Tobias Escher

30. November 2020

Wieder einmal wurde es nichts mit einem Sieg für den Hamburger SV. Trotz einer 2:0-Führung mussten sich die Hanseaten gegen Heidenheim mit 2:3 geschlagen geben. Der HSV kam gut ins Spiel, fand aber nicht die passende Antwort auf die zahlreichen taktischen Umstellungen von Heidenheims Coach Frank Schmidt.

HSV-Trainer Daniel Thioune würfelte sein Team nach der 1:3-Niederlage gegen den VfL Bochum kräftig durcheinander. Khaled Narey begann für Bakary Jatta auf der rechten Seite. Stephan Ambrosius kehrte in die Dreierkette zurück, dafür rückte Moritz Heyer neben Amadou Onana in das zentrale Mittelfeld. Sonny Kittel agierte als halblinker Zehner hinter Stürmer Simon Terodde.

Taktisch begann der HSV nominell in der unter Thioune erprobten 3-4-2-1-Variante. Von Beginn weg war jedoch eine leichte Asymmetrie zu erkennen: Auf links bildeten Außenverteidiger Tim Leibold und der leicht ins Zentrum gerückte Sonny Kittel ein klassisches Flügel-Duo. Den rechten Flügel beackerte Narey hingegen allein; Manuel Wintzheimer agierte als hängende Spitze hinter Terodde. Narey rückte bei eigenen Angriffen weit vor, er war mehr Außenstürmer statt -verteidiger.

Hoher Druck durch Heidenheim

Gegen das unorthodoxe System der Hamburger antwortete Heidenheims Trainer mit einer nicht minder unorthodoxen Variante: Schmidt, eigentlich ein Verfechter der Viererkette, stellte seine Elf in einem 5-3-2 auf. Seine Mannschaft sollte den Druck auf den HSV hochhalten: Die beiden Stürmer griffen im Pressing früh an, auch die Außenverteidiger wagten sich weit in die gegnerische Hälfte vor.

Auf Hamburgs linker Seite funktionierte das Heidenheimer Pressing. Die Stürmer lenkten den Ball nach Außen, dort griff der rechte Außenverteidiger zu. Abwehr und Mittelfeld rückten konsequent nach, sodass sie nach einem Hamburger Pass sofort stören konnten. Heidenheim betrieb ein aggressives, mannorientiertes Pressing – und sorgte somit dafür, dass die Hamburger nicht zur Entfaltung kamen.

Blöd nur aus Heidenheimer Sicht, dass ihr Pressing auf Hamburgs rechter Seite nicht annähernd so gut funktionierte. Hier zeigte sich Norman Theuerkauf von seiner abenteuerlustigen Seite. Praktisch permanent attackierte er Jan Gyamerah. Dahinter schloss die Heidenheimer Abwehrkette die entstehende Lücke aber nur unzureichend. Mit der Zeit schaffte es der HSV, diese Lücke zu bespielen: Wintzheimer blockte Raum frei, den Narey am Ende für sich zu nutzen wussten. Das 1:0 leitete der HSV über die rechte Seite ein, die Ecke zum 2:0 entstand ebenso nach einem Angriff über diesen Flügel. Hier zeigte der HSV seine durchaus vorhandene Klasse im Aufbauspiel.

Taktische Aufstellung Heidenheim - HSV
Taktische Aufstellung Heidenheim - HSV

 

Heidenheimer Pressing greift besser

Wie sehr Heidenheim-Trainer Schmidt diese Phase missfiel, zeigte er mit seinem ersten Wechsel nach bereits 31 Minuten: Der für die schwache Seite zuständige Innenverteidiger Oliver Steurer musste raus, es kam mit Florian Pick ein Mann für das Mittelfeld. Damit löste Schmidt die Dreierkette auf. Seine Mannschaft verteidigte zunächst in einer Mischung aus 4-4-2 und 4-1-3-2. In dieser neuen Variante funktionierte das Pressing der Heidenheimer wesentlich besser. Sie hielten nun den Druck hoch gegen Hamburgs Dreierkette, ohne dabei ständig die Flügel zu entblößen.

Offensiv blieben die Gastgeber hingegen harmlos. Ihre Schwachstelle lag im Mittelfeld: Durch das Zwei-Stürmer-System und das weite Herausrücken der Mittelfeldspieler besetzten sie zu selten den Bereich in der Spielfeldmitte. Gerade in dieser Zone hatte der HSV in den vergangenen Spielen Probleme gehabt. Die Hamburger Sechser rückten in jenen Partien zu weit heraus, wenn sie einen Gegner mannorientiert verfolgten. Heidenheim versuchte dieses Herausrücken zu provozieren, bespielte es danach aber selten bis nie. Es fehlte schlicht ein Spieler, der die frei werdenden Räume besetzte. So musste Heidenheim häufig den Ball bolzen. Diese langen Bälle waren aber kein Problem für die Hamburger Innenverteidigung.

Aus diesem Grund müsste man eigentlich von einer soliden Hamburger Defensivarbeit reden. Es hilft aber nichts, systematisch gut zu verteidigen, wenn die Spieler individuelle Fehler begehen. Vor dem 1:2 rückten die Verteidiger zu aggressiv heraus. Vor dem 2:2 rückte Gyamerah dann gar nicht heraus – und löste somit das Abseits auf. Diese individuellen Fehler machten aus einem souveränen 2:0 ein wackeliges 2:2.

Fehlende Automatismen im 4-2-3-1

In der zweiten Halbzeit stellte Heidenheim das aggressive Pressing phasenweise ein. Trainer Schmidt hatte den zweiten Stürmer Robert Leipertz auf den Flügel beordert, Christian Kühlwetter agierte fortan als alleiniger Angreifer. Die Heidenheimer zogen sich nun einem 4-2-3-1 in die eigene Hälfte zurück. Nur vereinzelt schoss Zehner Denis Thomalla heraus und jagte einen Hamburger Rückpass. Grundsätzlich konnten die Hamburger Innenverteidiger das Spiel ruhiger aufbauen.

Auch Thioune hatte die Halbzeit-Pause genutzt, um sein System umzustellen. Narey ging nun endgültig nach Rechtsaußen, Kittel übernahm den Job auf Linksaußen. Der HSV agierte nun in einem klassischen 4-2-3-1. Das orthodoxe Spielsystem brachte tatsächlich etwas Ruhe in das Hamburger Spiel, auch sie verteidigten nun etwas raumorientierter und passiver. Doch wie so häufig bei Umstellungen in dieser Saison ging der Mannschaft damit auch ein Stück weit die Eingespieltheit verloren. Offensiv blieb vieles Stückwerk.

So waren es eher die Heidenheimer, die mit ihren wenigen Balleroberungen und Flügeldurchbrüchen für Torgefahr sorgten. Am Ende setzte Schmidt noch einmal alles auf eine Karte und kehrte zum aggressiven 4-4-2 der ersten Halbzeit zurück. Erfolg hatte diese Umstellung nur, weil der HSV mal wieder patzte. Ausgerechnet Torhüter Sven Ulreich – zuvor einer der besten Hamburger – versprang der Ball. Kühlwetter bedankte sich und machte den Hattrick perfekt (90.).

Nach dem Spiel nahm auch Trainer Thioune erstmals das Wort Krise in den Mund. Vier Spiele am Stück blieb der HSV nun sieglos. Gegen Heidenheim verloren die Hamburger vor allem aufgrund von individuellen Patzern. Doch auch taktisch blieb der HSV manches schuldig. So agierte der HSV nach der Umstellung zur Halbzeit offensiv blass. Den ersten Schuss nach der Pause gaben sie in der 86. Minute ab. Thiounes Traum vom variablen Fußball; er ist in weite Ferne gerückt.

FAQs

 
 

Über uns

Die Rautenperle - das ist ein Team aus jungen Medienschaffenden und Sportjournalisten mit großer Affinität zum HSV. Wir sind 24/7 bei den Rothosen am Ball und produzieren frischen Content für Rautenliebhaber.

Unser Ziel ist es, moderne, unabhängige Berichterstattung und attraktiven, journalistischen Content für junge und jung gebliebene HSV-Anhänger zu bieten. Wichtig ist uns dabei, eine neue Art des Sportjournalismus zu präsentieren: dynamisch, zeitgemäß, zielgruppengerecht. Weg von verstaubten Zeitungsspalten und immergleichen Phrasen.

Die Rautenperle ist aber nicht nur ein Ort, um sich zu informieren, sondern soll auch immer ein Ort des Austausches und des Miteinanders sein. Wir wollen eurer Leidenschaft einen Platz im Netz bieten: zum Diskutieren, zum Mitfiebern, zum Mitmachen.