Tobias Escher

10. November 2020

Der Hamburger SV bleibt weiter ungeschlagen, aber nun auch im zweiten Spiel in Folge ohne Sieg. Das 1:1-Remis gegen Holstein Kiel war ein Spiel zweier Halbzeiten: Während die Hamburger bis zur Halbzeit-Pause 75% Ballbesitz hatten, drehte sich das Verhältnis in der zweiten Halbzeit komplett. Plötzlich hatte Kiel 70% Ballbesitz. Muss sich der HSV vorwerfen lassen, nach der Führung zu passiv agiert zu haben?

Im Spitzenspiel der Zweiten Bundesliga gab es personell keine großen Überraschungen. Beim HSV rückte Toni Leistner neu in die Startelf. Da Trainer Daniel Thioune sich für eine Viererkette in der Abwehr entschied, rückte Moritz Heyer eine Reihe weiter nach vorne. Er begann als Sechser neben Amadou Onana. Jeremy Dudziak agierte als Zehner vor der Doppelsechs. Der HSV begann also in einem 4-2-3-1-System.

Kiel schneidet dem HSV den (Pass-)Weg ab

Holstein Kiel entschied sich, mit einer Mischung aus 4-3-3 und 5-3-2 gegen das Hamburger Aufbauspiel vorzugehen. Auffällig war, wie unterschiedlich sich die Kieler Flügelspieler positionierten: Fin Bartels rückte auf der linken Seite weit nach vorne. Er hatte offensichtlich den Auftrag, Hamburgs Rechtsverteidiger Jan Gyamerah im Blick zu behalten. Dieser hatte gegen St. Pauli für Furore gesagt, als er mehrmals von der Abwehrlinie in die gegnerische Hälfte dribbelte. Bartels sollte verhindern, dass Gyamerah andribbeln kann. Auf der anderen Seite agierte Fabian Reese wesentlich tiefer. Er hatte Tim Leibold im Blick. Dadurch dass Leibold früher vorrückt als Gyamerah, ließ sich Reese weit fallen. Auch er agierte relativ mannorientiert.

Im Mittelfeld setzte Kiel auf hohe Kompaktheit: Ihre drei Mittelfeldspieler verhielten sich im Pressing eher passiv. Einzig Alexander Mühling rückte ab und an nach vorne. Kiel beschränkte sich darauf, die Passwege ins Mittelfeld zu versperren. Gemeinsam mit der mannorientierten Spielweise auf den Flügeln ergab sich ein klarer strategischer Fokus auf Kieler Seite. Ihre Devise: Soll der HSV doch in der Innenverteidigung den Ball laufen lassen. Wir wollen nur verhindern, dass sie in die zweite Linie gelangen.

Taktische Aufstellung Kiel - HSV
Taktische Aufstellung Kiel - HSV

 

Das schafften die Kieler über weite Strecken der ersten Halbzeit. Die Hamburger spielten ihren Ballbesitz vornehmlich zwischen den Verteidigern aus. Allein Stephan Ambrosius spielte knapp 100 Pässe. Der HSV fand aber selten einen Weg um das enge Mittelfeld der Kieler herum. Moritz Heyer war bemüht, sich in den Spielaufbau einzuschalten. Immer wieder ließ er sich auf die halblinke Verteidiger-Position fallen. Doch auch er fand keine Anspielstation vor dem Ball.

Die Hamburger waren aber auch nicht allzu bemüht, riskant in die gegnerische Hälfte zu gelangen. Über die Flügel ging wenig, da der HSV es nie wagte, Überzahlsituationen zu kreieren. Lange Bälle wären ein Weg gewesen, Chaos in das konzentrierte Defensivspiel der Kieler zu injizieren, doch auch diese Bälle blieben Mangelware. Das hatte auch einen strategischen Grund: Der HSV wollte den Kielern nicht in die Karten spielen und keine Ballverluste riskieren. Praktisch immer sicherten fünf Spieler in der hintersten Linie ab. Der HSV hatte kaum Chancen – die Kieler aber mangels Ballgewinnen auch nicht. Die Strategie des HSV führte zwar zu kaum Chancen, ging am Ende aber trotzdem auf. Ein Standard führte kurz vor der Pause zur Führung (43.).

Passiver Auftritt nach der Pause

Durch die Hamburger Führung veränderte sich die Dynamik der Partie nach der Pause komplett. Die Kieler waren gewillt, aktiver am Spiel teilzunehmen – und der HSV ließ es zu. Bei Kiel rückten nun Außenspieler Bartels und Achter Mühling im Pressing weiter vor. Sie versuchten noch immer, Gyamerah vom Spielaufbau auszuschließen, wagten aber dabei einen aggressiveren Ansatz. Immer wieder liefen sie die Innenverteidiger an und zwangen den HSV zu langen Bällen. Nach Ballgewinnen suchte Kiel nicht sofort den Konter, sondern ließ den Ball in den eigenen Reihen laufen. Die Ballbesitzverhältnisse drehten sich komplett.

Und der HSV? Der machte das, was Kiel vor der Pause tat. Sie zogen sich in einem 4-4-1-1 in die eigene Hälfte zurück. Kiels Innenverteidiger durften die Kugel ruhig in den eigenen Reihen laufen lassen. Im Mittelfeld setzte der HSV auf Mannorientierungen: Hamburgs Doppelsechs verfolgte die gegnerischen Achter, Dudziak nahm Jonas Meffert in enge Deckung. Auch der HSV versuchte, den Gegner aus dem Mittelfeld herauszuhalten, allerdings genau andersrum als die Kieler: Auf den Flügeln agierte der HSV raumorientiert, im Zentrum mannorientiert.

Die Kieler hatten sich aber einige Tricks zurechtgelegt, um die Mannorientierungen des HSV zu sprengen. Jae-Sung Lee und Mühling bewegten sich immer wieder weit nach vorne oder nach hinten. Somit zogen sie ihre Manndecker hinter sich her – und öffneten Raum im Hamburger Mittelfeldzentrum. Stürmer Janni Serra oder Linksaußen Bartels bewegten sich anschließend in die freien Räume.

Der HSV verteidigte über weite Strecken des Spiels luftig – und doch ließ er kaum Chancen zu. Das lag zum Einen an der starken Viererkette: Leistner und Ambrosius räumten viele Bälle ab, die in den Raum vor der Abwehr kamen. Zum Anderen erwischten Kiels Angreifer nicht den besten Tag. Serra ließ einige Bälle verstolpern. Wenn Kiel dann doch einmal sauber im Zehnerraum an den Ball kam, folgte häufig ein Pass auf die freien Außen. Die anschließende Flanke konnten sie aber praktisch nie verwerten. Auch hier überzeugte Hamburgs Abwehr, während Kiels Angreifer wenig Präsenz im Strafraum zeigten.

Nackenschlag am Ende

Vielleicht hätte Hamburgs passive Strategie besser funktioniert, wenn sie die eigenen Ballgewinne besser ausgespielt hätten. Hier gab es aber sowohl systematische wie individuelle Schwächen. Systematisch, weil die zentralen Mittelfeldspieler selten in ihrer Position standen. Durch die Mannorientierungen standen sie bei Ballgewinnen häufig in Räumen, in denen sie beim anschließenden Konter nicht sofort helfen konnten. Das zweite Problem: Weder Khaled Narey noch Dudziak erwischten einen guten Tag. Der HSV verstolperte viele Konter.

In der Schlussviertelstunde versuchte Thioune, über Wechsel das Konterspiel der eigenen Mannschaft zu verbessern. Nach der Einwechslung von Josha Vagnoman (78.) verteidigte der HSV in einem 5-3-2. Der ebenfalls eingewechselte Manuel Wintzheimer (78.) brachte ein Mehr an Wucht ins eigene Umschaltspiel. Nachdem der HSV bis zur 71. Minute kein einziges Mal aufs Tor schoss, gab es in den Schlussminuten immerhin drei Abschlüsse.

Einen Sieg konnten die Hamburger trotzdem nicht feiern. Holstein beschränkte sich in den finalen Minuten auf lange Bälle. Vagnoman patzte bei einem dieser langen Bälle, sodass Joker Joshua Mees den Ausgleich erzielen konnte. Es bleibt dabei: Gegen Kiel kann der HSV in der Zweiten Liga einfach nicht gewinnen.

Man muss jedoch auch konstatieren: Der Punkt geht in Ordnung. In der ersten Halbzeit fehlte dem HSV die offensive Wucht. Nach der Pause agierten sie über weite Strecken zu passiv, sodass sie die knappe 1:0-Führung nicht über die Zeit bringen konnten. Die tabellarische Situation bleibt mit 17 Punkten aus sieben Spielen weiterhin rosig. St. Pauli und Kiel bewiesen jedoch auch, dass der HSV auch unter Thioune nicht unbesiegbar ist.

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