Marcus Scholz

21. Mai 2020

Vatertag - damit haben bei den HSV-Profis nur die wenigsten zu tun. Von daher war es für niemanden heute ein großes Problem, statt mit Bollerwagen durch die Gegend zu ziehen auf dem Platz zu stehen. Auch nicht für Trainer Dieter Hecking, dessen Sohn ihm am Sonntag auf der gegnerischen Seite gegenübersteht. Als Chefscout arbeitet Sohnemann Jonas für Arminia Bielefeld und wird versuchen, zuhause noch mal alles aus Vater Dieter herauszuholen, was dem Tabellenführer am Sonntag helfen kann. Auf der anderen Seite versucht Trainer Dieter Hecking seinerseits, alles aus der Mannschaft herauszuholen - und dabei setzt er auf Konstanz. Zumindest stellte er heute im Training wieder so auf, wie zuletzt in Fürth. Daniel Heuer Fernandes im Tor, davor Josha Vagnoman, Timo Letschert, Jordan Beyer und Tim Leibold erneut in der Viererkette. Im Angriff stünden Jairo, Joel Pohjanpalo und Bakery Jatta auf dem Platz. Wobei Hecking hier während des Trainings eine Änderung vornahm und Lukas Hinterseer anstelle Pohjanpalos in der Sturmspitze spielen ließ. Soll heißen: Auch im Mittelfeldzentrum setzt der HSV-Trainer erneut auf sein Dreigestirn Fein/Dudziak/Hunt, das in Fürth nicht gut funktioniert hat. Sage ich. Der Trainer und viele andere sahen das anders. Ganz offensichtlich.

 

Ich hatte ja gestern schon angekündigt, heute mal auf die Aufstellung einzugehen. Und ja: Vor zwei Topspielen wie gegen Bielefeld am Sonntag und am kommenden Donnerstag in Stuttgart würde ich als Trainer wahrscheinlich auch nicht zu viel neu machen. Einfach, um Unruhe zu vermeiden. Wobei genau hierin der Unterschied zwischen guten Trainern und sehr guten Trainer liegt: Der sehr gute erkennt, wann er mit etwas Neuem seiner Mannschaft die Impulse mitgibt, die zuletzt gefehlt haben. Es erfordert viel Mut und Überzeugungskraft, vor so entscheidenden Spielen Dinge auf dem Platz und im eigenen Spiel erfolgreich umzustellen. Mut, den ich hier als Blogschreiber ganz locker aufbringen kann - weil ich nie daran gemessen werde und weder den Aufstieg vermasseln noch Spiele gewinnen kann. Das macht es mir leicht. Aber das nur vorweg.

Ich hatte am vergangenen Wochenende schon gesagt und anschließend auch geschrieben, dass mir beim HSV die Konstanz grundsätzlich sehr gut gefällt, die Hecking einführt und vorlebt. Auch personell. Auf der anderen Seite scheint mir diese Konstanz zunehmend in kontraproduktive Routine abzurutschen. Denn egal wie oft ich vorn und hinten austausche, wenn das Mittelfeldzentrum nicht funktioniert, fehlt dem Spiel der Rhythmus. Und wenn eines in den letzten Wochen und Monaten klar geworden ist, dann, dass der HSV ohne Jeremy Dudziak der Zug nach vorn fehlt. Ebenso klar ist, dass ein funktionierenden Adrian Fein für das HSV-Spiel unabdingbar ist - denn nur dann kann Aaron Hunt seine Qualitäten auf den Platz bringen. Von dem Kapitän aber zu erwarten, dass er das Spiel lenkt, an sich reißt und/oder seine Mannschaft zum Sieg dirigiert - das ist inzwischen eher die Ausnahme denn die Regel.

Stattdessen ist Hunt inzwischen ein Spieler, über den alle sagen (auch ich!), dass er vom Typ her sehr wichtig ist - aber wenn das irgendwann als Kompensation für fehlende sportliche Effizienz herhalten muss - dann wird es Zeit für Veränderung. Von daher bleibe ich auch dabei, dass der HSV im Zentrum nur dann mit Hunt funktioniert, wenn Dudziak und Fein funktionieren. Sollte Hecking das für Sonntag erwarten, kann Hunt wichtig werden. Sollte er sich hier neue Impulse erhoffen, wird es schwierig. Wie überall im Leben hat auch im Fußball alles seine Zeit. Und die schreit danach, dass  sich der HSV auf dieser wichtigen Position zur neuen Saison dringend verstärken muss. Was das für Sonntag bedeutet? Tatsächlich nichts! Gar nichts! Es sind noch acht Spiele bis zum erhofften Wiederaufstieg. Und dabei sind alle Mittel recht.  Und ich als Trainer würde der Mannschaft versuchen, genau diese Haltung zu verinnerlichen. Soll heißen: Klugscheißen, wie ich es gerade mache, zählt nen Sch.…

 

Wenn Hecking sich sicher ist, dass Hunt am Sonntag funktioniert und der HSV gewinnt - dann hat er alles richtig gemacht. Und eines ist klar: Der Trainer hat nicht nur gefühlt hundert Jahre mehr Erfahrung - er ist auch so nah an der Mannschaft dran, wie kein anderer. Von daher: Augen zu und durch! In dieser Phase muss jeder Spieler, jeder Verantwortliche - und eigentlich auch jeder fan alles hintenanstellen, was man ansonsten grundsätzlich diskutieren kann. In dieser Phase (gerade in der ungewohnten  Geistesspiel-Atmosphäre) werden eh viele unerwartete Dinge passieren. Aus Helden werden Deppen - und andersrum. Ich behaupte sogar, dass am Ende die Mannschaft gewinnt, bei der am wenigsten nachgedacht und einfach gemacht wird.

Nachgedacht habt aber Ihr. Und das mit sehr interessanten Ergebnissen, wie ich finde. Stellvertretend für die vielen guten Beiträge und die vielen guten Ideen im Kommentarbereich nehme ich den Topkommentar von „KLEINLAUT“ (seine Sätze sind fett gedruckt, meine kursiv) heraus und werde zu den einzelnen Punkten meine Meinung hinzufügen.

 

Ich würde Timo und Rick aufstellen, auch wenn Rick außer Form ist. Ich baue hierbei einfach auf seinen Willen. Das Beyer-Experiment ist für mich gescheitert, war in Fürth am ersten Gegentor nachlässig und hatte unglaublich viele Ballverluste im Spielaufbau. Es wirkte sehr verkrampft.

Kann man so sehen. Denn Beyer wirkte noch nicht stabil neben Letschert in der Innenverteidigung. Andererseits ist van Drongelen reingekommen und hat mehr Verwirrung gestiftet als Sicherheit ins Defensivverhalten gebracht.  Der Niederländer dürfte aktuell nicht mit dem breitesten Kreuz durch die Gegend laufen. Immer wieder hin und herzuwechseln würde zudem keinem helfen, behaupte ich. Und vor allem würde ich auf der rechten Seite mal gar nichts verändern. Dort hat Vagnoman ein sehr gutes Spiel gemacht, auf das sich aufbauen lässt. Denn die mutigen Vorsätze des Youngsters werden sich  noch mehr kommen, je länger er sich an die neue Position gewähnt hat. Nur rausnehmen sollte man ihn so lange nicht, wie er körperlich und mental frisch genug wirkt. Ich bin fest überzeugt, der HSV sollte sich Vagnoman hinten rechts zum Stammspieler aufbauen. Denn er hat deutlich mehr Potenzial als alle seine Konkurrenten auf der Position. Und so sehr sich alle darüber freuen dürfen, mit Vagnoman einen noch ungeschliffenen Diamanten in den eigenen Reihen zu habe, so stellt er den Trainer vor das Problem - denn plötzlich scheint aktuell Jordan Beyer ein wenig über zu sein. Oder eben Rick van Drongelen.

 

Auf einen zweiten Sechser würde ich erst setzen, wenn wir mal führen. Verstehe auch nicht, warum diese Umstellung in Fürth wie so oft nicht passierte. Die Einwechslungen von Schaub und Harnik waren aus meiner Sicht zu diesem Zeitpunkt unangebracht.

Auch hier würde ich Dir nicht widersprechen. Problem in Fürth war, dass es diesen zweiten Sechser auf der Bank (Tribüne) nicht gab. Gideon Jung war verletzt, Christoph Moritz nicht im Kader. Wobei auch Moritz kein klassischer Sechser ist, sondern eher so zu bewerten ist wie David Kinsombi, der ja für Dudziak kam. Dieser Wechsel war schade, weil Dudziak für mich als einziger im Zentrum funktioniert hat. Aber er war wohl physiologisch richtig angesichts der langen Verletzungspause, aus der Dudziak quasi von Null auf hundert durchstarten musste. Die anderen Wechsel waren entweder erzwungen (Vagnoman musste mit Krämpfen runter) oder positionell eins zu eins. Schaub für Hunt, Harnik für Pohjanpalo und in der Halbzeit schon Kittel für Jairo, der zwar bemüht war, aber eben auch sehr wild und kaum Bindung zum Spiel hatte. Der Ausgleichstreffer war dann so eine Mischung aus der psychologischen Komponente (trotz der Chancen mal wieder nicht den Deckel draufgemacht zu haben, und mal wieder einen Standrad kurz vor Schluss gegen sich) und der Verwirrung durch die Umstellungen nach dem Vagnoman-Aus.

 

Zur Unsicherheit bei Flanken und Eckbällen muss ich einfach wieder mal hinweisen, dass eigentlich der Strafraum dem Torwart gehört. Der Torwart vom HSV hat gefühlt in dieser Saison noch keine Flanke gefangen. Manchmal glaube ich, dass er bei Eckbällen an der Linie festgeklebt ist. Seit Beginn der Saison weise ich darauf hin, trotzdem sieht man ihn weiterhin als unangefochtene Nummer 1. Da sein Fußballspiel zudem auch stark fehlerbehaftet ist, sehe ich ihn neben der Innenverteidigung als Achillesferse. Leider hätte man die Torwartdiskussion viel früher ernsthaft angehen müssen, jetzt wäre sie tatsächlich kontraproduktiv.

Und auch wenn das jetzt etwas langweilig wird: Auch in diesem Punkt bin ich bei Dir. Diesmal sogar zu 100 Prozent. Denn Heuer Fernandes’ Schwäche bei hohen Flanken (vor allem unter Bedrängnis) ist offensichtlich. Er versucht es deshalb auch immer weniger - und verlässt sich stattdessen auf seine Abwehr, die körperlich zu klein und im Kopfballspiel einfach nicht ausreichend ist. Ergebnis sind die vielen Gegentreffer nach hohen Bällen in den Sechzehner. Und bezogen auf den Gegentreffer am Sonntag: Die Unsicherheit der HSV-Profis  bei der letzten Aktion war ja bis nach Hamburg zu spüren. Dass van Drongelen den Ball letztlich so willenlos und unkontrolliert Nielsen vor die Füße spielt  wäre ganz leicht zu verhindern. Wenn die Mannschaft selbstsicherer wäre und van Drongelen nicht selbst seit Wochen und Monaten wackeln würde. Soll heißen: Der Faktor Verunsicherung ist beim HSV ein wesentlicher - wenn nicht sogar ein entscheidender. Hier gilt es anzusetzen. So, wie es Hecking mit seiner betont positiven Sichtweise und dem Vertrauen zu seinen Spielern versucht.

 

Aber weil Scholle stetig fehlende Spieler im Kader sucht, ich sehe den Kader sehr ausgewogen und in der Tiefe für einen Aufstieg ausreichend. Dass die meisten Spieler im Kader trotzdem bei Laune gehalten sind, finde ich auch positiv. Aber was mir in diesem Kader wirklich fehlt, ist ein 6er, der dem Gegner defensiv wehtut und ein guter Zerstörer ist. Hier haben wir nur Jung im Kader, der fällt allerdings jetzt langfristig aus. Eine wirklich defensive Taktik ist ohne einen solchen 6er nicht möglich.

Endlich! Ist doch schön, dass wir nicht überall gleicher Meinung sind. Denn ich bin mir sicher - gerade in der sehr körperlicheren Zweiten Liga -, dass der HSV im Luftkampf von vornherein unzureichend aufgestellt ist. Für das Mittelfeld und den Angriff hat Hecking alles, was er an Komponenten brauchen kann, um jedes Spiel zu gewinnen. Defensiv fehlt ihm aber definitiv der Turm in der Schlacht, wie es Ewerton hätte sein sollen und wie es Papadopoulos in guten Tagen war. Jeder HSV-Gegner geht ein das Spiel mit dem Wissen, dass ein hoher Ball ausreichen kann, um auch den Favoriten aus Hamburg zu stürzen. Parallel dazu geht der HSV in die Partie mit dem Wissen, dass jeder hohe Ball in den eigenen Sechzehner gefährlich ist. Wenn man dann wie in Fürth fahrlässig das entscheidende Tor (hier zum 3:1) fahrlässig liegen lässt und stattdessen in der letzten Minute der Nachspielzeit so eine (auch noch leicht vermeidbare) Ecke gegen sich bekommt, dann spielt der Kopf dem einen oder anderen schon Streiche und es kommt zu einem solchen Kack-Gegentreffer wie in Fürth. Aber seht es Euch noch mal selbst an (ab Minute 2:30):

 

In diesem Sinne, bis morgen. Da melde ich mich am Morgen mit dem MorningCall, habe am frühen Nachmittag die Pressekonferenz mit Trainer Dieter Hecking und werde Euch dann am Abend auch davon berichten. Bis dahin allen Vätern einen schönen Feuertag und auch allen anderen: bleibt gesund. Also anders als der dritte Dresden-Profi, der aktuell auf Corona getestet wird. Aber dazu mehr im Nachklapp.

Scholle

 

Dynamo Dresden wird das Coronavirus einfach nicht los

Bei der fünften Testreihe am Mittwoch, die beim gesamten Team des Fußball-Zweitligisten in der häuslichen Quarantäne durchgeführt wurde, wurden erneut ein Spieler sowie ein enger Kontakt eines Mitglieds des Trainer- und Betreuerstabes positiv getestet. Der Spieler, der Angestellte sowie die Kontaktperson müssen sich nun einer weiteren 14-tägigen häuslichen Quarantäne unterziehen. Das gab Dynamo am Donnerstag bekannt.
«Wir mussten damit rechnen, dass in der fünften Testreihe weitere Fälle ans Tageslicht kommen werden. Der weitere Fall in unserer Mannschaft ist ein Beleg dafür, dass das Dresdner Gesundheitsamt trotz des enormen öffentlichen Drucks im höchsten Maße professionell und verantwortungsbewusst gehandelt hat», sagte Dynamos Sportgeschäftsführer Ralf Minge.
Zuvor waren bereits drei Dynamo-Spieler positiv getestet worden. Daraufhin ordnete das Dresdner Gesundheitsamt am 9. Mai eine 14-tägige häusliche Quarantäne für das gesamte Team an, die am Samstag endet. Dann soll das Mannschaftstraining im Hinblick auf den Zweitliga-Neustart für das Team am 31. Mai gegen den VfB Stuttgart wieder aufgenommen werden. Drei Begegnungen mit Dynamo-Beteiligung wurden bis dahin verlegt. 
"Es zeigt sich, dass das Dresdner Gesundheitsamt mit der viel diskutierten Maßnahme der häuslichen Quarantäne unserer Mannschaft absolut verantwortungsvoll und richtig gehandelt hat, denn so konnten wir eine Infektionskette innerhalb unseres Teams frühzeitig durchbrechen", erklärte Dynamos Mannschaftsarzt Onays Al-Sadi.
Ab Montag bezieht Dynamo das vorgeschriebene mindestens einwöchige Quarantäne-Trainingslager in einem Dresdner Hotel. Dabei wird es weitere Tests geben. Diese Maßnahmen finden im Zuge eines medizinischen Konzeptes statt, das von der DFL zusammen mit einer Taskforce, die aus verschiedenen Experten besteht, zur Fortsetzung des Spielbetriebes in der Bundesliga und 2. Bundesliga entwickelt wurde.
Fraglich bleibt, was bei einem weiteren Corona-Fall während des Quarantäne-Trainingslagers passiert. Schickt das Dresdner Gesundheitsamt dann wieder alle in häusliche Quarantäne? In diesem Fall wären der Spielplan der DFL und das geplante Saisonende am 28. Juni nicht mehr haltbar. Ein Saisonabbruch-Szenario gibt es derzeit noch nicht.

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