Marcus Scholz

4. April 2020

Heute wurde den Spielern mitgeteilt, wie sie am Montag trainieren werden. In kleinen Gruppen wird es geschehen - so viel stand vorher schon fest. Es ist der erste, kleine Schritt zu einer gefühlten Normalität, die beim HSV derzeit wie überall auf der Welt nicht vorhanden ist. Wobei, in den letzten Wochen und seit der Entlassung von Vorstandsboss Bernd Hoffmann noch ein bisschen weniger als eh schon. Denn aus dem vorher aktivierten Wahlkampf pro und contra Hoffmann ist ein Nachtreten geworden, das zuletzt in dem gezielten Streuen von Gerüchten und dementsprechend auch vielen Unwahrheiten mündete. Neben Klaus Michael Kühne standen dabei auch die zu Meuterern hochstilisierten Frank Wettstein und Marcell Jansen. Letztgenanntem wurde inzwischen sogar ein angespanntes Verhältnis zu Trainer Dieter Hecking nachgesagt, was dieser gestern noch einmal vehement dementierte. Und zwar in folgendem Interview der Deutschen Presse Agentur (dpa), das die Kollegen Frank Koitzsch und Claas Henning geführt haben und das ich Euch hier von Gänze zur Verfügung stellen möchte. Aber lest selbst:

Frage: Sie sind seit vergangenen Samstag nicht nur HSV-Präsident, sondern auch Aufsichtsratschef. Wie viele Gespräche haben Sie seitdem in Ihrer neuen Rolle führen müssen?

Antwort: Natürlich hatte ich diese Woche einen intensiven Austausch mit Jonas Boldt (Sportvorstand) und Frank Wettstein (Finanzvorstand) sowie einigen Kollegen aus dem Kontrollgremium. Ich kann sagen: Der HSV ist im operativen Bereich voll handlungsfähig. 

Frage: Gab es schon Kontakt zu Trainer Dieter Hecking und der sportlichen Führung?

Antwort: Ja, mit dem Trainer habe ich bereits telefoniert. Wir habe über alles Mögliche und auch meine neue Rolle gesprochen. Mit der sportlichen Führung in Person von Jonas Boldt stehe ich ohnehin in einem engen Austausch, schließlich ist er als einer unserer beiden Vorstände einer meiner wichtigsten Ansprechpartner.

Frage: Es wurde zuletzt spekuliert, Sie hätten Vorbehalte gegenüber Dieter Hecking. Sie sollen Ihn beim Spiel gegen Jahn Regensburg (7.März) kritisiert haben. Wie bewerten Sie Ihr Verhältnis und seine Arbeit?

Antwort: Ich kann bei solchen Spekulationen nur ungläubig den Kopf schütteln. Richtig ist, dass ich beim Spiel gegen Regensburg die erste Halbzeit unserer Mannschaft nicht gut fand und man mir das bestimmt auch ansehen konnte. Mit der ersten Halbzeit des Regensburg-Spiels waren übrigens auch unsere Spieler und unser Trainerteam nicht zufrieden. Wenn aber jede Unmutsäußerung eines Vorstandes oder Aufsichtsrates bei Spielen einer Profimannschaft als Kritik am Trainer bewertet werden würde, gäbe es nach jedem Bundesligaspieltag etliche Krisensitzungen. Ich schätze Dieter Hecking sehr. Ich pflege zu ihm ein gutes, vertrauliches Verhältnis. Wir sprechen gelegentlich miteinander, tauschen uns auch mal aus, um die Meinung des anderen zu hören. Über die von Ihnen angesprochene Spekulation haben wir auch schon miteinander gesprochen und gelächelt.

Frage: Besteht die Chance, dass Dieter Hecking unabhängig von der Frage des Auf- oder Nicht-Aufstiegs in Hamburg bleibt?

Antwort: Ich wüsste nicht, dass Trainerentscheidungen zum Aufgabenbereich des Aufsichtsratsvorsitzenden gehört. Diese Frage richtet sich vielmehr an den operativen Bereich des HSV, genauer gesagt müssten Sie das Jonas Boldt fragen. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass wir, sofern die Corona-Krise eine Fortsetzung der Saison zulässt, unsere sportlichen Ziele erreichen werden und sich diese Frage ohnehin erübrigt.

Frage: Sie haben bereits eine Pressekonferenz gegeben und über die veränderte Lage in der HSV-Führung berichtet. Was aber nie überzeugend zur Sprache gekommen ist: Aus welchen Gründen konnte die Zusammenarbeit mit Vorstandschef Bernd Hoffmann nicht fortgesetzt werden?

Antwort: Dazu haben wir schon alles gesagt. Wir haben uns im Aufsichtsrat intern ausgetauscht, vertraulich, und am Ende mit großer Mehrheit eine sachliche, notwendige Entscheidung getroffen. Jetzt geht der Blick voraus, nicht mehr zurück.

Frage: Ihr Vizepräsident Thomas Schulz ist aus dem Aufsichtsrat zurückgetreten wie der bisherige Vorsitzende Max-Arnold Köttgen. Wie kann es jetzt im e.V. noch ein harmonisches Miteinander geben?

Antwort: Auch dazu wird es von mir keine öffentlichen Kommentare geben, weil wir solche Themen intern besprechen und in einem ehrlichen und offenen Austausch stehen.

Frage: Sie sind 34 Jahre. Als Jungunternehmer haben Sie möglicherweise noch keine umfangreichen wirtschaftlichen Erfahrungen gesammelt. Sehen Sie sich trotz Ihres vergleichsweise jungen Alters in der Lage, den Aufsichtsrat des Vereins bestmöglich zu führen und ihm als Vorsitzender Impulse geben zu können?

Antwort: Dazu möchte ich Ihnen zwei Dinge sagen: 1. Ich sehe mich nicht als Alleinunterhalter. Wir arbeiten auch im Aufsichtsrat als Team, in dem alle erforderlichen Kompetenzen vertreten sind. Denn nur so können wir unserer Verantwortung für den HSV gerecht werden. Meine Kollegen haben mir nach Max-Arnold Köttgens Rücktritt gesagt, dass sie mich gerne als Vorsitzenden sähen. Sie vertrauen mir, darum habe ich der Wahl zugestimmt. 2. Das Alter eines Menschen ist nicht entscheidend, das habe ich in meiner Profilaufbahn und auch danach immer wieder festgestellt. Ich möchte für einen geeinten HSV stehen, mich für gemeinsame Ziele einsetzen und die Aufgabe mit Herzblut für den HSV angehen. 

Frage: Das Vorstandsduo Jonas Boldt/Frank Wettstein hat am Donnerstag den HSV trotz der Corona-Krise in einem guten Zustand beschrieben. Was glauben Sie, wie der Verein durch die Corona-Krise kommt?

Antwort: Ich weiß, dass wir dank intensiver und sehr guter Vorarbeit auf der Geschäftsstelle, dank unserer Gesellschafter und dank des unerschütterlichen Zuspruchs unserer Fans und Partner gut aufgestellt und gewappnet sind. Wir haben einen beachtlichen Zusammenhalt, den wir in dieser Krise nutzen müssen. Gelingt uns das, können wir aus meiner Sicht sogar gestärkt aus ihr hervorgehen. Allerdings, und das haben wir wohl momentan alle gemeinsam, weiß niemand sicher, welches Ausmaß die Folgen der Pandemie am Ende haben wird. Daher müssen wir von Tag zu Tag schauen.

Frage: Und welche Rolle wird Investor Klaus-Michael Kühne künftig spielen?

Antwort: Auch da müssten Sie die operativ verantwortlichen Vorstände fragen. Sie können aber sicher sein, dass wir sehr, sehr froh sind, so verlässliche und unterstützende Gesellschafter bei uns an Bord zu haben. Dazu zähle ich übrigens nicht nur Herrn Kühne. Auch unsere weiteren Gesellschafter sind wichtige Begleiter des HSV. Auch mit ihnen stehen wir bereits im Austausch und werden den Kontakt noch weiter intensivieren. Herrn Kühne, den ich seit zwölf Jahren kenne und mit dem ich stets einen respektvollen, vertraulichen Austausch gepflegt habe und das auch weiterhin tun werde, wird es aber in keinem Fall gerecht, wenn ihm unlautere Absichten oder Einflussnahmen unterstellt werden. Entscheidungen werden bei uns im Volkspark getroffen. Das war so und bleibt so. Ich persönlich hoffe, dass Herr Kühne uns noch lange als Gesellschafter begleiten wird.

 

Ich habe gestern Abend hier zuhause eine ewig lange Diskussion mit meiner Frau über die Maßnahmen in Zeiten der Coronakrise geführt. Dabei haben wir auch immer wieder auf bestehende Theorien verschiedener Virologen zurückgegriffen, um die eigene Meinung zu stützen. Und je länger wir gesprochen/gestritten haben, desto deutlicher wurde, dass wir beide einfach zu wenig wissen können, um zu behaupten, uns ein ultimativ gültiges Urteil bilden zu können. Stattdessen einigten wir uns letztlich auf den für uns beide unbefriedigenden Kompromiss, unsere Meinungen mit den kommenden Tagesgeschehen immer wieder aufs Neue abzugleichen. Soll heißen: Wir einigten uns darauf, dass wir tagtäglich überrascht werden können mit neuen Erkenntnissen, die unser Urteil massiv beeinflussen würden. Und ganz ehrlich: GENAU SO ist es doch auch hier beim HSV. Oder?

HSV-Führung hat sich selbst den Maßstab gesetzt

Auch hier werden Theorien gestreut, die wir genauso wenig klar belegen wie widerlegen können. Fakt ist: Auch beim HSV wird die Zukunft erst wirklich beweisen, ob all die Theorien vom Macht haschenden Jansen, dem Meuterer Wettstein und dem bösen Investor stimmen - oder eben nicht. Bislang stehen unbelegte Thesen der Kollegen, die vorher außergewöhnlich deutlich pro Hoffmann berichtet hatten, gegen die Aussagen der Protagonisten. Jansen hat seinerseits klar formuliert, dass er weder Vorstand werden will noch mit Trainer Hecking ein Problem hat. Und ebenso wie Wettstein hat auch der neue Aufsichtsratsboss in Sachen Kühne die Zukunft bewusst offen gelassen - weil alles andere nicht seriös wäre. Sich heute hinzustellen und eine weitere Zusammenarbeit mit Kühne auszuschließen wäre tatsächlich verheerend - und dumm. Denn offenbar haben sowohl Jansen als auch Wettstein einen guten Draht, den man unter Umständen zum Vorteil des HSV nutzen kann, ohne den HSV dabei in irgendeine Abhängigkeit zu drängen. Und Letztgenanntes wird immer der Maßstab sein, an dem sich die aktuelle HSV-Führung messen lassen muss.

 

Interessant aber wird eh, wie sich der Fußball nach Corona präsentieren wird. Selbst öffentlich-rechtliche Sender wie der NDR ziehen schon allein aus Kostengründen ihr Sponsoring zurück. Und das wird erst der Anfang sein. Wie zu hören war, droht aktuell 12 Klubs die Insolvenz. Sieben Zweitligavereine müssen demnach schon Ende Mai Insolvenz anmelden, wenn bis dahin der Spielbetrieb nicht aufgenommen werden kann und die vierte Rate der Medienpartner nicht an die DFL zur Weitergabe an die Klubs gezahlt wird. Zwei weitere Vereine der 2. Bundesliga müssen im Juni Insolvenz anmelden, wenn die Zahlungen der Sender ausbleiben sollten. Unter diesen Klubs soll auch Arminia Bielefeld sein. dem Tabellenführer der Zweiten Liga wurde von der Stadt bereits angedroht, keine Hilfe erwarten zu dürfen. In der Ersten Bundesliga ist aktuell ein Verein akut bedroht, kann seinen Verpflichtungen nur noch bis Mai nachkommen. Drei weitere Vereine müssten im Juni Insolvenz anmelden. Bleibt nur zu hoffen, dass es letztlich nicht so kommt…

Sicher aber ist, wie ganz Deutschland wird auch der deutsche Fußball wirtschaftlichen Schaden nehmen. Und wenn man als Verein einen finanziell so potenten Mann wie Klaus Michael Kühne in der Hinterhand weiß, wäre man schon mehr als dumm, diesem ohne jede Not die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Das haben Wettstein und Jansen bewusst umschifft. Vielmehr bietet die aktuelle Situation sogar Vorteile für den HSV. Denn die Preise auf dem Transfermarkt werden - wenigstens vorübergehend - fallen. Auch ohne kollabierende Vereine wird die Kaufkraft der Profiklubs durch fehlende Einnahmen sinken. Logisch. Sollten zusätzlich noch Vereine Insolvenz anmelden müssen, würde das automatisch dazu führen, dass etliche Spieler vertragslos auf den Markt gespült würden, die vergleichsweise günstig zu haben sein würden. Aber das nur am Rande, bzw. als Vorwort zu dem, was mir am meisten Sorge bereitet:

Die 50+1-Regel könnte zeitnah kippen

Denn was passiert, wenn die Coronakrise noch länger anhält und den Spielbetrieb tatsächlich ohne sportliches Ende vorzeitig beendet und wirklich Vereine insolvent sein werden? Es wird einen großen Aufschrei geben. Die solidarisch in einen Fonds gezahlten 20 Millionen der vier Topklubs (Bayern, Dortmund, Leipzig, Leverkusen) wären nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Plötzlich stünden die zwei Top-Ligen Deutschlands vor dem Kollaps. Traditionsvereine droht der Sturz in die Tiefen des Amateurfußballs. Plötzlich steht alles auf dem Spiel. Was also wird passieren?

 

Es wird nach Geldquellen gesucht werden. Und einhergehend mit dem Rückgang potenter Sponsoren durch die Coronakrise wird die Diskussion laut werden, die es schon immer gibt: Die Diskussion über die 50+1-Regel. Denn Geld von Investoren wird plötzlich als Rettungsanker gesehen doppelt wertvoll - bzw. in Teilen sogar schlimmstenfalls notwendig. Und so sehr mich der Umstand beruhigt, dass der HSV für diesen Fall mit Kühne tatsächlich einen Joker hätte - so wenig erstrebenswert sind Investorenübernahmen in jeglicher Form für mich. Im Gegenteil. Dieser Gedanke macht mir Angst. Es ist ein Szenario, das mir Sorgen macht, den Fußball zu verlieren, den ich mein Leben lang geliebt habe. Aber wenn ich heute eine führende Position beim HSV innehätte, ich würde einen Teufel tun und Kühne die Tür vor der Nase zuschlagen. Ich hätte es tatsächlich genauso gelöst wie die von vielen hier schon abgeschriebenen Jansen und Wettstein…

In diesem Sinne, hoffen wir erst einmal alle, dass die Coronakrise möglichst zeitnah ein Ende findet und der persönliche wie wirtschaftliche Schaden nicht noch größer wird und noch mehr Existenzen bedroht als heute schon. Vor allem aber wünsche ich Euch, dass Ihr und Eure Liebsten allesamt gesund bleiben.

Bis morgen!

Scholle

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