Marcus Scholz

20. Juni 2020

Teamvergleich? Nein. Heute nicht. Denn egal, was ich heute über die beiden Mannschaften schreiben, über die taktischen Systeme, ihre Spezialitäten, die besonderen Schwachpunkte und die hervorzuhebenden Stärken – all diese Merkmale werden am morgigen Sonntag in Heidenheim von einer Sache komplett überlagert: dem größeren Willen. Denn der wird entscheiden. Der Wille, es zu packen, ist morgen Abwehr, Angriff und Sturm zugleich. Kein Spieler wird morgen ab 15.30 beim Finale beim 1. FC Heidenheim wichtiger sein, nichts kann die Beine mehr beschwingen. Nicht umsonst hatte Trainer Dieter Hecking noch einmal klargestellt, dass er der Mannschaft vor dem Spiel beim Aufstiegskonkurrenten noch einmal die besondere Brisanz klarmachen wolle. Und obwohl noch unklar ist, wer morgen beginnen wird, will ich an dieser Stelle ein paar Worte an ein paar Spieler loswerden.

Angefangen mit Julian Pollersbeck, über dessen Rückkehr in den Kasten ich mich sehr gefreut habe und der diese Trainerentscheidung bislang auch gerechtfertigt hat. Dennoch, lieber „Polle“, werde ruhig lauter. Werde noch präsenter auch in den Phasen, in denen du nicht körperlich eingreifen kannst. Nimmt beispielsweise Rick van Drongelen etwas verbale Führung ab bzw. unterstütze ihn dabei. Denn van Drongelen hat schon sportlich mit sich genug zu tun. Vielleicht helfen dem Niederländer ja die paar Prozentpunkte mehr Konzentration auf sein eigenes Spiel wieder dabei, seinen unbedingten Einsatz, seinen unbedingten Willen endlich auch wieder in eine sportliche Topleistung umzumünzen.

Die rechte Seite kann mehr - und muss mehr leisten

Über die rechte Seite ist in den letzten Wochen zumeist Josha Vagnoman gekommen – zuletzt wurde hier Jan Gyamerah immer wieder gebracht und hinterließ dabei einen frischen Eindruck. Aber für beide gilt: Traut Euch mehr zu! Defensiv seid ihr beide stabil, da gibt es nichts zu meckern. Aber offensiv nutzt ihr euer Tempo zu selten. Traut euch Eins-gegen-Eins-Situationen zu, geht vorbei und flankt, was das Zeug hält. Im Zentrum steht mit Joel Pohjanpalo einer, der auch beschissene Flanken zu nutzen weiß. Hauptsache ist, er bekommt endlich auch über die rechte Seite wieder Hereingaben. Von daher: Übertreibt es gern! Lauft von der ersten Minute an, als wärt ihr schon in der Nachspielzeit. Denn wenn einer von euch beiden nicht mehr kann, kommt eben der andere und bringt zuende, was begonnen wurde. Womit wir zur Achillesferse des HSV kommen: der Innenverteidigung.

Ich hatte es bei van Drongelen ja schon geschrieben: Der Niederländer WILL! Immer! Er will vielleicht manchmal zu viel. Und er mutet sich zu viel zu, glaube ich. Denn wenn man mit seinem eigenen Spiel hadert, parallel dazu aber noch viel Energie darauf verschwendet, verbal das Team anzuführen – dann geht das nicht selten schief. Trotzdem hoffe ich stark, dass van Drongelen spielt! Von daher: Pollersbeck, unterstützen sie!

Denn sicher ist, dass weder Vorstopper Timo Letschert noch Auftragsarbeiter Gideon Jung führen können. Weder sportlich, noch verbal. Beide sind ausgelastet mit der Aufgabe, dem Gegner den Ball abzujagen und ihn schnellstmöglich an den eigenen Mann zu bringen. Letschert, dessen Spielweise in meiner Fußballzeit noch als „Vorstopper“ frimierte, sogar noch etwas mehr als Jung. Von daher hoffe ich, dass sie sich auf ihre Kernqualität besinnen und diese maximal ausspielen. Niemand verlangt von den beiden Dribblings und/oder Traumpässe. Vielmehr gilt: Aufgabe erledigen – und gut ist!

Anders Tim Leibold, von dem man sich in jedem Spiel das entscheidende Dribbling, den entscheidenden Flankenball oder Pass erhoffen kann. Vielleicht ja auch mal wieder einen eigenen Treffer? Auf jeden Fall erwarte ich von dem Linksverteidiger, dass er in Heidenheim von der ersten Minute an mit seinem Spiel verdeutlicht, dass es 90 Minuten Vollgas geben wird. Harte Defensivzweikämpfe, schnelle Gegenstöße, Flankenbälle – auf den besten Torvorbereiter der ganzen Liga wird es morgen definitiv ankommen.

Auf Fein kann es ankommen - wenn er durchzieht

Womit ich zu meinem größten Sorgenkind komme: Adrian Fein. Auf ihn lag nach der herausragenden Hinrunde ein großes Augenmerk. Seine Vertragssituation wurde zwar früh geklärt – scheint aber eine befreiende Wirkung verfehlt zu haben. In der Hinrunde war Fein immer anspielbar, hatte eine unfassbare Passquote und war der Dreh- und Angelpunkt. Er stellte Aaron Hunt in seinen Schatten und galt als der sportliche Leader im Mittelfeld. Kurz gesagt: Fein schien seinen Durchbruch zu schaffen – und glaubte vielleicht selbst, diesen sogar schon geschafft zu haben. Aber seitdem die Gegner ihn in aller Regelmäßigkeit zustellen, hat er arge Probleme. Und das nagte an seinem Selbstvertrauen. Das Schlimme daran: Fein will! Er will weiter jeden Ball. Weil er weiß, dass das der richtige Weg ist. Nur leider kann er mit dem Ball einfach nicht mehr so viel anfangen wie in der Hinrunde. Er verliert Zweikämpfe, spielt mehr quer als nach vorn. Kurzum: Fein ist weniger effektiv fürs eigene Spiel. Auch deshalb habt ihr Fein aus Eurer Community-Startelf genommen – und interessanterweise durch Aaron Hunt ersetzt.

Aber für den Fall, dass Hecking weiter auf Fein setzt, meine Bitte an Fein: Spiele wieder einfacher, lege wieder größeren Wert auf defensives Zweikampfverhalten und vor allem: Trabe bei Gegenstößen nicht mehr nur hinterher und gucke zu, sondern fühl dich für die Abwehr mitverantwortlich. Und: Trau Dir am Ball wieder mehr zu. Das kannst du, das kann auch wieder klappen - und du kannst so auch ganz sicher wieder ein ganz entscheidender Faktor auf dem Weg zum Aufstieg sein. Für Spieler, die zu Unterschiedsspielern werden wollen sind es auch genau diese Phasen, in denen man sich zeigen muss. Noch erwartet das keiner von Dir – aber alle trauen es dir zu und du kannst damit überraschen!! Das Beste: Selbst wenn es schiefgeht, kann der Trainer Dich im Spiel noch ersetzen. Also: Trau Dich endlich!!

Bei David Kinsombi muss man nur ein paar Tage zurückblicken, dann weiß man , was man von ihm fordern darf. Er muss einfach wie in den ersten 15 Minuten gegen Wiesbaden (die restlichen 76 Minuten waren auch sehr stark) voll draufgehen, mutige Dribblings setzen und dem Gegner demonstrieren, dass er immer gefährlich ist. Ebenso wie Jeremy Dudziak, den ihr in Eurer Startelf seht und der für mich in einer Mannschaft, die gut geführt wird, einen Unterschied ausmacht. Dudziak muss man frei nach Beckenbauer „geht’s raus und spielt’s Fußball“ einfach alle Freiheiten mitgeben. Dann liefert er in aller Regelmäßigkeit.

Führt Hunt jetzt nicht, sollte er seinen Vertrag zerreißen

Anders Aaron Hunt, den der Trainer sehr wohl in die Pflicht nehmen kann. Nein: in die Pflicht nehmen muss. Denn auf seine Führung hat man seine Vertragsverlängerung begründet – jetzt wird genau das gebraucht. Egal wie sich der Routinier selbst am wohlsten fühlt auf dem Platz, diesmal geht es um mehr als sein Spiel. Diesmal geht es um die Stabilität der gesamten Mannschaft, die in seinen Händen liegt. Er muss Fein stützen, damit dieser endlich wieder funktioniert. Und er muss auf dem Platz das Tempo bestimmen. Er muss endlich wieder REGISSEUR sein. So, wie gegen Wiesbaden, in Teilen gegen Bielefeld und zuletzt auch in Dresden. Wenn er das jetzt nicht schafft, sollte er sich mit den HSV-Verantwortlichen nach dem letzten Spiel zwingend zusammensetzen und besprechen, wie man die gerade erreichte automatische Vertragsverlängerung wieder auflöst.

Dass Sonny Kittel Hunt irgendwann mal ersetzen könnte, darauf hatten nicht wenige gehofft. Aber wenn eines in dieser Saison klar ist: Kittel ist von der Spielgestaltung soweit entfernt wie der HSV von der Champions League. Bei Kittel darf man kein Defensivverhalten voraussetzen. Kittel ist „nur“ der Mann für die besonderen Momente, für das Traumtor und die entscheidende Flanke. Aber wenn er wie gegen Osnabrück und auch sonst häufiger mit der Körperspannung eines Regenwurmes agiert, ist er leider eine Schwächung. Zumal dann, wenn er aufgibt. Kittel würde ich als Trainer heute Abend ins Gespräch nehmen und genau heraushören, inwieweit er überhaupt noch an sich glaubt. Denn klar ist: Zwischen Welt- und Kreisklasse liegen bei Kittel nur Sekunden.

Und während Martin Harnik von der Mentalität her sicher ganz wichtig sein kann, muss man hoffen, dass Jatta in den letzten zwei Spielen noch einmal erinnert, was ihn stark macht: das Tempo. Wir hatten bei uns in der Oberliga in Niendorf früher auch mal so einen Athleten im Team, den niemand einholen konnte. Er war so scheiße schnell, dass er immer eine Alternative darstellte, obgleich der Ball an sich gar nicht so sein Freund war. Aber unser Trainer setzte ihn auch Karo einfach ein. Daniel kam in Kontersituationen zum Einsatz und sollte bei jedem Ballgewinn für uns lossprinten, während wir die Bälle hinter die gegnerische Abwehr schlugen. Das war nicht schön, führte aber dazu, dass Daniel unser zweitbester Torschütze wurde. Und so ähnlich stelle ich es mir auch bei Jatta vor: Ballgewinn HSV, langer Ball hinter die FCH-Abwehr und Jatta zieht allen davon. Das wird vielleicht zehnmal richtig scheiße aussehen – aber wenn es das eine Mal klappt, war es die (Fehl)Versuche wert.

Scheiß auf schönes Spiel - nur der Sieg zählt!

Und eines ist auch ganz klar: Weder morgen in Heidenheim noch am letzten Spieltag gegen Sandhausen ist Platz für Schönheit. Auch deshalb setze ich ganz vorn ich auf die unverwüstliche Natur von Joel Pohjanpalo. Dem Finnen, der bei gefühlt minus 20 Grad in kurzen Hosen und kurzen Hemden trainiert, ist eigentlich alles egal – Hauptsache er trifft. Selbst die Tatsache, dass er und der Ball an sich eher auf Kriegsfuß miteinander stehen, hat ihn nicht daran gehindert, Fußballprofi zu werden. Sogar ein richtig guter! Und diese Mentalität braucht der HSV jetzt mehr denn je. Also, Joel: Tee asiasi!!

Und bevor ich den Blog beende, noch ein Wort zum Trainer, der mich in den letzten Wochen mit seinen Wechseln immer wieder zur Verzweiflung getrieben hatte, dessen Sichtweise gestern auf der Pressekonferenz aber genau die war, die ich hoffe, dass die Spieler sie vermittelt bekommen. Der Trainer muss den Spielern jetzt klarmachen, dass alles andere als das Maximum zu wenig ist. Und vor allem hoffe ich darauf, dass er im Spiel bei seinen Wechseln nicht irgendwelche Bausteine schon im Vorfeld festlegt. Kinsombi gegen Osnabrück rauszunehmen, obwohl er der einzige war, der wenigsten etwas versuchte, war hierfür das letzte Beispiel. Auch Hecking hat in den letzten Wochen mit seinen taktischen Maßnahmen dafür gesorgt, dass es noch spannender wird, als es vielleicht hätte sein müssen.  Hoffen wir mal, dass er morgen die elf Spieler beginnen lässt, die Heidenheim auffressen wollen und die wie Männer agieren. Vor allem aber hoffe ich, dass Hecking die Erfahrung seiner gefühlt 1000 Profispiele morgen gewinnbringend einsetzt.

Seid bei uns live auf der Auswärtscouch dabei!

In diesem Sinne, jetzt habe ich zwar doch wieder viel mehr gesabbelt, als ich eigentlich wollte. Aber das musste noch mal raus. Ich hoffe, dass die Kabine morgen Nachmittag vor dem Anpfiff nach Testosteron stinkt und die Mannschaft pures Adrenalin in den Adern auf den Platz transportiert. Denn morgen zählt nichts anderes als der Sieg! Morgen darf nicht auf Unentschieden gespielt werden, morgen darf sich niemand verstecken, ohne dass er sofort vom Trainer runtergenommen wird. Morgen geht’s um alles! Und das will ich zusammen mit allen von Euch morgen sehen können. Ich will von der ersten Sekunde an auf der Auswärtscouch erkennen können, dass der HSV dem FCH morgen absolut gar nichts außer ein paar Sonnenstrahlen gönnt…

 

Also, bis morgen! Da melden wir uns von der Auswärtscouch auf die wir Euch alle herzlich einladen. Also seid dabei, wenn wir morgen ab 15 Uhr live via youtube mit Euch das Spiel kommentieren, dabei leiden und uns hoffentlich am Ende alle zusammen freuen dürfen. Ich bin auf jeden Fall jetzt schon heiß wie Frittenfett….  

Bis morgen!

Scholle

P.S.: Warum ich hier nichts zu einer möglichen Relegation gegen Werder schreibe? Weil ich an alles andere als Heidenheim keinen einzigen Gedanken verschwende…

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