlich klar war, ist und bleibt Thioune auch bei seinen Zielen mit dem HSV. Er spricht von einem längeren Prozess, seine Spielidee der Mannschaft aufzusetzen. Es gínge ihm erst einmal um defensive Stabilität – was seine Vorgänger eher selten so formuliert hatten. Zuletzt haben immer alle betont, dass man als HSV das Spiel machen müsse. Anders Thioune: „Warum soll es uns anders ergehen als den anderen 17 Zweitligisten? Das meinte ich, als ich sagte, dass wir uns vielleicht auch ein wenig der Liga anpassen müssen. Denn  dazu gehört auch, aus einer stabilen Defensive heraus zu spielen und dann Ideen nach vorn haben.“

Auch deshalb würde man defensiv noch zwei Innenverteidiger suchen. Mit Klaus Gjasula hat der HSV einen erfahrenen Spieler, den Thioune hier als wichtigen Faktor erachtet: „Wer seinen weg sieht, der sieht, dass er Ellenbogen auspackt und sich nie hat aufhalten lassen. Er hat seinen Weg von ganz unten nach oben gefunden und sich nicht aufhalten lassen. Das ist bei uns willkommen. Wir brauchen auch einen mehr, der eher weniger Indianer und mehr Häuptling ist. Das kann er, das hat er in den letzten Jahren gezeigt. Er hat auch oft die Binde um den Arm gehabt, weil er einfach eine Führungspersönlichkeit ist. Das merkt man, Er füllt den Raum, er kann schon vorangehen. Jetzt werden wir ihm helfen, diese Rolle hier zu finden. Wobei letztlich auch klar ist, dass sich sportliche Führung immer auch immer über die Leistung auf dem Platz definiert.“

 

Auch Jonas Boldt scheint mit der Verpflichtung Gjasulas sehr zufrieden. Zumal man mit dem Albaner eine Lücke schließen konnte, die Boldt und Co. in der abschließenden Saisonanalyse als einen der wesentlichen Faktoren ausgemacht hatte, woran man letztlich gescheitert sei: „Gjasula ist auch die Lehre, die wir aus der vergangenen Saison gezogen haben, wo wir viel Fokus auf Fußball spielen gelegt haben, was uns weitgehend ja auch gelungen ist. Wo wir aber in schwierigen Phasen eben auch gemerkt haben, dass uns die Elemente defensive Robustheit, Abgeklärtheit und Kopfballhoheit gefehlt haben. Er weiß schon, was er will“, sagt Boldt über den 30 Jahre alten Zugang vom SC Paderborn und betont  zugleich, dass der Albaner „über den zweiten Bildungsweg“ käme und noch nicht über zu viele Erst- und Zweitligaspiele verfüge. „Er hat uns in den Gesprächen gezeigt, dass er unseren Weg mitgehen will, dass er noch Ziele hat. Auch bei ihm steht der Begriff ‚Entwicklung‘ weit oben.“

Die „Entwicklung“ steht an oberster Stelle

Womit wir bei DEM Leitbegriff sind, der heute wie schon in den letzten Wochen immer wieder fiel. Die Verantwortlichen des HSV versuchen sich wohltuend in einer Form der Bescheidenheit, die nichts ausschließt – aber eben auch nicht so großspurig rüberkommt, wie so oft in den letzten Jahren. „Ich schaue nicht zurück, mich interessiert die Vergangenheit nicht“, so Thioune, der diese Aussage auf Negativerlebnisse ebenso wie auf die einstigen Erfolge bezog. Es solle jetzt nicht nur  eine neue Saison beginnen – sondern zugleich ein ganz neues Kapitel aufgeschlagen werden. Anstatt offensive Ansagen wie seine Vorgänger, versuchte sich Thioune ebenso wie Sportvorstand Jonas Boldt darin, zunächst einmal kleine Brötchen zu backen. Aufstieg? „Wenn sie die Treppen zum Stadion hoch meinen – dann spreche ich über Aufstieg“, so Thioune mäßig witzig, aber klar: Ohne das Thema Aufstieg kategorisch abzulehnen, versucht der 45-Jährige,  dem HSV nicht schon vor Saisonbeginn einen schweren Rucksack aufzuladen. Genauso wie Boldt.

Der hatte die Mannschaft um 14 Uhr zum Saisonauftakt-Sitzung geladen und dabei das neue Trainerteam vorgestellt – und ein paar Worte zur neuen Saison verloren. Boldt: „Ich habe alle willkommen geheißen. Das Leitmotiv Ich habe gesagt, dass sich bei uns im Verein in den letzten 12 Monaten schon etwas verändert hat, was uns sportlich leider noch nicht so gelungen ist. Aber darauf wollen wir aufbauen. Deshalb ist ‚Entwicklung‘ für uns das Schlagwort, das wir in den Vordergrund stellen werden und worauf wir im Verein weiter aufbauen werden.“ Auch der Sportvorstand wird derzeit nicht müde, zu betonen, dass es eben keinen Sinn mache, das Maximalziel auszurufen, bevor überhaupt klar ist, wie sich die Konkurrenz aufgestellt hat und wie man letztlich selbst aufgestellt ist.

Boldt mahnt zu Geduld - und lobt Zugang Onana

Und die sieht Boldt breiter aufgestellt. Wenngleich er noch viele Fragezeichen erkannt haben will. „Die Transferphase ist diesmal komplett anders, weil sie keiner so recht einordnen kann. Die großen Transfers sind noch nicht gemacht, es gibt viele Leihen und ablösefreie Geschichten. Noch kann keiner den Markt so recht einschätzen“, so Boldt, der zuletzt auch betont hatte, dass man seine Transferphase bis zum 5. Oktober wohl ausreizen müsse: „ Wir haben das im Blick und keine Eile. Entscheidend ist, dass wir am Ende die Spieler bekommen, die wir haben wollen.“

Weniger bescheiden äußerte sich Boldt bezüglich der Neuzugänge Amadou Onana, der heute ebenso wie Gjasula seine Premiere auf dem HSV-Trainingsplatz feierte. „Onana haben wir schon rechtzeitig zu Beginn des Kalenderjahres verpflichten können. Ich habe es ja auch schon gesagt, dass uns da ein Coup gelungen mit einem jungen Spieler, der für sein Alter schon sehr selbstbewusst ist, groß gewachsen ist, viel Dynamik und eine gute Technik mitbringt. Er braucht auch ein wenig Zeit wie jeder neue Spieler, wie jeder junge Spieler. Aber ich bin positiv gestimmt, dass er sich schnell einfinden und einbringen wird.“

 

Nicht dabei war heute übrigens David Bates, der nach seiner Leihe nach Schottland wieder beim HSV unter Vertrag steht. Boldt:  „Wir haben ihm gesagt, dass es für ihn hier schwierig wird. Bei ihm hat sich kurzfristig ein interessierter Verein gefunden und wir haben ihn für Gespräche freigestellt.“ Ob es um eine Leihe geht ließ Boldt zwar offen, aber nach meinen Informationen geht es genau darum.

Die neue Maxime: Aus alten Fehlern lernen

Worum es für den HSV in der neuen Saison gehen wird, wollten wir dann noch von Boldt wissen. „Ambitioniert sind wir, am Ehrgeiz scheitert es sicher nicht“, so der Sportvorstand, der ankündigte: „Wir werden uns mit der Mannschaft zusammensetzen und schauen, welche Ziele man formulieren kann. Aber wir brauchen nicht drum rumreden, dass wir ein guter Zweitligist sind, der aus den Fehlern der Vergangenheit lernen will.“ Und dazu gehört auch, nicht von Beginn an zu große Töne zu spucken, sondern sich selbst einmal ebenso ambitioniert wie dem Rest der Liga respektvoll gegenüber zu äußern. Denn genau das fehlte dem HSV nicht nur in der Außendarstellung, sondern auch in der internen Kommunikation. Boldt abschließend:  „Wir sind nicht an Bielefeld oder anderen Vereinen gescheitert, sondern an uns selbst. Darauf müssen wir uns konzentrieren -  auf die eigene Entwicklung.“

In diesem Sinne, morgen melde ich mich an dieser Stelle wieder um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch, ehe ich Euch am Abend mit Janik und Lars wieder eine neue „Tier-List“ erstellen werde. Diesmal geht es um die HSV-Trikots der letzten 20 Jahre.

Bis dahin! Scholle

 

P.S.: Das erste Tor der neuen Vorbereitung erzielte übrigens Bobby Wood, dessen Team mit 2:0 gewann. Torschütze des zweiten Treffers: Ebenfalls Wood... 

 

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