Marcus Scholz

16. November 2017

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, hieß es früher immer bei uns, als ich noch ein Kind war – und das gilt beim HSV heute auch. Zwar mit einem weniger kindlichen Thema, allerdings nicht weniger unvernünftig in der Sache. Denn während sich der HSV bzw. in diesem Fall natürlich die HSV AG finanziell und sportlich in akuter Schieflage befindet, streiten sich die Herren Oberen beim HSV um die Verteilung der Entscheider-Posten. Und sie schaffen es auch nach monatelanger Diskussion nicht, sich zu einigen bzw. klare Entscheidungen zu treffen. Und im Gegensatz zu uns früher können die hier Beteiligten nicht einfach mal zu ihren Eltern laufen, die das dann für sie entscheiden. Denn diese Herren sind schon diese übergeordnete, alles entscheidende Instanz. Denken sie. Und das große Problem heute ist – wie beim HSV in den letzten Jahren ja immer wieder – es gibt mehr als einen, hier sogar mindestens zwei Verantwortliche, die die Entscheidungsgewalt für sich beanspruchen.

Auf der einen Seite steht der theoretische Bestimmer (laut Satzung ist das eindeutig e.V.-Präsident Meier), auf der anderen Seite faktische Enztscheider, der den Laden mit seinem Geld (und zunehmender Entscheidungsgewalt im Gegenzug) bislang am Leben erhält: Klaus Michael Kühne. Und das Ergebnis, das sich in den letzten Tagen angedeutet hatte, ist die gestern verkündete Verschiebung der Jahreshauptversammlung ins erste Quartal 2018, nachdem Klaus Michael Kühnes mit Androhungen garnierter Einspruch gegen Meiers Liste auch eben jenen Meier einknicken ließen. Es ist tatsächlich eine Patt-Situation entstanden, von der alle wissen, dass sie den HSV stört. Denn es ist kein Unentschieden zweier Machtbeansprucher, sondern eine Niederlage – für den HSV, der inmitten der Streithähne wieder einmal von Egos und Eitelkeiten erdrückt wird.

Denn die Unruhe um die Besetzung des vakanten sechsten AR-Postens wird weitergehen. Und je mehr Details aus der gestrigen Sitzung bekanntwerden, umso größer werden die Fragezeichen, die hinter dem Ergebnis stehen. Denn Fakt ist, dass Meier sich mit Kühne auf einen Namen geeinigt hatte, der als sechster Mann in den AR einziehen sollte. Diese Person stand auf der Liste, die dem Aufsichtsrat gestern vorgelegt wurde. Laut Aktiengesetz muss das auch so sein, damit die Kontrolleure 30 Tage vor der entscheidenden Gesellschafterversammlung eine Empfehlung an die Gesellschafter (HSV e.V. 76,2 Prozent, Kühne rund 20 Prozent, Helmut Bohnhorts 1,5 %, Familie Burmeister 1,5 % und die Erben von Alexander Margaritoff 0,79 %) aussprechen können.

Das bedeutet, hätte der AR gestern die Liste abgestimmt und sie heute oder morgen den Gesellschaftern samt Tagesordnung für die vom Vorstand zeitgleich einberufene Gesellschafterversammlung zugesandt, hätte man den 18. Dezember als geplanten Termin problemlos einhalten können. Da der e.V. mit mindestens 75,1 Prozent allerdings immer eine entscheidende Mehrheit innehat und diese auf der Gesellschafterversammlung für alle zu treffenden Entscheidungen für sich und seine Interessen nutzen kann, ist das gesamte Prozedere im Vorfeld nicht mehr Wert, als das Papier auf dem es steht.

Also, noch mal zusammengefasst: Der e.V. will nicht, was Kühne fordert – geht aber nach dessen Interview auf dessen Forderungen mit einem neuen Vertrauten des Investors im AR ein. Und: Die Meinung des noch amtierenden AR-Gremiums ist für die entscheidende Gesellschafterversammlung von untergeordneter Bedeutung und nur pro forma einzuholen. Dennoch wurde gestern verschoben. Ein Vorgang, der auch vereinsintern für Verwunderung und Gerüchte gesorgt hat.

Und er lässt neue Gerüchte gedeihen, die nicht unbedingt schmeichelhaft sind für den in Südkorea weilenden Meier. Interessant hierbei: Meier führte die Gespräche mit Kühne in den letzten Tagen und Wochen fast immer allein. Und die Frage, die sich den meisten stellt, ist: Was wurde besprochen, dass ein so intelligenter Mann wie Meier sich dem Risiko aussetzt, aus diesem Theater als großer Verlierer, der vor Kühne einknickt, hervorzugehen? Zumal sich die Gerüchte verdichten, dass Bernd Hoffmann wider eigen Ansage auf der Jahreshauptversammlung des e.V. im Februar gegen Meier bei der Neuwahl des Vereinspräsidenten antreten will...

Ihr seht, wieder einmal dominieren Machtkämpfe und Postengeschachere angetrieben von persönlichen Eitelkeiten das Geschehen. Dabei hat der HSV für nichts weniger zeit als für Unruhe. Denn ganz nebenbei wird auch noch Fußball gespielt. Um sich den Spionen der Schalker (und meinen Oscar-verdächtigen Trainingsvideos) zu entziehen, ging Trainer Markus Gisdol heute ins Stadion, wo niemand zusehen konnte. Neben dem Langzeitverletzten Nicolai Müller fehlte heute wie gestern bekannt wurde auch Albin Ekdal, über den hier wie anderswo sehr intensiv diskutiert wird. Zurecht, wie ich finde. Denn 34 von 80 möglichen Ligaspielen zu verpassen ist einfach schwer erklärbar, wenn darin nicht eine Langzeitverletzung der Marke Müller enthalten ist. Zumal es auch immer wieder Rücken- und Muskelbeschwerden sind. Allerdings würde mir diese Statistik an sich reichen, um zu dem Schluss zu kommen, dass dieser Spieler nicht das Potenzial mitbringt, auf dem man eine Mannschaft aufbaut. Körperlich wohlgemerkt. Und sofern nicht diese eine, ausheilbare Ursache der wiederkehrenden Verletzungen gefunden werden kann, muss der HSV versuchen, Ekdal zu ersetzen.

Und das unabhängig von dem Länderspieltrip, der für mich ebenso unvernünftig und für den HSV schädlich war, wie er menschlich komplett nachvollziehbar war. Denn auch Ekdal hat nur diese eine Karriere, in der er das Bestmögliche schaffen will – und dazu zählt eine WM-Teilnahme ganz sicher. Mehr noch: DAS wird wahrscheinlich wie bei fast allen Fußballprofis das größte Erlebnis seiner Karriere. Dass er dafür die Gefahr einer neuerlichen Verletzung billigend in Kauf nimmt, ist für mich verständlich. Ich hätte es tatsächlich auch so gemacht – zumal es einem Fußballprofi heute doch auch leicht gemacht wird. Sein Geld verdient er bei seinem Verein doch auch so weiter. Und die Verletzung wird auch wieder ausheilen, was in der Chancen-Risiko-Rechnung klar für Ekdals Entscheidung spricht.

Dass das den HSV-Verantwortlichen und -Fans nicht gefällt – das ist nur logisch. Hier steht der HSV ganz oben. Aber jeder Fan sollte sich einmal fragen, was er in Ekdals Situation gemacht hätte. Oder auch, wie er darüber denken würde, wenn Ekdal für den HSV ins letzte Saisonspiel angeschlagen geht, um den Nichtabstieg zu erkämpfen, ihm das auch gelingt – er aber verletzt raus muss und plötzlich Schweden bei der WM fehlt. Jeder hier würde ihn doch für so viel Loyalität feiern, oder?

Nein, die Diskussion um Ekdals erneuten Ausfall müssen wir nicht auf Basis „Playoffs - ja oder nein“ diskutieren, sondern deutlich rationaler anhand der Statistiken und seiner sportlichen Leistungen in den gesunden Spielen. Und was ich dazu sage, habe ich ja schon geschrieben. Insofern würde ich zusehen, ob eine Heilung realistisch ist. Und falls nicht, dann muss der Verein reagieren und eine andere Lösung anstreben. Denn einen Spieler der Kategorie Ekdal braucht die Mannschaft. Und wie wir alle wissen, ist der HSV schon finanziell gar nicht in der Lage einfach noch einen Ekdal zu holen, also einen in gesund. Von daher ist diese Diskussion zu einem logischen Ergebnis zu führen – und das sogar, ohne den Playoff-Trip, der für mich eine Ausnahmesituation darstellt, zu stark ins Gewicht fallen zu lassen.

Am Sonnabend wird Ekdal auf jeden Fall fehlen. Das steht fest. Und für ihn dürfte normalerweise Gideon Jung nach abgesessener Rotsperre wieder ins Team rücken. Wobei auch Vasilije Janjicic wieder einsetzbar ist und der im Training zuletzt auffällig aggressive (aber faire) Walace sich zu empfehlen wusste. Auf der Sechserposition neben dem wohl weiterhin gesetzten Gotoku Sakai dürfte es daher ebenso spannend sein wie bei der Besetzung der Offensive.

In diesem Sinne, bis morgen. Dann hoffentlich nur noch am Rande vom täglichen Wahnsinn der HSV-Führungspositionen und deutlich mehr mit dem Fußball, der bis spätestens Sonntag auf Schalke wieder uneingeschränkt im Mittelpunkt stehen muss.

Bis dahin,

Scholle

 

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