Tobias Escher

31. Oktober 2020

Revanche missglückt! Erneut gelang es dem Hamburger SV nicht, den Stadtrivalen FC St. Pauli zu bezwingen. Das 2:2 bot dennoch viele positive Erkenntnisse aus Hamburger Sicht – auch wenn der HSV gerade defensiv nicht so stark war wie in den Partien zuvor.

HSV-Coach Daniel Thioune veränderte seine Startaufstellung – und blieb sich gleichzeitig treu. Der HSV begann erneut in einer 3-4-3-Formation, wobei die Positionen etwas anders besetzt waren als gegen die Würzburger Kickers. Moritz Heyer begann nicht auf der Sechs, sondern in der Innenverteidigung. Die vakante Position im zentralen Mittelfeld übernahm Amadou Onana.

Interessant war vor allem die Besetzung der Flügelpositionen: Josha Vagnoman begann als Rechtsverteidiger vor der Dreierkette. Dadurch konnte Khaled Narey eine Reihe weiter nach vorne rücken. Manuel Wintzheimer wechselte von der rechten auf die linke Seite, agierte aber gewohnt zentral. Das Hamburger Spiel hatte somit eine Unwucht: Auf der rechten Seite agierten mit Vagnoman und Narey gleich zwei Flügelspieler. Auf links besetzte maximal Tim Leibold die Breite.

HSV spielstark gegen St. Paulianer Manndeckung

Diese Ungleichmäßigkeit im Hamburger Spiel dürfte wohl mit dem Gegner zu tun gehabt haben. Nur mit Schmerzen dürften sich die HSV-Anhänger an die Derbys der vergangenen Saison erinnern. Damals agierten die Braun-Weißen äußerst mannorientiert; jeder Verteidiger deckte genau einen Gegenspieler. Das war Gift für den Hamburger SV unter Dieter Hecking: Da die Spieler recht starr ihre Positionen hielten, konnten die Paulianer den HSV einfach „aus dem Spiel decken“.

In dieser Saison mögen die Paulianer unter ihrem neuen Trainer Timo Schultz nicht mehr ganz so mannorientiert agieren. Die enge Deckung des Gegners bleibt aber weiterhin ein Stilmittel. Gerade im Mittelfeld orientieren sich die Spieler eher am Mann als am Raum. So stellte sich St. Pauli in einem 3-4-3-System auf, das exakt die Aufstellung des HSV spiegelte.

Kreative Lösungen waren gefragt – und kreative Lösungen fand der HSV. Besonders auf der rechten Seite sprengte der HSV die Mannorientierung des Gegners. Der Antreiber des Hamburger Offensivspiels war dabei nicht etwa Vagnoman oder Narey. Der rechte Innenverteidiger Jan Gyamerah war der wohl auffälligste Hamburger Akteur. Immer wieder stieß er auf der rechten Seite mit nach vorne. Manchmal füllte er zusammen mit Heyer das Mittelfeld auf. In anderen Situationen lief er die Außenlinie entlang, um Gegenspieler auf sich zu ziehen und damit Vagnoman zu befreien.

Gyamerahs herausragende Rolle zeigte sich nicht nur beim Hamburger Führungstreffer; diesen leitete er mit einem Pass auf Vagnoman ein (12.). Gyamerah spielte bis zur Pause nach Heyer die zweitmeisten Pässe und – Überraschung! – dribbelte mehr Gegenspieler aus als jeder andere HSV-Akteur in dieser Partie.

Defensiv mit Anfälligkeiten

Gerade in den ersten 20 Minuten überzeugte der HSV mit einer äußerst beweglichen und unberechenbaren Offensive. Die Sankt-Paulianer liefen im wahrsten Sinne des Wortes hinterher. Der HSV hätte sogar höher führen können bei etwas genaueren Hereingaben – Stichwort: Narey und die Flanken ins Nirgendo. Der frühere Fürther schlug mit neun Flanken mehr als jeder andere Spieler auf dem Rasen. Nur eine einzige kam bei einem Mitspieler an.

Die Schwächen im Hamburger Spiel fanden sich eher in der Defensive. Erneut versuchte das Team von Thioune, mit einem mannorientierten Pressing den Gegner im Mittelfeld zuzustellen. Besonders Aaron Hunt rückte immer wieder nach vorne, um seinen Gegenspieler zu verfolgen. St. Pauli nutzte das, um Hamburgs Mittelfeld herauszuziehen. Im Anschluss schlugen sie den Ball auf die vorgerückten Außenverteidiger.

Viele dieser Szenen bekam der HSV gut verteidigt. Die Dreierkette überzeugte mit Antizipation und einem guten Zweikampfverhalten. Problematisch wurde es hauptsächlich dann, wenn die Hamburger eine Hereingabe in den Raum vor der Dreierkette klärten. Hier machte sich negativ bemerkbar, dass Onana und Hunt nur selten auf einer Höhe agierten. St. Pauli gewann zu viele dieser zweiten Bälle. Es half nicht, dass sich Manuel Wintzheimer im Verlaufe der ersten Halbzeit häufiger ins Mittelfeld fallen ließ. St. Pauli glich kurz vor der Pause nach einem gewonnenen zweiten Ball aus (35.).

Veränderte Dynamik nach der Pause  

In der ersten Halbzeit glich das Spiel einem offenen Schlagabtausch. Beide Teams nutzten die eigenen Mannorientierungen, um den Gegner weit in dessen Hälfte zu stören. Nach der Pause veränderte sich die Dynamik der Partie. St. Pauli war nicht länger gewillt, den HSV früh zu stören. Rodrigo Zalazar stockte als dritter Spieler das Mittelfeld auf. St. Pauli verteidigte nun einem 5-3-2-System. Sie agierten dabei wesentlich raumorientierter als vor der Pause und standen mindestens zehn Meter tiefer mit ihrer Abwehrkette.

Der HSV stand nun vor einer neuen Aufgabe. Vor der Pause waren die Ballbesitzphasen ausgeglichen. In der zweiten Halbzeit sammelte der HSV fast 65% Ballbesitz. Die Versuche, über den vorstoßenden Gyamerah Räume zu öffnen, scheiterte nun: St. Pauli verschob diszipliniert auf diese Seite und ließ sich nicht aus der Reserve locken.

Thioune versuchte, über Wechsel das Spiel seiner Mannschaft zu beeinflussen. Zunächst brachte er für das zentrale wie offensive Mittelfeld spielstärkere Akteure. David Kinsombi, Sonny Kittel und Jeremy Dudziak (70., für Hunt, Wintzheimer und Narey) sollten versuchen, einer Überzahl zu kreieren gegen das Dreier-Mittelfeld der Gäste; häufig ordneten sie sich in einer Raute an.

St. Paulis Coach Schultz reagierte jedoch prompt. Er stellte seine Mannschaft auf ein 4-4-1-1-System um. Da die Außenstürmer weit mit nach hinten arbeiteten, verteidigte St. Pauli manches Mal gar in einer defensiven 6-3-1-Formation. Gerade auf den Flügeln begann St. Pauli wieder vermehrt Mann-gegen-Mann zu agieren.

Mit der Einwechslung von Bobby Wood (78., für Vagnoman) löste auch Thioune die Dreierkette seiner Mannschaft auf. Der HSV agierte nun ebenfalls in einem 4-4-1-1 mit Wood als Zehner hinter Stürmer Simon Terodde. Beide Teams agierten nun also wieder mit derselben Formation. Somit kehrte das Spiel zurück zur Dynamik der ersten Halbzeit: Beide Teams agierten enorm mannorientiert, suchten viele Eins-gegen-Eins-Duelle.

Da der HSV das Mittelfeld weit nach vorne warf, bekam die Abwehr erneut Probleme, den Raum vor der eigenen Viererkette zu schließen. So musste der HSV zwar kurz vor Schluss einen weiteren Treffer hinnehmen; hinten fehlte die Zuordnung. Dafür aber konnte er mit viel Offensivwucht den Rückstand schnell wieder ausgleichen. Das Spiel endete so turbulent, wie es begonnen hatte – mit Chancen auf beiden Seiten.

Viel Kampf, ordentliche Kombinationen, wenig Ordnung

Wie lautet nun also das Fazit nach dem fünften Zweitliga-Derby zwischen dem Hamburger SV und dem FC St. Pauli? Mangelnden Einsatz muss sich kein Spieler vorwerfen lassen. Gerade im Mittelfeld gab es viele Mann-gegen-Mann-Duelle. Auch fußballerisch bot die erste Halbzeit einige Highlights, wobei die Ordnung manches Mal unter der offensiven Ausrichtung beider Teams litt. Die zweite Halbzeit glich dann eher dem klassischen Muster: Der Außenseiter von der Reeperbahn verschanzte sich, der HSV sammelte Ballbesitz. Der Punktgewinn geht letzten Endes in Ordnung.

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