Marcus Scholz

21. Februar 2018

„Nein, mach einfach und halt’ du doch die Fresse“, schimpfte Kyriakos Papadopoulos in Richtung von Luca Waldschmidt, der sich heute einer Ansage des Griechen mit den Worten „Halt die Fresse“ zu entziehen versuchte. Es war tatsächlich Dampf drin im Trainingsspiel. Und rechnet man jetzt noch die tiefe Platzwunde von Lewis Holtby aus dem gestrigen Training hinzu, man könnte für einen kurzen Moment glauben, hier stellt sich tatsächlich sowas wie richtige Derbystimmung ein.

Aber außer bei den Zuschauern am Rand scheint das Derbyfieber noch nicht so ganz angekommen zu sein. Auch Aaron Hunt, für den die Rückkehr an die alte Wirkungsstätte mit Sicherheit alles andere als normal ist, bemüht sich, möglichst gelassen zu wirken. Okay, das fällt dem von Natur aus eher coolen, introvertierten Typen nicht sonderlich schwer. Und deshalb fingen sich meine Kollegen heute auch eine verbale Schelle ein, als sie fragten, ob Hunt eine Ansage in Richtung seines Bremer Freundes Max Kruse hätte? Hunts Angtwort: „Nein.“ Mehr kam nicht.

Der Mittelfeldspieler ist eben weniger der Typ Wiese. Ihm ist auch angesichts der Tabellensituation nicht danach, große Töne zu spucken, sagt er. Stattdessen weist Hunt daraufhin, dass das Spiel am Sonnabend möglichst friedlich im Umfeld bleiben möge, seine Kollegen und er aber auf dem Platz eine intensivere und gegebenenfalls auch härtere Gangart wählen werden, um endlich wieder ein Erfolgserlebnis zu feiern. „Das brauchen wir einfach wieder“, so Hunt, der das Problem auf dem Weg dahin nicht allein in der Offensive sieht. Sehr wohl aber auch dort, und somit auch bei sich selbst. „Es ist meine Aufgabe, in der jetzigen Situation voranzugehen, Verantwortung zu übernehmen und zu führen. Und das werde ich. Ich versuche, dem einen oder anderen jungen Spieler zu helfen, der vielleicht gerade nicht seine Bestform hat. Wir brauchen alle.“

Klingt zunächst einmal gut. Zumal Hunt einer der ganz wenigen Spieler im Kader ist, dem ich es zutraue, spielerisch zu führen. Seine Pässe, seine Ideen – in Ansätzen hat Sejad Salihovic sie, aber der ist deutlich zu langsam, um die Spiele noch allein entscheiden zu können. Etwas, was man auch Hunt nachsagt, wobei ich behaupte, dass Hunt absolut nicht langsam ist - wenn er will. „Ihm fehlt die Handlungsschnelligkeit“, sagen viele – und dem schließe ich mich grundsätzlich auch an, allerdings nicht ohne mildernde Umstände anzuführen: Denn beim HSV gibt es offensiv einfach nicht die Anspielmöglichkeiten, die ein Spielgestalter braucht, um effektiver zu werden. Stattdessen steht vorne ein seit Monaten formschwacher Bobby Wood, der ebenso wenig trifft wie spricht. Er spricht dem Vernehmen nach in der Kabine sogar weniger redet als Hunt.

Das Wenige allerdings mit eben jenem Hunt. Denn Hunt versteht sich mit Wood offenbar gut. Außerhalb des Platzes. „Ja, wir schätzen uns“, sagt Hunt und nimmt seinen Buddy gleich in Schutz. „Es liegt ja auch nicht an Bobby allein. Er ist bemüht, er ackert im Training und den Spielen wie alle anderen auch. Ihm fehlt aber eben das Erfolgserlebnis. Wie uns allen. Letztlich kommt es aber darauf gar nicht an, sondern vielmehr auf uns alle zusammen als Mannschaft. Wenn wir als Mannschaft besser spielen, spielen auch die einzelnen besser. Er wird da nicht allein gelassen“, so Hunt über Wood, der heute im Training – wie in den letzten Wochen immer wieder mal – auffällig viel von seinen Mannschaftskameraden gelobt wurde. Jede halbwegs gute Aktion zog ein „super Bobby“ nach sich. Vom Trainerteam ebenso wie von den Kollegen.

Hunt weiter: „Natürlich wäre es uns allen lieber, wenn Bobby schon zehn oder zwölf Tore geschossen hätte. Es würde ihm wie uns helfen, ganz klar. Wenn wir zu Null spielen ist es auch nicht nur die Abwehr, sondern die ganze Mannschaft. Das haben wir auch schon gut gemacht in Leipzig und teilweise in Dortmund. Das Defensive ist schon etwas besser geworden. Es ist nie das Problem von einem einzelnen – aber immer von uns allen als Mannschaft.“

Und die hat tatsächlich kaum noch etwas zu verlieren – sage ich. Niemand rechnet ernsthaft noch mit dem direkten Klassenerhalt. Das nächste Ziel ist aktuell nur noch, den Anschluss an den Relegationsplatz wieder herzustellen. Ob das Umschalten in den „keiner rechnet mehr mit uns“-Modus vielleicht sogar etwas Druck nimmt? Hunt: „Es ist wirklich keine einfache Situation“, so Hunt, „alle von uns machen sich Gedanken. Wir haben uns in diese Situation gebracht und müssen uns selbst befreien. Alles Gerede, alles Geschriebene - uns wird keiner helfen.“

Ich habe heute länger mit Frank Rost telefoniert, der sich bewusst nicht öffentlich äußern möchte im Moment. Am Sonntag war er bereits bei Wontorra bei Sky zu Gast und hat dem HSV einen mitgegeben. Und das zurecht. Und auch am Telefon merkt man, dass der Pferdefreund aktuell leidet. Mit dem HSV. Und so froh ich wäre, wenn ich wenigsten ein, zwei Dinge aufschrieben dürfte, die er heute von sich gab, weil sie richtig sind. Rost spricht an, was angesprochen werden muss. Und so ein Typ fehlt dem HSV. Einer, der mal alle aufmischt, der Reizpunkte setzt und Leben in diese Mannschaft voller Spieler auf Augenhöhe bringt. Wobei, eigentlich würden in einer funktionierenden Mannschaft die hämischen Kommentare aus Bremen – und damit meine ich nicht den Berufsproleten Tim Wiese, sondern eher die Mitleidbekundungen von beispielsweise Max Kruse – schon reichen, um diesen Tick Extramotivation hervorzukitzeln. Eben so, wie es im Training immer nur kurzfristig den Anschein macht.

Nicht dabei war heute übrigens Lewis Holtby, dessen Verletzung aus dem gestrigen Training echt übel aussah. Die Platzwunde auf dem Schienbein musste genäht werden und es ist noch fraglich, ob er am Wochenende spielen kann. Wobei es noch fraglicher ist, ob er überhaupt spielen soll, nachdem er in den letzten Wochen und Monaten weder unter Markus Gisdol noch aktuell unter Bernd Hollerbach zu Einsatzminuten kam. Ebenfalls nicht dabei, wie eigentlich die meiste Zeit der letzten Jahre: Albin Ekdal. Der Schwede ist inzwischen genauso oft verletzt wie er gesund wichtig für diese Mannschaft ist. Wobei, nein: Er ist sogar noch häufiger verletzt und so für keinen Trainer einplanbar. Schon deshalb muss sich der HSV im Sommer auf dieser Position zwingend neu aufstellen.

Aber okay, ich wäre trotzdem froh, wenn Ekdal gesund ist und Walace tatsächlich wie vereinbart am Freitag in Bremen landet, um am Sonnabend mitspielen zu können. Die beiden zusammen im defensiven Mittelfeld ist aktuell das wahrscheinlich vielversprechendste, zumal so Gideon Jung erlöst würde und als schneller Mann in die Innenverteidigung rücken könnte. Zusammen mit van Drongelen und Papadopoulos, während Mergim Mavraj aktuell (wenn man allein das Training als Maßstab nimmt) sogar noch hinter Stephan Ambrosius rangiert. Meiner Meinung nach.

In diesem Sinne, bis morgen. Da melde ich mich via Facebook um 13 Uhr live von der Pressekonferenz und dann wie immer am Abend an dieser Stelle mit dem Blog.

 

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