Tobias Escher

7. November 2018

Schön anzuschauen war es nicht, das Spitzenspiel der zweiten Liga zwischen dem Hamburger SV und dem 1. FC Köln. Es war auch kein „Spiel für Taktikfüchse“, wie man bei solchen Kicks gerne zu sagen pflegt. Viele Ballverluste und starke Außenverteidiger auf beiden Seiten prägten die Partie. So seltsam es klingen mag: Dass kein Spielfluss aufkam, war die vielleicht größte Stärke des HSV an diesem Abend.

Eine Statistik sagt manchmal mehr als tausend Worte. Im Falle der Partie Hamburger SV gegen Köln lohnt sich ein Blick auf die Torschüsse: 23:11 gewann der HSV in dieser Kategorie. Es war nicht nur der höchste Wert des Hamburger SV in dieser Saison, man stellte sich damit auch wesentlich besser an als die übrigen Gegner der Kölner in Liga 2. Normalerweise erarbeiten sich die Kölner durchschnittlich 16 Schüsse pro Spiel.

HSV mit aggressivem Pressing

Vor dem Spiel spekulierte ich in meiner Vorschau, ob Hannes Wolf für das Spiel gegen Köln den strategischen Fokus verschieben würde: weg vom ruhigen Ballbesitzspiel hin zu einem Pressing-orientierteren Ansatz. Genau das taten die Hamburger in der ersten Halbzeit. Der HSV begann in einem 4-3-3-System, das die Spieler äußerst variabel ausführten. Aaron Hunt schob aus dem Mittelfeld immer wieder nach vorne, um zusammen mit Pierre-Michel Lasogga Kölns Innenverteidiger anzulaufen. Das Mittelfeld schob konsequent nach.

Taktische Aufstellung HSV-Köln

 

Der HSV übte hohen Druck aus auf den Spielaufbau der Kölner. Das behagte den Gästen nicht. Köln eröffnet das Spiel gerne – ähnlich wie der HSV in dieser Saison – ruhig aus der Abwehr. Doch die Hamburger blockierten mit ihrer aggressiven Spielweise die Vorwärtswege für die gegnerischen Verteidiger. Gerade Rechtsverteidiger Marcel Risse hatten sich die Hamburger als Schwachpunkt ausgeschaut. Jann-Fiete Arp störte Risse konsequent. Gleich mehrfach spielte Risse riskante Rückpässe zu Torhüter Timo Horn, zum Pech des HSV war der Torhüter jedoch stets hellwach.

Nach einiger Zeit stellten die Kölner ihre Bemühungen ein, das aggressive Pressing der Hamburger mit flachen Pässen zu umspielen. Sie fokussierten sich fortan auf lange Bälle. Das Mittelfeld der Kölner rückte ungewohnt weit nach vorne, sodass die Zone im zentralen Mittelfeld fast unbesetzt blieb. Das erlaubte es Lewis Holtby, ebenfalls weiter vorne zu attackieren, ohne dass Köln die entstehende Lücke im Mittelfeld hätte ausnutzen können. Doch Ballgewinne erzielte der HSV trotzdem selten, da Köln im Zweifel stets den langen Schlag wagte. Gerade Rechtsaußen Serhou Guirassy erhielt viele dieser langen Bälle, konnte jedoch nur wenige verarbeiten.

Kölns unorthodoxes System

Gegen den Ball hatte der HSV das Spiel voll im Griff. Das Manko: Bei Ballbesitz agierten die Hamburger kaum besser als die Kölner. Sie mühten sich ab gegen das unorthodoxe Kölner System. Kölns Coach Markus Anfang lässt seine Mannschaft äußerst mannorientiert agieren. Gerade im Mittelfeld gehen die Kölner teils zu einer echten Manndeckung über, um den Gegner zuzustellen. Es gab (mal wieder) kein Durchkommen für den Hamburger SV durch das zentrale Mittelfeld.

Gegen den HSV hatte Anfang sich eine weitere Gemeinheit einfallen lassen: Rechtsaußen Louis Schaub lief immer wieder HSV-Innenverteidiger Rick van Drongelen an. Er machte dies so geschickt, dass er die Passwege zu Hamburgs linker Seite versperrte. Van Drongelen musste den Ball auf rechts verlagern. Hier gingen die Kölner sofort zu einer engen Manndeckung über. Guirassy nahm Gotoku Sakai aus dem Spiel, Salih Özcan rückte wechselweise auf Orel Mangala oder Holtby. So sah sich auch der HSV gezwungen, gegen die aggressiven Kölner auf Langholz zu setzen.

Beide Teams wählten einen gänzlich unterschiedlichen Ansatz im Spiel gegen den Ball, doch beide Ansätze funktionierten auf ihre Art. In den ersten sechzig Minuten entstand ein wenig ansehnliches Spiel, das von Fehlpässen auf beiden Seiten geprägt war. Nur wenn beide Teams den Druck kurze Zeit niedrig hielten, entstand so etwas wie ein Spielfluss.

Dieser stoppte meist abrupt, sobald der Ball auf die Außen ging. Die Außenverteidiger waren auf beiden Seiten die stärksten Spieler. Sie führen bei ihren Teams die Statistiken für die meisten gewonnen Zweikämpfe an. Sämtliche Außenstürmer waren aus dem Spiel genommen. Die Sturm-Stars Pierre-Michel Lasogga und Simon Terodde waren dadurch keine Faktoren im Spiel. Sie bekamen schlicht keine Flanken oder Pässe von den Außenstürmern, die für ihr Spiel so wichtig sind.

HSV dreht in der Schlussphase auf

Bis zur 60. Minute war die Partie auch in der Statistik ausgeglichen: Beide Teams gaben jeweils acht Schüsse ab. Absetzen konnte sich der HSV erst in der Schlussphase. Das hatte weniger mit taktischen Änderungen zu tun als mit den sich veränderten Kräfteverhältnissen. Beide Teams wirkten nach der intensiven Partie ausgelaugt. Der HSV zog sich öfter in einem 4-1-4-1 in die eigene Hälfte zurück, während die Kölner auf ein raumorientierteres 4-4-1-1 umstellen mussten; das hohe Pressing ließ sich nicht über neunzig Minuten durchziehen.

Das defensivere System der Hamburger funktionierte schlicht besser als jenes der Kölner. Bei den Kölnern stimmten die Abstände nicht. Das Mittelfeld ließ sich zu tief fallen, sodass Mangala fortan völlig unbedrängt aus der Zentrale walten und schalten konnte. Auch eröffnete sich plötzlich Raum für die Hamburger Außenverteidiger, die zuvor stets aggressiv angelaufen wurden. Douglas Santos dankte es den Kölnern, indem er den Siegtreffer praktisch im Alleingang einleitete (86.).

Mit der Leistungssteigerung in der Schlussphase verdienten sich die Hamburger ihren Sieg. Sie zeigten in dieser Partie ein neues Gesicht: mehr kollektives Pressing-Monster denn Ballbesitz-Team. Auch wenn die Abstände im 4-4-2-Pressing nicht immer stimmten (die Abwehr hätte weiter vorne agieren können), funktionierte der neue Stil überraschend gut.

Fraglich ist, ob sich dieser Stil auch im kommenden Spiel gegen Erzgebirge Aue anwenden lässt. Nach dem Spitzenspiel wartet nun wieder der graue Alltag auf den HSV. Aue wird den Favoriten in einem defensiven 5-3-2-Block oder gar einem 5-4-1 erwarten. Wie gut die Defensive der Auer funktioniert, zeigt ein Blick auf die Bilanz: Gerade einmal vier Gegentore mussten sie in fünf Heimspielen hinnehmen. In Aue werden also wieder Lösungen im Ballbesitz gefragt sein. Ich bin gespannt, was Wolf sich für die Partie einfallen lässt. Denn so wichtig der Prestigesieg gegen Köln ist: Der Aufstieg führt nur über Siege gegen Teams wie Aue.

FAQs

 
 

Über uns

Die Rautenperle - das ist ein Team aus jungen Medienschaffenden und Sportjournalisten mit großer Affinität zum HSV. Wir sind 24/7 bei den Rothosen am Ball und produzieren frischen Content für Rautenliebhaber.

Unser Ziel ist es, moderne, unabhängige Berichterstattung und attraktiven, journalistischen Content für junge und jung gebliebene HSV-Anhänger zu bieten. Wichtig ist uns dabei, eine neue Art des Sportjournalismus zu präsentieren: dynamisch, zeitgemäß, zielgruppengerecht. Weg von verstaubten Zeitungsspalten und immergleichen Phrasen.

Die Rautenperle ist aber nicht nur ein Ort, um sich zu informieren, sondern soll auch immer ein Ort des Austausches und des Miteinanders sein. Wir wollen eurer Leidenschaft einen Platz im Netz bieten: zum Diskutieren, zum Mitfiebern, zum Mitmachen.