Marcus Scholz

28. Februar 2020

Die Trainingswoche war gefühlt einen tag länger als sonst. Jeden Tag mussten sich die HSV-verantwortlichen mit der Derby-Thematik auseinandersetzen. Und Trainer Dieter Hecking tat es auf seine ganz eigene Weise. Im Training ließ er die Startelf vom 0:2 gegen den FC St. Pauli zusammenspielen und deutete auch auf der Pressekonferenz an, dass es durchaus denkbar sei, den Derbyverlierern erneut eine Chance zu geben. Offen blieb nur, ob sich Adrian Fein im heutigen Geheimtraining so präsentieren konnte, dass er für die Startelf ein Thema ist. Nach einem kurzen Aufwärmen zog die Mannschaft ins abgeschottete Stadioninnere. Neues zu sehen gab es also für uns heute nicht. Und bis zum Ende des gestrigen Trainings wirkte es so, als würden noch ein paar Prozentpunkte fehlen. Dennoch wurde Fein für den Kader berufen - was darauf hindeutet, dass Hecking sein Einsatz durchaus in Erwägung zieht. Was es sonst noch zum Spiel des HSV in Aue wissen gibt, erfahrt Ihr wie immer hier:

Die Ausgangslage

FC Erzgebirge Aue: Was war das für eine überraschende Konstellation vor dem Hinspiel: Der FC Erzgebirge Aue auf dem fünften Tabellenplatz auf Tuchfühlung zum großen HSV - nur zwei Punkte entfernt, mitten im Aufstiegskampf. Dazu die Hamburger mit der ersten Derbypleite aus der Vorwoche im Gepäck. Wenn nicht jetzt, wann dann? Das zumindest war die Herangehensweise der Auer. Doch mit dem 0:4 aus ihrer Sicht wurden sie ganz schnell auf den harten Boden der Realität zurückgeholt. Vor dem Rückspiel in Aue erinnert aus der Sicht vom FC Erzgebirge nur eine Sache an die Ausgangslage vor der ersten Partie diese Saison: Der HSV geht schon wieder mit einer Derby-Schlappe in das Spiel. Im Aufstiegskampf ist Aue dagegen schon längst nicht mehr, von Euphorie keine Spur, Sorgen sind eher an der Tagesordnung. Platz neun, 31 Punkte - das scheint zwar komfortabel, doch Aue hat noch kein einziges Spiel in der Rückrunde gewonnen und dabei lediglich zwei Punkte geholt. Dazu eine weitere Horror-Zahl: Die Mannschaft von Trainer Dirk Schuster erzielte in den vergangenen fünf Partien nur ein einziges mickriges Tor. Nicht, dass aus diesem Negativlauf noch ein Strudel entwickelt, aus dem sich die Veilchen nicht mehr befreien können.

HSV: Der HSV in der Krise? Glaubt man der gefühlten Meinung in Hamburg, hat der HSV gerade wieder den Aufstieg verspielt. 10 Punkte aus fünf Spielen wobei insbesondere das Remis in Hannover und die Niederlage im Derby zuletzt den Meinungsumschwung befördert haben. Das Negative käme von außen schon genug, hatte Hecking gesagt und damit das Kernproblem in Hamburg aufgezeigt. Denn hier gibt es die gesunde Mitte nicht mehr, stattdessen diejenigen, die alles schwarzmalen und die, die hüpfen. Die wenigen Realisten haben beim HSV indes erkannt, dass noch (fast) alles in eigener Hand liegt. Dafür muss allerdings in Aue gepunktet werden. Mindestens so viel, wie es die Konkurrenz aus Bielefeld und Stuttgart macht - wobei man auch wieder Heidenheim als Tabellenvierter wieder dazuzählen muss, da der FC H wie schon zum Hinrundenende wieder bis auf drei Punkte am HSV dran ist. Ergo: Es ist und bleibt alles sehr eng. Das Gute daran: Das schwierige Spiel in Aue  kann und wird schon tabellarisch von niemandem beim HSV unterschätzt. Und:  Die Mannschaft reist mit dem Gefühl an, wieder etwas gutmachen zu müssen.

 

Das größte Problem

FC Erzgebirge Aue: Begeisterte die Schuster-Elf in der Vorrunde noch mit attraktiven Spielzügen und leidenschaftlichem Fußball, ist davon in der Rückrunde nichts mehr zu sehen. Den Veilchen ist die Balance zwischen offensiver Torgefährlichkeit und defensiver Stabilität grundlegend abhanden gekommen. Hinten steht die Schuster-Elf zwar weiterhin grundsolide - beide Zähler in 2020 wurden jeweils mit einem 0:0 ergattert - doch vorne ist Trefferflaute angesagt (ein Tor aus den vergangenen fünf Spielen). Im Umfeld keimt der Verdacht auf, die Balance ist überhaupt nicht mehr gewollt. Zuhause gegen Bielefeld und in Osnabrück waren alle Verantwortlichen zufrieden mit den torlosen Remis. Die Defensive als Hauptstrategie - auf den ersten Blick verwundert es doch sehr, dass Schuster nach der mehr als erfolgreichen Hinrunde, die bei einigen Verantwortlichen Hoffnungen auf mehr genährt hatte, die Herangehensweise mit seiner Mannschaft verändert hat. Oder glaubte er selbst nicht an eine Wiederholungsmöglichkeit in der Rückserie? Diese Frage kann nur er selbst beantworten. Eines ist auf jeden Fall gewiss: Im Heimspiel gegen die Rothosen wird sich an der Mauertaktik nichts ändern: tiefe Staffelung der Innenverteidiger, viele Zweikämpfe, lange Bälle nach vorne. Gegen den HSV ist dieses Stilmittel legitim, ob es auch für die Zukunft weiterhilft dagegen fraglich.

HSV: Der HSV hat die Ausfälle von fein UND Dudziak nicht wegstecken können. Letztgenannter fällt weiter aus, Fein ist zumindest im Kader. Ob der defensive Mittelfeldspieler beginnen kann, ist offen. Aber er ist zumindest wieder eine Alternative für das zentrale Mittelfeld des HSV, das zuletzt mit Abräumer Gideon Jung hinter den zwei Freigeistern Hunt und Schaub die Balance vergangener Spiele vermissen ließ. Zudem ist und bleibt die HSV-Defensive - insbesondere die Innenverteidigung - trotz der vergleichsweise wenigen Gegentreffer weiter zu langsam. In Aue wird es auf tiefem Boden wieder gegen eine Mannschaft gehen, die maximale einen Spieler vor der Mittellinie postieren wird. Der Rest verteidigt und setzt auf Konter. Also genau so, wie der HSV es zuletzt nicht zu bespielen verstand.

Der Lichtblick

FC Erzgebirge Aue: Der Lichtblick befindet sich vor dem Duell mit dem HSV nicht auf der sportlichen, sondern der wirtschaftlichen Ebene. Denn auch vermeintliche Unterschiedsspieler wie Routinier Jan Hochscheidt und Dimitrij Nazarov kommen durch die neue Herangehensweise kaum noch zur Geltung, da sie mit zu vielen Defensivaufträgen beschäftigt sind. Nein, um momentan Positives in Aue zu finden, muss man auf die Zahlen schauen. Die Veilchen haben den Lizenzantrag für die kommende Zweitligasaison eingereicht. Laut Tag24 plant der Verein mit 20 Millionen, rund die Hälfte soll dabei für die Profimannschaft abfallen. Auch für den Fall eines möglichen Abstiegs in die Dritte Liga habe sich der Verein laut offizieller Aussagen vorbereitet - rund acht Millionen Euro würden demnach weniger zur Verfügung stehen. Pläne für einen Aufstieg habe man indes nie geschmiedet.

HSV: Der Zusammenhalt wurde unter der Woche von Hecking wie von Boldt wiederholt eingefordert - und wird von der Mannschaft offenbar auch so gelebt. Im Training war von einer Depression ob der schmerzhaften Derbypleite nichts zu spüren. Vielmehr scheinen Spieler wie Khaled Narey und Jairo Samperio ihre Chance zu wittern - und geben Gas. Insgesamt ist und bleibt das Trainingsniveau so hoch, dass es hier nichts zu beanstanden gibt. Die Moral und die Konkurrenzsituation sind das große Plus beim HSV. Und in dieser speziellen Partie beim FC Erzgebirge Aue spielt auch die Rückkehr von Fein eine wichtige Rolle. Alein die Option, ihn einsetzen zu können, verschafft dem HSV-Spiel eine zuletzt nicht mehr da gewesene Variabilität.

Brennpunkt-Thema

Dieses Spiel wird am Samstag mit ziemlicher Sicherheit für keinen Akteur Spaß machen. Der Grund: der Platz in Aue ist hinüber. In den vergangenen Tagen hat es im Erzgebirge geschneit, am Spieltag soll es wie aus Eimern schütten. Jeder Fußballer weiß: Jeder Platz gleicht nach solchen Bedingungen einem Acker mit vielen Hindernissen. Aue könnte dieser Zustand zu Gute kommen, denn das Spiel des HSV ist auf fußballerische Ansätze ausgelegt. Beim FCE gilt das Credo: kratzen, beißen, grätschen.

HSV: Wie präsentieren sich die Derby-Verlierer? Setzt Trainer Hecking tatsächlich auf die Startelf vom 0:2 gegen den FC St. Pauli? Im Training und bei der Pressekonferenz hat Trainer Hecking, der die Schuld für die Derbypleite eh mehr ich als der Mannschaft zugeschrieben hatte, es angedeutet: Die Derbyverlierer bekommen wohl die Chance auf Wiedergutmachung. Obgleich ich persönlich Fein für Hunt und Hinterseer statt Pohjanpalo von Beginn an spielen lassen würde, halte ich die Idee für nicht falsch. Zumal die ersten 20 Minuten gegen Pauli allen noch so präsent sein dürften, dass sie zumindest noch wissen, wie sie spielen müssen, um zu gewinnen. Diesmal allerdings über die gesamten 90 Minuten.

 

Taktik

FC Erzgebirge Aue: Männel - Mihojevic, Samson, Rasmussen Fandrich, Riese - Rizzuto, Hochscheidt, Nazarov - Strauß - Krüger

HSV: Heuer Fernandes - Beyer, Letschert, van Drongelen, Leibold - Jung - Hunt, Schaub - Jatta, Pohjanpalo, Kittel.

 

Ausblick

FC Erzgebirge Aue: Das Spiel gegen die Hamburger bietet den Veilchen die Chance, sich mit einem Überraschungserfolg aus dem Negativlauf zu befreien und den Sinkflug in der Tabelle zu stoppen. Bei einer Pleite dagegen würden die Sorgen im Erzgebirge weiter wachsen.

HSV: Neben der Wiedergutmachung für die Derbypleite muss der HSV in Aue schon punkten, um den Abstand zum Tabellenführer nicht zu groß werden zu lassen. Da Bielefeld (gegen Wiesbaden) wohl dreifach punkten wird, wären es beim Misserfolg für Hecking und Co. schon 9 Punkte Rückstand - zehn Spieltage vor Schluss einfach zu viel. Und da auch der VfB Stuttgart bei der formschwachen SpVgg Greuther Fürth unter normalen Umständen punkten dürfte, während Heidenheim zu den zuletzt dreimal in Folge siegreichen Darmstädtern reist, steht der HSV unter Zugzwang. 28 von bislang möglichen 69 Punkten hat der HSV liegen lassen - bis Saisonende dürfen definitiv nicht mehr viele dazukommen.

 

 

In diesem Sinne, bis morgen! Da werden wir Euch wieder von der Auswärtscouch aus begrüßen. Und das mit echten HSVern, denn die Jungs vom E-Sportsteam des HSV werden am Sonnabend unsere Gäste sein. Sie werden uns zum einen einen interessanten Einblick in die virtuelle Fußball-Bundesliga geben, die sie nach einem 6:3 gegen den FSV Mainz gerade als Tabellensiebter beendet haben. Vor allem aber werden sie mit uns leiden und sich (hoffentlich!!) am Ende mit uns freuen, sollte der HSV in Aue erfolgreich sein.

 

 

Bis dahin wünsche ich Euch allen noch einen schönen Freitagabend!

Scholle

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