Marcus Scholz

16. Oktober 2017

Spricht man derzeit mit den HSV-Spielern, hört man selbst im inoffiziellen Teil selten bis nie wirklich Negatives über den Trainer, was beim HSV auch durchaus schon mal anders war. Diesmal aber loben die Spieler den fairen Umgang des Trainers, der trotz seiner Rettungsgeschichte und seiner großen Verdienste aus der Vorsaison inzwischen unter Zugzwang steht. Nach nur einem Punkt aus den letzten sechs Spielen ist das sicher nicht verwunderlich – und vor einem Spiel gegen den FC Bayern natürlich zusätzlich mit einer recht miesen Aussicht auf Besserung ausgestattet. Dass sich hier und anderswo viele Fans noch für den Trainer starkmachen, ihm wie heute Mut machende Briefe an die Fensterscheibe seines Autos heften - alles das hat sich Gisdol ganz sicher verdient. Allerdings verdient er sich genauso die aktuelle Kritik. Denn bei allem, was er versucht, er versucht noch immer nicht alles.

Und bei der Suche nach den Gründen für den aktuellen Misserfolg reicht nicht der Hinweis auf die oft kurzen Trainingseinheiten lange nicht. Nein, hier muss man schon Anfang des Jahres, also noch in der Hochphase des Abstiegskampfes in der Vorsaison beginnen. Damals hatte der HSV gerade Jens Todt zum neuen Sportchef gemacht und man begann, so gut es ging die neue Saison vorzubereiten. Dass sich Gisdol ob der damals prekären Lage im Tagesgeschäft wenig um die neue Serie kümmern konnte – logisch. Aber spätestens im April oder Mai hätte auch er Alarm schlagen müssen, als der HSV noch immer keinen neuen Spieler klargemacht hatte. „Wir müssen natürlich beide Szenarien im Auge behalten“, sagte Todt zuvor immer Und das ist richtig.

Allerdings war offensichtlich nichts vorbereitet. Wie sonst ist zu erklären, dass es nach dem Schlusspfiff am 20. Mai beim HSV nicht Schlag auf Schlag ging? Stattdessen passierte sogar erst einmal lange Zeit gar nichts. Statt sich in Gesprächen mit neuen Spielern zu überschlagen, wurde gewartet. Gibt Klaus Michael Kühne Geld? Und wenn ja, wie viel? Fragen, die man längst hätte geklärt haben müssen. Und das hätte auch Gisdol anmahnen müssen. Deutlich. So, wie Armin Veh einst drohte, seinen Posten niederzulegen, als der HSV nicht personell nachbessern wollte, hätte auch Gisdol klare Kante zeigen müssen. Schon aus Eigeninteresse. Immerhin ist er es am Ende, der an der Qualität der Mannschaft gemessen wird.

Auch deswegen verpasste es der HSV im Sommer, den erneut angekündigten und ebenso notwendigen klaren Cut zu machen. Mal wieder. Wie immer in den letzten Jahren. Und diese Wiederholung alter Fehler macht selbige noch dramatischer, noch dümmer und noch weniger erklärlich. Wieder blieben ungewollte Kostenfaktoren an Bord und selbst formulierte Transferziele wurden verpasst. Defensiv wurden zwei Innenverteidiger und zwei Linksverteidiger gesucht. Am Ende kam zu Papadopoulos ein Innenverteidiger, den man nach dem Trainingslager verpflichtete. Und anstatt in die Kreativ- und Offensivabteilung zu investieren, wurden die nicht einmal unerheblichen finanziellen Mittel auf noch weniger Spieler verteilt. Papadopoulos und Hahn kamen für jeweils sechs Millionen Euro, Pollersbeck für vier und van Drongelen für drei Millionen Euro.

Also 19 Millionen für gerade vier Spieler, wobei ein talentierter Torwart dabei ist (der seine Qualität bislang noch nicht unter Beweis stellen konnte), der die abwandernde Nummer eins ersetzen sollte und ein Spieler, der in der Vorsaison schon auf Leihbasis zum Team gehörte. Aufbruchstimmung innerhalb der Mannschaft verbreiten derlei Transfers nicht, zumal zu denen man noch ein Innenverteidiger namens Bjarne Thoelke gezählt werden muss, dem man gleich beim Kauf völlig unnötig das Etikett „nur für den Notfall“ anheftete, indem man ihn als „Innenverteidiger Nummer vier“ machte, ehe der dritte gekauft war.

Nein, niemanden hier daher darf es wundern, wenn das Spiel des HSV nicht besser wird. Dass Gisdol nach dem Pokal-Aus in Osnabrück, dem aktuell Tabellenvorletzten der Dritten Liga, einen Appell an Klaus Michael Kühne richtete, dass noch mal nachgerüstet werden müsste – dieser Versuch war völlig okay und besser als auch das zu vergessen. Aber es war schlichtweg zu spät. Soll heißen: Der HSV hat es tatsächlich von Januar bis Ende August nicht geschafft, die offensichtlichsten Probleme zu beheben. Und hierfür verantwortlich sind de facto der Vorstandsboss Heribert Bruchhagen, der im internen Wirken die Probleme mit dem sich sperrenden Aufsichtsrat nicht aus der Welt bekam sowie natürlich Jens Todt als Sportchef – und eben Markus Gisdol als Trainer.

Deshalb darf er sich nicht wundern, dass ihm diese Fehler jetzt auf die Füße fallen. Und wenn man einige Hintergründe kennt und Gisdol hier und da bei Fragen zur Kaderplanung zögern sieht, merkt man auch sehr schnell, wie sehr er sich über seine Zurückhaltung im Nachhinein ärgert. Und die Frage, die sich mir hieraus ergibt, ist, ob der Trainer intern endlich wenigstens jetzt auf den Tisch haut und fordert, was nur notwendig ist. Oder passt er sich den Ausreden der HSV-Führung um Todt an, die immer wieder davon sprechen, alles ganz bewusst so gemacht zu haben, um jungen Talenten den Weg nicht zu verbauen...

Wobei, apropos junge Talente: Heute war Jann Fiete Arp bei der U17-Nationalmannschaft als Kapitän mit einem Doppelpack und einer Torvorbereitung maßgeblich am Weiterkommen ins WM-Viertelfinale beteiligt. Herzlichen Glückwunsch dazu, Fiete!

Wobei Arp nur einer von vielen Spielern ist, die aktuell in den Fokus geraten, was zweifellos gut ist. Der HSV wird quasi aus Personalnot dazu gezwungen, seine Talente mitzunehmen und sie konsequent heranzuführen. Teilweise spielen sie ja sogar, was auch gut ist. Aber das ist längst kein Argument für die (fehlerhafte) Kaderplanung, wie es die Verantwortlichen gern versuchen, im Nachhinein darzustellen. Vielmehr darf man erst zufrieden sein, wenn beides zusammen funktioniert. Zumal es den Talenten dann sogar deutlich leichter gemacht wird, da die Hoffnung auf das Notwendigste zum Klassenerhalt dann nicht plötzlich auf Bundesligadebütanten lagert, sondern diese von einer funktionierenden Mannschaft getragen und sukzessive ans Bundesliganiveau gewöhnt werden. Und wenn diese jungen Spieler parallel auch noch mit gezielten Extraeinheiten ihre Stärken ausbauen und ihre Schwächen abstellen – es wäre kaum auszuhalten.

Ich wette, dann würde Bakery Jatta auch in der Bundesliga eine Chance haben, ein Arp und ein Knöll ernst zu nehmende Alternativen zum formschwachen Bobby Wood darstellen und ein Ito mal über die 55. Minute hinaus auf dem Platz stehen. Und um es auch hier ganz klar zu sagen: Auch hier ist Markus Gisdol entscheidend! Wenn er den/die Individualtrainer will, werden sie geholt. Und offenbar will er nicht.

Aber DAS Thema hatte ich in den letzten Wochen tatsächlich schon zu oft und ich befürchte, dass es morgen (trainiert wird um zehn und um 15 Uhr) noch immer kein individuelles Training der Marke Ricardo Moniz bei den Profis geben wird. Warum auch immer.

In diesem Sinne, bis morgen.

Scholle

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