Marcus Scholz

24. Oktober 2017

Als Rick van Drongelen etwas früher den Platz verließ, musste ich kurz innehalten. Verletzt? Fällt der Niederländer ausgerechnet jetzt aus, wo er gerade wieder zurück ist und sich in so guter Verfassung präsentiert hat? Ist damit die Idee der Fünferkette in Berlin schon wieder hinfällig? Die schnelle, beruhigende Antwort des HSV: Keine Verletzung. Nur Belastungssteuerung bei dem Innenverteidiger, der am Sonnabend in einer gut funktionierenden neuen Fünferkette nicht nur seine Zweikämpfe gewann, sondern auch gleich verbal Verantwortung übernahm. „Rick ist einer der jungen Spieler, die richtig Spaß machen. Er will die Verantwortung und trägt sie auch. Das ist beeindruckend“, lobt ihn HSV-Trainer Markus Gisdol ausdrücklich. Und das zurecht, wie ich finde.

Denn egal was man über van Drongelen sagt oder schreibt: Man darf nicht vergessen, dass er gerade erst 18 Jahr alt ist. Der Linksfuß steht also noch ganz am Anfang seiner sportlichen Entwicklung auf Bundesligaebene. Und Anpassungsschwierigkeiten beim HSV hatte er nicht. Im Gegenteil: Er meisterte sogar die Aufgabe, nach langer Zeit plötzlich wieder als Linksverteidiger aufzulaufen, spontan und mit Bravour. Und das wiederum verdeutlichte Gisdol zusätzlich, dass er mit diesen Spielern im Kader eine Fünferkette spielen lassen kann. Vor allem: Dass er sie auch am Sonnabend weiter spielen lässt, wie ich hoffe.

Heute im gut 90 Minuten andauernden Training blieb es bei der Besetzung aus dem Bayern-Spiel. Soll heißen: Neben den drei Innenverteidigern Papadopoulos, Mavraj und van Drongelen agierte Dennis Diekmeier rechts und Douglas Santos links in der Fünferkette. Genau so, wie es am Sonnabend zuletzt gegen den FC Bayern über weite Strecken gut funktioniert hat, so soll es auch in Berlin klappen. Und das ist für mich eine ganz wesentliche Veränderung, die ebenso Verbesserungen bedeutet.

Zum Beispiel für das HSV-Mittelfeld, das so in der Offensive mit den beiden Außenverteidigern eine Überzahl herstellen kann und schnell wieder in eine massierte Abwehr zurückfindet. Vor allem aber, weil man plötzlich wieder auf Gotoku Sakai setzen kann. Der Japaner der zuletzt hinten links in der Viererkette außer Form war, blühte auf der Doppelsechs richtiggehend auf. Vor allem aber brachte er neben dem starken, jetzt gesperrten Gideon Jung, eine spielerische Qualität ein, die dem HSV lange Zeit fehlte. Starke Zweikämpfe, schnelles Umschalten, gut im Eins-gegen-Eins und sicher im Passspiel – das bietet sonst kein Sechser im Team in der Kompaktheit.

Und nebenbei eröffnete es seinem Trainer Gisdol („Go war stark, ein wesentlicher Faktor für unser Spiel“) die Möglichkeit, den lange unglücklichen Douglas Santos so einzusetzen, wie es für den Brasilianer und den HSV am besten ist. Denn Santos, der spielerisch seinem letztjährigen Vorgänger Matthias Ostrzolek (heute Hannover 96) um einiges voraus ist, kann sein Spiel in der Fünferkette deutlich mutiger spielen. Weil er - und damit komme ich wieder auf Rick van Drongelen zurück – abgesichert wird. Der Niederländer ist sein Ausputzer und macht das richtig stark. So, wie der HSV mit den beiden (und Sakai) am Sonnabend einen zweifellos gut aufgelegten Robben weitgehend aus dem Spiel nahm, war das für mich schon beeindruckend. Und wenn ich dann die Ansätze im Offensivspiel etwas weiterdenke, lässt mich das tatsächlich hoffen, dass Santos in den nächsten Wochen die Verstärkung werden kann, die man bei seiner Verpflichtung vor anderthalb Jahren in ihm sah.

Im Training jedenfalls ist erkennbar, dass Santos seine Chance sieht. Er knackt in den Zweikämpfen hart dazwischen, er sucht endlich wieder den Ballbesitz, und er traut sich auch schwierigere Dribblings zunehmend erfolgreich wieder zu. Der Olympiasieger ist nach seinem Wechselwirrwarr im Sommer wieder voll motiviert, was lange Zeit fehlte und was ihn bei Gisdol im Ranking mächtig absacken ließ. Und obwohl ich glaube, dass Gisdol Santos dessen Lustlosigkeit nach dem Sommertheater noch immer nicht gänzlich verziehen hat, macht der Brasilianer das, was am besten funktioniert: er überzeugt mit Leistung. Hoffentlich auch weiterhin.

Und damit liefere ich mir gerade selbst ein Stichwort, denn ein Aspekt ist in meinem gestrigen Blog entweder zu kurz gekommen, oder einfach nur falsch verstanden worden: Ich fordere nicht, dass junge Talente sofort spielen müssen. Zumindest nicht bedingungslos. Denn wie bei allen anderen zählt auch hier das Leistungsprinzip. Aber seit Monaten habe ich das Gefühl, dass Gisdol seine formschwachen Spieler immer wieder bringen muss, weil er keine Alternativen in dem kleinen Kader sieht. Allerdings sehe ich diese eher in den genannten jungen, unverbrauchten Spielern, als in arrivierten Kickern wie Schipplock und Holtby, die lange außer Form sind.

Wobei gerade letztgenannter Spieler für mich ein absolutes Rätsel bleibt. Denn Holtby besitzt nahezu alle Einzelzutaten, um ein wichtiger Spieler zu sein. Antrittsschnell auf den ersten Metern, sehr laufstark, gut im Dribbling, stark im Abschluss und technisch gut kann er sogar den finalen Pass spielen – zumindest im Training. Nur in der Bundesliga bekommt er diese Eigenschaften nicht auf den Platz. Schon gar nicht alle zusammen in einem Spiel. Dennoch, auch wenn das in dem (wie immer von mir höchst amateurhaft gedrehten ;-)) Trainingsvideo heute nicht so rüberkommt, Holtby war heute im Training gut. Sehr gut sogar. Wie so oft.

Wobei ich heute Vormittag ein insgesamt sehr intensives Training gesehen habe, das vorrangig aus Spielformen bestand. Und darin war zu erkennen, dass Gisdol mit der Fünferkette für Berlin liebäugelt. Rückkehrer Albin Ekdal ersetzte den gesperrten Jung und Filip Kostic kam über links – wobei in dieser Spielform elf Feldspieler pro Mannschaft auf dem Platz standen. Ansonsten war alles gleich. Und deshalb gehe ich Stand heute – was noch früh in der Trainingswoche ist –  davon aus, dass Gisdol in Berlin nicht viel verändert.

Apropos Veränderung: Auf der Trainerposition wird sie hier wie anderswo immer wieder gefordert. Dem hatten Sportchef Jens Todt und auch Vorstandsboss Heribert Bruchhagen eine Absage erteilt und stattdessen den Faktor Kontinuität auf der Trainerposition betont. Allerdings wissen wir alle, wie schnell derartige Statements überholt sind, wenn weiter verloren wird. Und auch auf der Position des Sportchefs ist aktuell keine Veränderung geplant. Selbst jetzt nicht, wo Jörg Schmadtke seinen Rücktritt beim 1. FC Köln umgesetzt hat.

Eben jener Manager, der im Sommer mit Anthony Modeste das Tafelsilber des 1. FC Köln verkauft hat bzw. letztlich wohl auch für knapp 35 Millionen Euro verkaufen musste. Und das ist kein Vorwurf. Allerdings hat der Sportchef auch für 34 Millionen Euro eingekauft – und das bislang ohne Erfolg. Weniger noch: Der 1. FC Köln ist in der Europa League dreimal unterlegen gewesen und steht in der Bundesliga mit lediglich zwei Zählern am Tabellenende. Zudem ist er erneut (wie zuletzt schon in Hannover) vorzeitig gegangen, was zumindest ungewöhnlich ist. Insofern will ich mir an dieser Stelle nicht anmaßen, ihn zur Erlösung des HSV zu ernennen. Aber das nur am Rande.

Morgen wird wieder um zehn Uhr trainiert. Dann das letzte Mal öffentlich vor dem Spiel in Berlin. Und ich melde mich dann wie gewohnt am Abend.

Euch allen einen spannenden DFB-Pokalabend, wenn auch ohne den HSV.

 

Scholle

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