Marcus Scholz

7. November 2019

Da hat mein Kollege aber mal für Aufregung gesorgt. Seit 17 Uhr bimmelt mein Handy. Mal sind es Anrufe, dann sind es Whattsapps. Und zuletzt dann noch die Hinweise auf neue Kommentare unter unseren Artikeln in den sozialen Netzwerken. „Steckt der #HSV in einer handfesten Krise oder handelt es sich bloß um ein kurzes Formtief?“, hatte mein Kollege gefragt und dabei auf die Diskussion im Community-Talk hingewiesen. Und, (Achtung, Spoiler!!) eines vorweg: Ich sehe beim HSV alles mögliche - außer den Ansatz für eine Krise. Sportlich zumindest ist dieser HSV von einer Krise so weit entfernt wie Dennis Diekmeier von der Torjägerkanone. Aber das könnt Ihr auch genau so im Community-Talk nachhören:

 

Ich sehe vielmehr ein Problem darin, dass man anfängt, sich zu viele Gedanken zu machen. „Fußball ist zu 80 Prozent Kopfsache“, hatte auch Dieter Hecking zu Saisonbeginn gesagt, was viele weise Fußballexperten vor ihm schon erkannt und geäußert hatten. Und er meinte damit nicht die aktuelle Kopfballschwäche des HSV, sondern die Tatsache, dass Saisonverläufe Auswirkungen auf die Psyche seiner Spieler haben. Heute gestand auch Hecking sogar ein, dass seine Mannschaft in Wiesbaden von der ersten Minute an nicht so ins Spiel gefunden hatte und von der Aufmerksamkeit her nicht so präsent war, wie es nötig wäre. Die Frage danach hatte Hecking am Montag einem Kollegen noch vehement („Quatsch! Hören Sie auf mit so ’nem Scheiß...") um die Ohren gehauen.

Ist diese Art der Argumentation falsch ist? Nein. Nicht unbedingt. Der Trainer macht einfach das, was er machen kann, um gefährliche Diskussionen so einzudämmen, wie es für den sportlichen Erfolg nötig ist. Kurzum: Er stellt sich vor seine Mannschaft und verteidigt sie. Wie in diesem Fall eben auch manchmal wider die eigenen Erkenntnisse. Er geht gegenüber seiner Mannschaft in Sachen Vertrauen deutlich in Vorkasse - und die zahlt bislang auch zurück. Das sieht Kiels Cheftrainer Ole Werner übrigens sehr ähnlich: „Der Verein und die Mannschaft strahlen eine große Stabilität aus. Sie lassen sich nicht beirren und bleiben ihrem Stil treu. Außerdem haben sie eine hohe individuelle Qualität auf dem Platz. Das spiegelt sich auch in den Ergebnissen wider.“

In Sachen Motivation hat sich die Mannschaft in Wiesbaden ihre Auszeit genommen. Zugegeben. Eine Auszeit, die ich ebenso gern vermieden hätte, wie ich sie für unvermeidbar halte. Und wenn ich an Sonnabend denke, kann ich mir eh nicht vorstellen, dass der HSV Probleme haben könnte, sich hochzufahren, wenn es in Kiel im Nordderby gegen Holstein geht. „Es wird ein dreckiges Spiel“, hatte David Kinsombi gestern über das Spiel bei seinem Exklub gesagt und noch einmal verdeutlicht, dass nicht nur er heiß auf das Spiel ist.

Wobei, wenn wir schon bei Kinsombi sind: Der Zugang aus dem Sommer ist ein sehr gutes Beispiel für das, was Hecking in meinen Augen auszeichnet. Denn so, wie Hecking dem Kollektiv nach dem Aussetzer in Wiesbaden Vertrauen vorgeschossen hat - so hat er es auch mit Kinsombi gemacht. Mit einem langfristigen Plan, der über das nächste Spiel hinausgeht. Viele sagen bei Kinsombi - und das völlig zurecht - dass er oft noch unfit wirkt. Kinsombi konnte definitiv noch lange nicht das zeigen, was man sich von ihm versprochen hat. Vor allem nicht das, was in ihm steckt. Aber er wird es noch zeigen - zumindest ist Hecking davon überzeugt. Deshalb gibt er dem Mittelfeldmann mehr Vertrauen, bzw. in diesem Fall mehr Spielzeit, als ihm rein leistungstechnisch in diesem Moment zusteht.

 

Hecking baut sich so einen wichtigen Spieler auf. Er zeigt Kinsombi mit dem Abweichen vom reinen Leistungsprinzip, dass er bereit ist, in ihn zu investieren. Erleichtert wird/wurde diese Entscheidung dadurch, dass sich Kinsombi mannschaftsintern hoher Beliebtheit erfreut und als Teamplayer bei seinen Kollegen so viel Kredit hat, dass sie ihn auch an schwächeren Tagen ohne zu murren mittragen. Mehrfach schon. Und das alles hat einen langfristigen Plan. Denn Hecking weiß, dass er noch nicht komplett auf Kinsombi als Leader bauen kann. Aber er ist sich sicher - und das kann ich sehr gut nachvollziehen - dass Kinsombi mit jedem Spiel besser wird und diesem HSV im Laufe der Rückrunde noch einmal einen ganz entscheidenden Schub geben könnte.

„Es geht bei ihm darum, dass er in den Rhythmus findet. Er muss seine Leistung konstanter abrufen. Noch sind zu viele Schwankungen mit Aufs und Abs dabei. Das ist ein normaler Prozess für mich“, sagte Hecking, und erläuterte: „Erst hatte er den Schienbeinbruch, dann war er in der Vorbereitung auch noch vier Wochen mit einem Muskelfaserriss ausgefallen. Es braucht einfach seine Zeit, bis er wieder der Kinsombi ist, wie wir ihn aus Kiel kennen – mit seiner Dynamik, seiner Power.“ Fakt ist: Sollte Kinsombi in den nächsten Tagen, Spielen, Wichen und Monaten endlich seine Top-Form wieder erreichen, kann er für diesen HSV im Verlauf der Rückrunde noch zu einem so genanntern„Unterschiedsspieler“ werden. Sportlich allemal.

Kinsombi kann und soll zum "Unterschiedsspieler" werden

Aber auch, weil Kinsombi genau mitbekommt, wie viel Vertrauen er hier von allen Seiten entgegengebracht bekommt. Er weiß, dass er in der Pflicht ist, das zurückzuzahlen. Und der Trainer weiß, dass Kinsombi nichts unversucht lassen wird, das und noch mehr zurückzuzahlen. Vielleicht ja schon am Sonnabend in Kiel, wenn Kinsombi auf seine Ex-Kollegen trifft. Genau dort, wo er das letzte Mal seine eigentlichen Möglichkeiten abzurufen wusste, als er für die Störche gegen den HSV traf und zum besten Mann auf dem Platz gewählt wurde. Damals zeigte er, was sich der HSV von ihm versprochen hat und worauf Hecking setzt. Der Trainer hat mehr Geduld als bei anderen - weil Kinsombi es wert ist. Und wenn Kinsombi dieses Vertrauen zurückzahlt, wird Hecking für sein feines Gespür gefeiert. Zurecht.

Wieder bauen kann Hecking übrigens auf Daniel Heuer Fernandes, der nach seinem Infekt heute wieder mittrainieren konnte und dementsprechend am Sonnabend in Kiel wieder einsetzbar sein dürfte.

In diesem Sinne, bis morgen! Ich melde mich morgen früh um 7.30 Uhr wieder bei Euch mit dem MorningCall und wiederhole mich gern zum Abschluss noch einmal: Dieser HSV hat keine Krise. Im Gegenteil, er hat endlich wieder einen Trainer, der den Umgang mit derartigen Situationen so beherrscht, dass im Moment für mich nicht einmal das kleinste Anzeichen für eine eine Krise zu erkennen ist. Das sieht Kiels Cheftrainer Ole Werner übrigens sehr ähnlich: „Der Verein und die Mannschaft strahlen eine große Stabilität aus. Sie lassen sich nicht beirren und bleiben ihrem Stil treu. Außerdem haben sie eine hohe individuelle Qualität auf dem Platz. Das spiegelt sich auch in den Ergebnissen wider.“

Also noch einmal, bis morgen! Da wird übrigens um 15 Uhr öffentlich trainiert.

Scholle

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