Tobias Escher

23. September 2019

Das Thema Tiefe tauchte in meinen Taktikanalysen der vergangenen Saison häufig auf. Oder besser gesagt: die fehlende Tiefe im Hamburger Angriffsspiel. Im Vorjahr gelang es dem Hamburger SV zwar, Spiele in Abwehr und Mittelfeld zu dominieren. Doch in den Strafraum gelangten sie selten. Spieler, die hinter die gegnerische Abwehr starteten? Fehlanzeige. Der 4:0-Erfolg gegen Erzgebirge Aue bewies, wie sich das Team unter Dieter Hecking in dieser Disziplin weiterentwickelt hat. Vor allem ein Neuzugang ragte heraus.

Nach der Derby-Pleite veränderte Hecking seine Startelf auf drei Positionen. Jeremy Dudziak, Martin Harnik sowie Aaron Hunt begannen für Bakary Jatta, Khaled Narey und David Kinsombi. Taktisch veränderte sich damit vor allem das Spiel über die Außen. Startete der HSV bisher in dieser Saison zumeist mit zwei klassischen Flügelstürmern, gestaltete sich die Aufgabenteilung gegen Aue anders. Auf links startete Kittel, der eigentlich im offensiven Mittelfeldzentrum beheimatet ist. Rechts feierte Harnik sein Startelf-Debüt, der eigentlich gelernter Mittelstürmer ist. Entsprechend interpretierten beide ihre Rolle: Kittel zog häufig zentral ins Zentrum, während Harnik von der rechten Seite aus diagonal Richtung Tor startete.

HSV drückt kompakte Auer nach hinten

Harniks Läufe in die Tiefe waren eines der auffälligsten Merkmale im Hamburger Offensivspiel. Im gesamten Spiel versuchten die Hamburger, in der letzten Linie Tiefe zu kreieren. Harnik, aber auch Lukas Hinterseer und Hunt starteten immer wieder hinter die Abwehr.

Normalerweise haben solche Tiefenläufe den Effekt, den Gegner nach hinten zu drücken: Die gegnerische Abwehrkette reagiert auf die Sprints, einzelne Spieler gehen die Läufe mit oder die gesamte Abwehrkette schiebt kollektiv ein paar Meter zurück. Nicht immer hat die Präsenz an der gegnerischen Abwehr daher das Ziel, dass die Stürmer den Ball erhalten. Häufig erfüllen sie einfach nur die Funktion, den Gegner nach hinten zu drücken und Räume im Mittelfeld zu öffnen. Tiefenläufe sind daher enorm wichtig; sie haben dem HSV vor allem in der Vorsaison gefehlt.

In dieser Partie gestaltete es sich jedoch anders. Aue reagierte nicht wirklich auf Hamburgs Tiefenläufe. Selbst wenn der HSV mit fünf Spielern an die Auer Viererkette rückte, hielt diese recht starr die Position. Aues Abwehrreihe rückte weit nach vorne, um die Abstände zum Mittelfeld gering zu halten. Ihnen gelang es damit zwar, den Raum zwischen den Ketten zu verschließen. Es entstand jedoch ein anderes Problem: Aues Abwehrkette ließ sich mit langen Bällen überspielen.

Taktische Aufstellung HSV-AUE

 

Van Drongelen als Quarterback

Dass Aue große Probleme mit langen Hamburger Bällen hatte, lag auch an ihrem fehlenden Pressing. In vorderster Linie verteidigte Aue recht passiv: Ein Stürmer lief den gegnerischen Spielaufbau an, während sich der zweite zurückfallen ließ. Er hatte die Aufgabe, Adrian Fein in Manndeckung zu nehmen. Die Gäste verteidigten somit in einem 4-4-1-1, teils sogar in einem 4-5-1. Hamburgs Innenverteidiger konnte den Ball mangels gegnerischem Druck in Ruhe laufen lassen – und in der Folge den Ball direkt hinter Aues Abwehr spielen.

Während Harnik auf der rechten Seite stark tororientiert agierte, suchte der HSV auf der linken Seite eher die spielerische Lösung. Jeremy Dudziak, Kittel und der einrückende Linksverteidiger Tim Leibold kombinierten hier miteinander. Raumgewinn erzielten sie kaum, sie konnten aber den Gegner weit auf diese Seite locken.

Auftritt Rick van Drongelen: Er war im Hamburger Spielaufbau der entscheidende Mann. Wenn der Gegner auf die linke Seite gelockt war, schlug er von der halblinken Verteidiger-Position aus lange Diagonalbälle auf den startenden Harnik. Der konnte sich auf rechts völlig frei bewegen, war der Gegner doch weit auf die andere Seite eingerückt. Dadurch dass Aue zwar hoch verteidigte, aber vorne keinen Druck ausübte, konnte der HSV die langen Diagonalbälle problemlos spielen. Nachdem sie diese Taktik in der Anfangsphase mehrmals versucht hatten, führte es im Spielverlauf zum Erfolg. Ein langer Diagonalball leitete sowohl das 2:0 durch Hinterseer als auch das 3:0 durch Harnik selbst ein.

Sieg ohne viel Aufwand

Diese großartigen Spielzüge kaschierten, dass der HSV ansonsten nicht so dominant auftrat wie noch an den ersten Spieltagen. Bei gegnerischem Ballbesitz zog sich der HSV im 4-1-4-1 weit zurück, gerade nach dem 1:0 hielten sie den Druck nicht mehr hoch. Sie taten das auch in dem Wissen, dass Aue große Mühe mit dem eigenen Spielaufbau hat. Deren tief postierte Sechser fanden nie die Anbindung an das eigene Offensivspiel.

 

Der entscheidende Faktor für den Sieg war neben van Drongelens Diagonalbällen die Effizienz vor dem Tor. Aus neun Torschüssen erzielte der HSV vier Tore; da zeigte sich der HSV in der Vergangenheit wesentlich ineffizienter.

Der positivste Aspekt des Spiels dürfte aber die Rolle von Harnik gewesen sein. Er bewies, dass er mit seinen Tiefenläufen einen Aspekt in das HSV-Spiel bringt, der in den vergangenen Monaten häufig gefehlt hat. Heckings taktische Möglichkeiten wachsen mit ihm – und der Trainer beweist, dass er Harnik richtig einzusetzen weiß.

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