Marcus Scholz

9. Juli 2020

Es wird in den nächsten Tagen und Wochen hoch hergehen. So, wie heute. Da werden gleich zwei potenzielle Neuzugängen präsentiert – für eine Position. Christian Gytkjaer von Lech Posen wäre ablösefrei ab dem 1. August zu haben. Der Däne erzielte in der ersten Klasse Polens 21 Treffer in 31 Pflichtspielen. Dazu  gesellen sich noch zwei Assists – eine echt sehr gute Quote. Die hat allerdings auch Manuel Schäffler, der in der abgelaufenen Zweitligasaison 19 Tore erzielte – davon zuletzt auch zwei beim 2:3 (aus Wehen Wiesbadener Sicht) beim HSV. Auch der Wiesbadener soll beim HSV auf dem Wunschzettel ganz oben stehen. Genauso wie Simon Terodde vom 1. FC Köln übrigens. Ach ja, und natürlich Hendrik Weydandt von Hannover 96, der mit 24 Lenzen bei weitem jüngste Kandidat,. Denn die oberen drei sind allesamt jenseits der 30 Lenze angekommen. Und eines ist klar, alle vier zusammen kommen sicher nicht. Was mir aber noch wichtiger ist, als der Name des nächsten Neuen ist, wie dieser tickt. Denn nach all den richtigen Ansätzen, die der neue HSV-Trainer Daniel Thioune in der Thioune schon angebracht hat, sie müssen auch umgesetzt werden. Jetzt.

Und dazu zählt neben der sportlichen  Qualität vor allem der Charakter. Was bringt es beispielsweise, von Demut zu schwadronieren, und im nächsten Schritt mit einem Terodde beispielsweise ein teures Auslaufmodell zu kaufen und seinen hiesigen Akteuren vor den Kopf zu stoßen? Und das meine ich ganz und gar nicht despektierlich dem Kölner Angreifer gegenüber. Der bringt ein hohes Maß an Qualität mit. Der vierfache Torschützenkönig der Zweiten Liga wäre eine recht verlässliche Torgarantie. Aber eben auch sehr teuer und (noch) ohne jeden Bezug zum HSV. Vielmehr ist Terodde ein gestandener Profi auf seinen vermutlich letzten Karrieremetern. Also ganz das Gegenteil dessen, was man unter dem Begriff „Talententwicklung“ führen kann. Und die Frage ist: Schlägt hier schon das erste Mal die teuer erkaufte, schnelle Qualität den Ausbildungsgedanken?

HSV sucht oft in der Ferne, was er vor der Nase hat

Ich will hier auch weiterhin gar nicht erst großartig auf Gerüchte eingehen, solange von HSV-Seite nichts dazu zu hören ist. Ich glaube auch absolut nicht daran, dass Terodde zum HSV kommt. Weder er scheint zu wollen – noch will und kann ihn der HSV teuer bezahlen. Aber anhand der ganzen Spekulationen sollte man sich beim HSV fragen, ob man seinen eigenen Kader schon ausreichend ausgekostet hat – oder ob das Glück nicht deutlich näher liegt. Immerhin hat der HSV mit Lukas Hinterseer noch einen vergleichbaren Stürmertypen im Kader. Einen, der in Hamburg eine enttäuschende Saison hinter sich hat und wie die Fans auch selbst höchst unzufrieden ist. Was aber, wenn Hinterseer bei Thioune noch einmal aufblühen könnte, wenn dieser ihn zu packen bekommt? Thioune könnte den Österreicher noch einmal an seine alte Form heranführen und damit eine ganz eigene Geschichte zwischen Hinterseer, ihm als Trainer und dem HSV schreiben. Oder anders formuliert: Er würde über Vertrauen eine Bindung schaffen, die leistungssteigernd wirkt und über das Spiel auf dem Platz hinaus wertvoll sein kann.

Was ich sagen will: Dieser HSV spricht wie jedes Jahr wieder zuerst von dem, was man gern haben will. Nicht von dem, was man hat und noch steigern kann. Hinterseer ist nur ein Beispiel für viele Fälle im HSV-Kader, bei denen Spieler hier nicht an ihre zuvor gezeigten Leistungen herankommen konnten. Und dieses „In Hamburg werden alle Spieler schlechter“ kommt nicht von ungefähr. Zuletzt hatte Herr Dr. Ringelband dazu einen sehr interessanten Ansatz und sprach von einem nur noch mittelmäßigem Leistungsanspruch beim HSV. Vor allem dafür verantwortlich ist das, was der HSV seit etlichen Jahren vermissen lässt und nach eigenen Angaben sucht: Eine funktionale Kultur.

 

Die schafft man auch nicht einfach, indem man teuer einkauft. Siehe Hinterseer in der abgelaufenen Saison. Oder Kinsombi. Oder Amaechi. Oder, oder, oder… Aber gerade Hinterseer bietet auch eine riesengroße Chance. Denn diese erlebte Enttäuschung Hinterseers mit geschenktem Vertrauen und motivierender Art umzukehren, könnte ein erster Beweis Thiounes dafür sein, dass er sehr wohl Spieler besser machen kann. Und das, obwohl er ihn gar nicht besser macht, sondern letztlich nur das herausholt, was Hinterseer vor dem HSV schon mehrfach bewiesen hat. Win-Win nennt man sowas, glaube ich.

Zudem würde eine Kultur gelebt, die aufzeigt, dass den Spielern in Hamburg vertraut wird, dass man auch dann an sie glaubt, wenn sie Fehler machen oder schlecht spielen/gespielt haben. Dr. Olaf Ringelband ist in seinem ersten Beitrag für die Rautenperle noch ein Stück weiter gegangen und schrieb:

„Es gibt in Vereinen offenbar so etwas wie eine ‚Kultur‘, die unabhängig von den jeweils handelnden Personen existiert… Kultur wird von oben herab geprägt - wenn der Chef einer Baufirma auf der Baustelle keinen Helm trägt, prägt das die Kultur der Firma, wenn der Chef ein dickes Auto fährt und gleichzeitig Gehaltserhöhungen verweigert, ist das auch kulturprägend.“

Und damit komme ich zu einem Punkt, der  interessant wird. Denn während der HSV jahrelang von Expansion in Form von Internationalisierung gesprochen hat, baute er sportlich konstant ab. Inzwischen ist man ein fester Bestandteil der Zweiten Liga und selbst die treuesten Partner wenden sich ab.

Emirates geht nach vielen Jahren als Hauptsponsor von der Brust, Klaus Michael Kühne will seine Anteile verkaufen. Der Etat muss aktuell um 7 Millionen Euro auf „nur“ 23 Millionen Euro gesenkt werden – und alle jammern. Dabei ist noch lange vor der finanziellen Konsequenz in meinen Augen der Weg dorthin das, worüber man sich hier in Hamburg am meisten ärgern sollte. Denn man hat in den letzten Jahren alle die verloren, die dem HSV am nächsten sind. Man hat in der weiten Welt bei den Großen sein Glück gesucht, und parallel den lokalen Partnern signalisiert, dass sie nicht gut genug sind. Hierbei nenne ich nur das Beispiel König Pilsener. Die Brauerei ist aktueller Bierpartner des HSV und hat vor wenigen Jahren Holsten als zuvor über Jahrzehnte in allen Phasen treuen, traditionellen HSV-Bierpartner ersetzt. Weil man von „Köpi“ etwas mehr Geld bekommen hat, zählte Treue nichts mehr. Hätte der HSV hier trotz der finanziellen Verlockung seinem alten Partner für ein paar Euro weniger die Treue gehalten – er hätte auf Führungsebene so gehandelt, wie man es von seinen Mitarbeitern verlangt: Er hätte Loyalität gelebt und für ein paar Hunderttausend Euro  demonstriert, dass Geld nicht über allem steht. Vor allem aber hat sich der HSV zwar international weiter entwickelt – dafür hat er aber den Bezug zur Heimat verloren. Und wie wichtig jetzt loyale Hamburger Unternehmen für den HSV jetzt wären, brauche ich sicher nicht zu erläutern…

 

Problem hierbei: Das Geld stand beim HSV über allem. Jahrelang. Wer mehr zahlt, ist dabei. Siehe Köpi. Auch Kühne gab viel Geld und machte die handelnden Vorstände träge. Sie mussten plötzlich nicht mehr fleißig Klinken putzen, sondern bekamen alles auf einen Schlag. Interessierte Hamburger Unternehmen wurden verprellt, weil andere mehr zahlten. Da die Vorständer das Geld aber maßlos und schnell verpulverten, indem überteuerte Spieler kamen, anstatt dass man Eigengewächsen eine Chance gab – verlor der HSV nicht nur den Bezug zu den Hamburger Unternehmen, sondern auch viel Geld, den Status Bundesligadino und zuletzt auch jeglichen guten Ruf. Und das alles sucht man heute. Es ist ein Schaden entstanden, den der HSV heute im finanziellen Jammertal teuer bezahlt. Denn die Umkehr von dieser wertlosen Handlungsmaxime wirkte zuletzt nicht gewollt, sondern finanziell erzwungen.

HSV muss noch Vertrauen zurückgewinnen

Noch vertrauen die Fans nicht darauf, dass man hier endlich einen gemäßigten, finanziell gesunden und vor allem sympathischen Weg aus Überzeugung geht. Und das, obwohl Thioune das sehr glaubhaft erklärt und in Osnabrück schon bewiesen hat, dass er genau das kann. Den „Reset-Knopf drücken“ klingt so einfach – es ist es aber nicht. Das wissen alle. Gerade der HSV muss nach jahrelang wiederholten Fehlern Zeit in Kauf nehmen, um das Gegenteil bei den eigenen Anhängern und seinem wirtschaftlichen Umfeld zu schaffen. Auch mit internen Entscheidungen. Gestern beispielsweise gab es einen recht unbeachteten kleinen Artikel bei den Kollegen der BILD, in dem es um die Neubesetzung des dritten Vorstandspostens ging. Der Neue sollte nicht der starke Mann á la Bernd Hoffmann werden, sondern seinen Schwerpunkt in der Vermarktung und Digitalisierung haben. Und hierbei wurde schnell der Name Markus Frömming reingeschmissen. Warum? Nicht, weil er der Beste ist. Aber sehr wohl, weil er naheliegend wäre. Als Kühne-Vertrauter könnte man so vielleicht wieder verloren gegangenen Boden beim Milliardär und Anteilseigner gutmachen. Kommt Frömming in den Vorstand, wäre Kühne wieder da - glauben einige. Und  selbst wenn das so wäre und Kühne dadurch den Stadionnamen wieder kauft: Es wäre ein fatales Zeichen. Behaupte ich.

Denn intern arbeitet eine Marketingabteilung beim HSV, die von allen Seiten ständig gelobt wird. Selbst den verlorenen Hauptsponsor soll schon zeitnah ersetzt sein, ist zu hören. Und ohne Frömming qualitativ zu nahe treten zu wollen – er wäre eine „Kompromisslösung“. Er würde strategisch eingesetzt und einem qualitativ verdienten Mitarbeiter – in diesem Fall dem viel gelobten Marketingdirektor Henning Bindzus - vorgezogen. Leistungskultur? Null. Und egal, wie oft die aktuellen Spieler bestreiten, sich für Vereinsmeierei zu interessieren, sie bekommen alles mit. Sergej Barbarez gab jüngst im „kicker“ zu Protokoll, dass alle Funktionärsstreitigkeiten sehr wohl in der Kabine mitbekommen würden. Im Zuge des Neuanfanges gleich einmal eine Führungsposition „strategisch“ statt nach Leistung beurteilt zu besetzen wäre das falscheste Signal. Aber dazu morgen mehr. Denn da wird sich Dr. Olaf Ringelband noch einmal mit diesem Thema beschäftigen. Und ich freue mich schon jetzt darauf…!

Fazit: Egal ob Hinterseer, Holsten oder Marketingdirektor Bindzus - der HSV sollte endlich lernen, das Naheliegende zu sehen und ausreichend zu schätzen. Denn hier lässt sich tatsächlich eine Kultur der Werte aufbauen, mit der sich wahrscheinlich fast alle HSVer anfreunden können. Egal, ob Fan oder Verantwortlicher. Vor allem aber würde sich das auch auf die gelebte Kultur innerhalb des HSV positiv auswirken – bis tief in das Kabineninnere hinein.

In diesem Sinne, bis morgen. Da melde ich mich früh um 7.30 Uhr wieder mit dem MorningCall bei Euch, ehe sich dann am Abend Herr Dr. Ringelband mit seinem zweiten Artikel meldet, auf den ich mich übrigens extrem freue.

Bis dahin,

Scholle

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