Christian Hoch

29. November 2019

Der HSV kann auswärts nicht mehr gewinnen. Auch im sechsten Ligaspiel in Folge blieb die Mannschaft von Trainer Dieter Hecking in der Fremde ohne Erfolg. Dieses Mal wurden die Rothosen sogar für eine erschreckend schwache Phase im ersten Durchgang mit einer verdienten Niederlage bestraft: 1:2 hieß es vor 15.800 Zuschauern am Ende an der Bremer Brücke. Diese Pleite lieferte eine bittere Erkenntnis: Bei der Vielzahl an Ausfällen (Hinterseer, Hunt, Jatta,  Gyamerah, Vagnoman) stößt der HSV-Kader qualitativ an seine Grenzen. Trainer Dieter Hecking übte darüber hinaus deutliche Kritik an der Mannschaft in einem weiteren Punkt.

 

Sportvorstand Jonas Boldt lief mit versteinerter Miene unmittelbar nach dem Schlusspfiff in die Katakomben, Martin Harnik brüllte und gestikulierte auf dem Feld in Richtung seiner Mitspieler, Dieter Hecking saß sichtlich genervt auf dem Podium der Pressekonferenz: Diese Pleite und das sechste Auswärtsspiel in Folge ohne Sieg hatten Spuren hinterlassen. Hecking fand deutliche Worte zur Niederlage: „Wir haben verdient verloren, weil wir nach zwanzig Minuten gedacht haben, dass wir Primaballerina spielen können.“ Was Hecking meinte: Das Zweikampfverhalten des HSV reichte an diesem Abend nicht aus für die Anforderungen dieses Auswärtsspiesl. Hecking: „Das geht so nicht. Wir hatten in den ersten zwanzig Minuten die besseren Chancen, haben dann aber den Gegner wieder ins Spiel gebracht, weil wir nicht in den Zweikämpfen waren und zu viele Fehlpässe gespielt haben. Ich hätte zur Pause noch fünf sechs weitere Spieler auswechseln können, unser Abwehrverhalten war bei beiden Gegentoren nicht akzeptabel. Sie waren allesamt vermeidbar. Wir hatten heute insgesamt keinen Punkt verdient gehabt.“

Hecking lieferte im Anschluss daran auch eine Erklärung dafür, dass der HSV auswärts keine Spiele momentan gewinnen kann: „Wir müssen es lernen, dreckiger zu werden. Auswärts sind die Gegner hochmotiviert gegen uns, da müssen wir viel mehr in die Zweikämpfe investieren. Das machen wir momentan nicht und das ist auch der Grund, warum wir auswärts nicht gewinnen. Wir sind nicht dreckig genug.“

Stimmungsvulkan Bremer Brücke - gute HSV-Anfangsphase

Die Vorfreude der Anhänger des VfL Osnabrück war schon beim Gang zum Stadion „Bremer Brücke“ zu spüren: Es wurde gescherzt, gelacht, sich auf den Knaller gegen den Tabellenführer HSV eingestimmt. Wenige Meter neben Wohnblöcken, einem Supermarkt und einem Sonnenstudio ragten einige Flutlichtmasten empor - der Anblick der Bremer Brücke ließ nicht nur Kinderaugen leuchten, sondern ließ insgesamt das Kribbeln bei allen Zuschauern steigen. Und das Stadion machte an diesem Abend seinem Ruf als romantisches und stimmungsvolles Stadion alle Ehre. Die Stimmung - sowohl bei den VfL- als auch den HSV-Fans - ausgelassen. Es war alles geboten für ein packendes und intensives Zweitligaspiel, das vor allem in Halbzeit eins für eine Mannschaft auch noch besonders erfolgreich wurde.

Die Startaufstellung des HSV bot eine Überraschung: Gideon Jung bekam in Osnabrück den Vorzug vor Timo Letschert, der 90 Minuten auf der Bank saß, dabei aber keinen verletzten Eindruck machte. In den ersten 20 Minuten war der HSV drückend überlegen: Osnabrück beschränkte sich zunächst auf die Defensive, der HSV hatte die Spielkontrolle und hätte in der 23. Spielminute durch Martin Harnik um ein Haar die Führung erzielt. Doch sein Schuss klatschte nur an den Pfosten. Unerklärlicherweise ließen die Rothosen im Anschluss an die Szene bis zur Pause alle Tugenden vermissen, die es braucht, um ein Fußballspiel zu bestreiten. Der Biss in den Zweikämpfen, die Körperspannung und auch einige Prozentpunkte Einstellung zum Spiel fehlten fortan. Die Folge: Das Heimteam, der VfL Osnabrück, witterte seine Chance und wurde mutiger.

Wood-Fehlpass leitet Rückstand ein

In der 34. Spielminute spielte Bobby Wood - ohne Gegnerdruck - einen desaströsen Pass von der Außenlinie in die Mitte und direkt in den Fuß von VfL-Mittelfeldmann Niklas Uwe Schmidt. Ausgerechnet der 21-jährige Leihspieler vom HSV-Rivalen SV Werder Bremen tanzte die Hamburger Verteidiger reihenweise aus und vollendete sein Solo zum verdienten 1:0 für Osnabrück. Die alleinige Schuld am Gegentreffer ist Wood sicherlich nicht zuzuschreiben, doch den Pass darf er so niemals spielen. Weil in der Folge auch Christoph Moritz (hätte Schmidt foulen müssen), Rick van Drongelen und Gideon Jung (ließen sich zu leicht austanzen) nicht gut aussahen, ging Osnabrück in Führung. Spätestens jetzt hielt es die Anhänger dann nicht mehr auf ihren Sitzen: Sie sangen, klatschten und jubelten mit ihren Nebenmännern um die Wette. Immer wieder sprangen die Fans von ihren Plätzen. So auch wenige Augenblicke vor dem Pausenpfiff.

Der HSV hatte seinerseits eine aussichtsreiche Konterchance leichtfertig verschenkt. Beim anschließenden Konter fühlte sich keiner der Akteure in den weißen Trikots dafür zuständig, etwas gegen den Angriff zu unternehmen. Jeremy Dudziak und Adrian Fein liefen nur halbherzig hinterher, Gideon Jung hob das Abseits auf und im Strafraumzentrum stimmte die Zuordnung überhaupt nicht - das 2:0. Dieser Zwischenstand war aus HSV-Sicht genau so erschreckend wie verdient.

Hecking reagiert - Kittel mit dem Anschluss

Trainer Dieter Hecking hatte genug und wechselte zur zweiten Halbzeit gleich doppelt. Wie schon beim vergangenen Heimspiel nahm Hecking die enttäuschenden Christoph Moritz und Bobby Wood vom Feld. Sie wurden durch David Kinsombi und Jairo Samperio ersetzt. Der Spanier nahm die alte Harnik-Position auf dem Flügel ein und der Routinier rückte in die Sturmspitze. Zwei Änderungen für den härtesten Charakter- und Qualitätstest der bisherigen Spielzeit für die - vor der Saison - runderneuerte HSV-Mannschaft.

Und diese nahm den Kampf nun auch wieder an. Es entwickelte sich mit Wiederanpfiff ein einseitiges Spiel. Der HSV drückte - und Osnabrück lauerte auf Konter. Erst scheiterten Jairo (51.) und Harnik (59.) noch knapp, dann belohnte sich der HSV für den Aufwand mit dem Anschlusstreffer - Kittel zog aus gut 13 Metern stramm ab und ließ Osnabrück-Torwart Kühn in dieser Szene nicht den Hauch einer Chance. Mit dem 1:2 war der HSV wieder dran und zurück in der Partie.

Nach Anschluss - Osnabrück überraschend mutig

Wer im Anschluss mit dem großen HSV-Sturmlauf rechnete, wurde bitter enttäuscht. Es war der VfL Osnabrück, der überraschend wieder mutiger wurde und den HSV früh und hoch presste. Die Elf von Daniel Thioune beließ es jedoch nicht nur beim aggressiven Anlaufverhalten, sie suchte immer wieder auch offensiv ihre Gelegenheiten. Der Motor für ihre Bemühungen - natürlich die sensationell aufgelegten Heimfans. HSV-Trainer Hecking wurde also erneut vor das Problem gestellt, eine Lösung für diesen Spielabschnitt zu finden. Er wechselte zum dritten Mal aus und brachte Ewerton (Ligadebüt) für Rick van Drongelen.

Doch der HSV konnte an diesem Abend nicht die Wucht entwickeln, die nach Rückstand im vergangenen Heimspiel gegen Dresden noch zum Last-Minute-Sieg führte. Es blieb beim ernüchternden 1:2 aus Hamburger Sicht, das den HSV zwar noch nicht an diesem Abend, aber wohl im weiteren Verlaufe des Spieltags die Tabellenführung kosten wird. Entscheidender als dieses mögliche Szenario ist jedoch eine andere Tatsache.

 

Diskussion um Krise - Hecking liegt richtig und doch falsch

Seit dem fulminanten 6:2-Heimerfolg in der Liga gegen den VfB Stuttgart werden die Leistungen des HSV stetig schwächer - die Leichtigkeit ist dahin. Das hat natürlich auch mit den Gegnern zu tun, die sich immer mehr und besser auf den HSV einstellen, doch auch andere Faktoren haben ihren Anteil daran. Die Vielzahl an Ausfällen (Hinterseer, Hunt, Jatta, Gyamerah, Vagnoman) kann der HSV-Kader aktuell - vor allem offensiv - nicht auffangen. Wenn die Mannschaft dann in einigen Spielphasen auch noch einige Prozentpunkte Einstellung und Biss vermissen lässt, sind Endstände wie der in Osnabrück auch in der Zukunft immer wahrscheinlicher. Dieter Hecking hat insgesamt natürlich recht, wenn er sagt, dass der HSV nicht in der Krise steckt - immerhin ist man Tabellenführer. Doch der Trend der vergangenen Wochen ist beunruhigend. Und vor allem in Bezug auf die Auswärtsspiele kann das K-Wort nicht mehr wegdiskutiert werden: Der HSV steckt in der Auswärtskrise.

Trainer Hecking war auch nach der Niederlage in Osnabrück nicht müde, seine Sichtweise der vergangenen Wochen zu wiederholen: „Mir ist das zu einfach, immer auf die Auswärtsspiele zu gehen. Wir sind immer noch mit 29 Punkten Tabellenführer. Ich kann unsere Situation realistisch einschätzen: Ja, wir sind gut und hatten auch in diesem Spiel Phasen, die mir gefallen haben. Aber wir müssen es einfach lernen, dreckiger zu werden. Die Niederlage hat nichts damit zu tun, dass uns einige potenzielle Stammspieler gefehlt haben. Die Mannschaft ist immer noch gut, wir gehen momentan auswärts einfach nicht das körperbetonte Spiel der Gegner mit.“

Morgen wird sich Hecking in Hamburg noch einmal in kleinerer Runde den Fragen der Journalisten stellen. Scholle wird das für euch begleiten - und mit weiteren Aussagen beliefern. Zu besprechen werden dabei sicherlich auch zwei Personalien sein. Meine Meinung: Mit der Entscheidung, Gideon Jung anstatt Timo Letschert und erneut Bobby Wood aufzustellen, lag Hecking selbst an diesem Abend daneben. 

Ich wünsche euch trotz der Pleite noch einen schönen Abend aus Osnabrück und ein schönes Wochenende.

Christian

 

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