16. Dezember 2020
4:0, das klingt nach Dominanz, Spektakel, Offensivfeuerwerk. Der Sieg des Hamburger SV über den SV Sandhausen hatte allerdings nichts davon zu bieten. In einem zähen Spiel gelang es dem HSV, die Offensive des Gegners lahmzulegen, ohne dabei selbst allzu viele Akzente zu setzen. Das hohe Ergebnis verdankt der HSV seinem Torjäger Simon Terodde sowie einer taktischen Umstellung in der zweiten Halbzeit.
Trainer Daniel Thioune sucht weiterhin das perfekte taktische Setup für seine Elf. Formell gab es beim Spiel gegen Sandhausen nur eine Veränderung im Vergleich zum 2:1-Sieg gegen Darmstadt. Im Mittelfeld begann Aaron Hunt, während Khaled Narey auf der Bank Platz nehmen musste. Doch damit ging ein taktischer Systemwechsel einher: Moritz Heyer kehrte aus dem Mittelfeld in die Abwehr zurück, der HSV agierte also nicht wie gegen Darmstadt mit einer Vierer-, sondern mit einer Fünferkette. Der HSV trat ebenso nicht mehr mit zwei Flügelstürmern auf, sondern mit einer Doppelspitze: Manuel Wintzheimer spielte leicht versetzt hinter Terodde. Die taktische Formation lässt sich am ehesten als ein 3-1-4-2 bezeichnen.
Die Veränderung in der Abwehrkette dürfte Thioune vorgenommen haben, um die Formation des Gegners zu kontern: Sandhausen agierte aus einem 3-4-3-System, wobei die beiden Außenstürmer weit ins Zentrum einrückten. Sie setzten in der Anfangsphase gemeinschaftlich die Dreierkette der Hamburger unter Druck. Der HSV geriet dank der eigenen Dreierkette im Spielaufbau nicht in Unterzahl.
In der Folge wollten sich die Hamburger ein Übergewicht im Mittelfeld aufbauen. Hier standen nominell drei Spieler zwei Gegnern gegenüber. Hunt und Jeremy Dudziak wichen immer leicht zur Seite aus, um in die Freiräume der gegnerischen Formation zu gelangen.
Zunächst gelang es dem HSV jedoch nicht, Kapital zu schlagen aus der Überzahl im Mittelfeld. Sandhausen ging die Partie aggressiv an. Ihre Angreifer ließen Hamburgs Verteidigern keine Zeit, den Ball am Fuß zu halten oder Angriffe vorzubereiten. Immer wieder musste der HSV nicht optimale Pässe wählen, beispielsweise indem sie die Kugel direkt zu Terodde spielten.
Auffällig war, wie schwach eingebunden die Flügel in dieser Phase waren. Josha Vagnoman und Tim Leibold sollten die Seiten allein abdecken. Das gelang ihnen nicht; Leibold agierte (mal wieder) zu tief, Vagnoman eher zu hoch. Hunt und Dudziak versuchten, die Lücken auf den Flügeln zu schließen. Das sorgte jedoch dafür, dass der HSV sich hier eher festspielte, anstatt dass er Raumgewinn erzielte.
Sandhausen stellte diese Pressingbemühungen jedoch früh ein. Zuvor hatte der HSV das Pressing des Gegners zweimal über Keeper Sven Ulreich aushebeln können. Nun zogen sich die Gäste weit zurück. Die Außenverteidiger ließen sich auf Höhe der Innenverteidiger fallen, Sandhausen verteidigte also in einem 5-2-3 oder gar einem 5-4-1. Leider fehlte dem HSV auch gegen einen tiefer agierenden Gegner die zündende Idee, wie man ihn denn knacken könne.
Zum Glück kann sich der HSV auf zwei Dinge verlassen. Zum Einen steht der HSV defensiv enorm stabil, wenn er mit drei Innenverteidigern agiert. Die letzte Linie ist extrem gut gesichert gegen gegnerische Schnellangriffe, was nicht zuletzt am hohen Tempo der Hamburger Verteidiger liegt. Da zudem die enge Formation im Angriff einen guten Zugriff im Gegenpressing ermöglicht, würgt der HSV praktisch sämtliche Konter des Gegners ab. Hat der Gegner länger den Ball, verteidigt der HSV zwar nicht ganz so sauber. Die wichtigen Duelle gewinnen die Spieler aber aufgrund ihrer hohen individuellen Klasse.
Der zweite Faktor, auf den der HSV sich verlassen kann, ist Terodde. Gegen Sandhausen genügten zwei Chancen in sechzig Minuten, um sich eine komfortable 2:0-Führung herauszuarbeiten. Es waren die einzigen Angriffe, bei denen der HSV gefährlich in den Halbraum kam. Bei beiden Toren stand Terodde jeweils goldrichtig. So wird aus einem zähen 0:0 ein nicht ganz so zähes 2:0.
Lob gebührt dem Trainerteam für die taktischen Umstellungen in der zweiten Halbzeit. Trotz der 2:0-Führung wechselte Thioune früh. Er scheute dabei nicht den Wechsel der taktischen Formation. Mit den Einwechslungen von Amadou Onana (59., für Hunt) und David Kinsombi (59., für Wintzheimer) standen nunmehr vier gelernte zentrale Mittelfeldspieler auf dem Feld. Dudziak und Kinsombi agierten zwar nominell auf dem Flügel, rückten aber häufig weit ins Zentrum ein. Die nominelle 5-4-1-Formation war in der Praxis durch die hohen Außenverteidiger eher ein 3-4-2-1.
Der HSV schaffte jetzt das, was ihm zuvor lange Zeit nicht gelungen war: Sie spielten ihre Überzahl im Zentrum aus. Mit vertikalen Pässen kombinierte sich der HSV von der Abwehr über die Doppelsechs bis zu Dudziak und Kinsombi, die wiederum Richtung Tor zogen. Somit gelang es dem HSV, immer wieder für Entlastung zu sorgen gegen immer weiter vorrückende Sandhausener. Angesichts der mangelhaften Konterabsicherung der Gäste schraubten Onana und Vagnoman das Ergebnis auf ein 4:0 hoch.
Angesichts des zähen Spielverlaufs sollte der Fokus vielleicht gar nicht so sehr auf die vier Tore der Hamburger gelegt werden; diese waren Produkt einer starken Chancenverwertung und einer schwachen Dreierkette des Gegners. Wichtiger aus Hamburger Sicht dürfte sein, endlich wieder ein Spiel zu null abgeliefert zu haben. Erstmals seit dem vierten(!) Spieltag blieb Thiounes Team ohne Gegentreffer. Die defensive Leistung war ein Garant dafür, dass die Hamburger gegen Sandhausen einen ruhigen Abend verlebten. Beim Jahresabschluss in Karlsruhe darf die Null gerne wieder stehen.