Marcus Scholz

21. Oktober 2017

Sie wollen nicht mehr sagen, dass sie zwar verloren, aber gut gegengehalten haben. Das hatten Sportchef Jens Todt und Trainer Markus Gisdol vor der Partie gesagt und darauf verwiesen, dass man immer etwas holen wolle. Und tatsächlich präsentierte sich der HSV heute auch so. Und dass es am Ende wie im Vorjahr schon ein 0:1 gegen den FC Bayern zu verzeichnen gab, war bitter. So bitter, dass die HSV-Fans im erstmals diese Saison wieder ausverkauften Volksparkstadion ihre Mannschaft in den Schlussminuten mit stehenden Ovationen feierten, um ihnen zu demonstrieren, dass sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten ein gutes Spiel abgeliefert hatten. Und das war auch so. Aber der Reihe nach:

Beton anrühren hieß eigentlich das Motto. Zumindest dachten das vorher alle. Und die Aufstellung deutete zunächst auch daraufhin. Mit drei Innen- und zwei Außenverteidigern, davor die Doppelsechs mit Jung und Sakai sowie drei Offensive (Hahn, Hunt, Wood) spielet der HSV. Allerdings begann er – wie gegen alle anderen Gegner bislang auch – mit Offensivpressing. Frühes Attackieren gegen die spielerisch zweifellos übermächtigen Bayern, das überraschte tatsächlich auch die Gäste. Zumindest die ersten zehn Minuten lang, denn dann musste auch der HSV das Tempo drosseln, um nicht schon gleich in den ersten Minuten zu viel Energie zu lassen. Andre Hahn war es auch, der nach 2:34 Minuten den ersten Torschuss absetzte. Mit links aus 20 Metern genau in die Arme von FCB-Keeper Ulreich – aber immerhin. Die Fans goutierten es mit einem lauten Seufzer wie bei einer großen Torchance und sie applaudierten. Genügsam nennen es die einen – ich sage, es ist Realismus. Die Fans haben ein wahrlich feines Gespür für die korrekte Erwartungshaltung. Deshalb pfiffen sie auch bei der zweiten misslungenen Eckenvariante in Folge, weil sie wussten, dass eine direkte hereingeschlagene Flanke zumindest die Chance auf eine Chance hätte...

Aber zurück zum Spiel. Nach zehn Minuten kamen die Münchner besser ins Spiel. Allerdings alles, ohne dabei gegen die wirklich konsequent verteidigenden Fünferkette (defensiv) Torgefahr zu erzeugen. Erst in der 21. Minute kamen die Münchner das erste Mal gefährlich vor das Hamburger Tor. Coman, gegen dessen Tempo (insbesondere auf den ersten Metern)  kein Kraut gewachsen ist, setzte sich durch. Lupfte zentral auf Arjen Robben, der sich den Ball allerdings zu weit nach außen legte und so nur noch das Außennetz traf. Gefährlicher wurde es sogar auf der anderen Seite, als der bis hierhin starke Gideon Jung im Sechzehner nachsetzte, einen Pressschlag gegen Hummels erzwang und am Ende Bobby Wood per Kopf scheiterte (33.).

 

Es lief eigentlich alles so gut, wie man es sich vorher hatte erhoffen können. Bis Schiedsrichter Marco Fritz eingriff und eine tatsächlich schwierige Situation maximal gegen den HSV entschied. Denn er hatte sehr wohl die Chance, berechtigt Gelb zu geben, zog aber glatt Rot. Was war passiert? Gideon Jung sprintete dem pfeilschnellen Coman beim Konter hinterher und es war zu erkennen, dass er das Laufduell nicht gewinnen könne. Jung zog seine letzte Karte und foulte den Franzosen – schräg von der Seite. Ich behaupte auch, dass er den Ball nicht mehr spielen konnte und das auch wusste. Dennoch war das Foul 40 Meter vom Tor entfernt  und er war weder letzter Mann noch war das Foul brutal und/oder klar von hinten in die Beine. Insofern: Für mich eine Gelbe Karte. Schiri Fritz aber zog (beraten vom Videoassistenten Manuel Gräfe) glatt Rot. Eine echt bittere, weil sehr, sehr harte Entscheidung. Hätte ein Boateng oder ein Hummels für das gleiche Foul auch Rot bekommen? Nein, eher nicht.

 

Trotzdem rettete der HSV das 0:0 gekonnt in die Halbzeit und erhielt von den Rängen entsprechend Zuspruch. Zurecht, denn das bis hierhin Gezeigte war tatsächlich (fast) alles, was man erwarten konnte. Interessante Szene am Rande: Nach dem Foul stürmte Mats Hummels über den halben Platz, um Jung zu stellen und ihn zu bepöbeln (blieb natürlich ungeahndet). Und Jung schnappte sich nach Halbzeitpfiff den vielleicht besten deutschen Verteidiger derzeit, um ihn zur Rede zu stellen. Eine Szene, die zeigt, was Jung gerade für eine Entwicklung nimmt. Respekt dafür, Gideon Jung! Der Jung(e) wird nicht nur auf dem Platz immer mutiger und lässt sich nichts mehr gefallen. Da wächst einer heran, auch wenn er heute einen Dämpfer bekommen hat.

 

Apropos, auch der FC Bayern wollte jetzt natürlich mehr und brachte Thomas Müller für den wirkungslosen James Rodriguez. Müller war es dann auch, der das entscheidende 1:0 für den Rekordmeister vorbereitete. Wobei, nein, eigentlich war das wieder Mergim Mavraj. Der Albaner, der in der ersten Hälfte noch eines seiner zuletzt sehr wenigen guten Spiele machte, patzte erneut und versaute sich so seinen heutigen Auftritt. Eine harmlose Flanke von Alaba wollte der Innenverteidiger mit seinem starken linken Fuß rausschlagen, verfehlte die Kugel aber und gestattete den hinter ihm stehenden, überraschten Bayern so die Führung in der 52. Minute. Müller, der unmittelbar danach nach nur sieben Minuten verletzt wieder raus musste (Thiago kam), legte auf Tolisso und der schob aus kürzester Distanz ein. Der Schock. Und die Vorentscheidung?

 

Mitnichten. Der HSV kam noch mal. Und zwar zu seiner bis hierhin gefährlichsten Aktion. Sakai, der auf der Doppelsechs richtig aufblühte, setzte sich super durch, legte (im Zusammenspiel mit einer Süle-Grätsche) den Ball auf Santos, der wiederum Hahn zentral sah. Allerdings konnte Ulreich den Linksschuss des laufstärksten HSV-Angreifers gerade noch über die Latte lenken (53.).

 

Eine Szene, die deutlich machte, dass hier heute nichts verschenkt wurde. Die Bayern mussten arbeiten, während der HSV verteidigte und lauerte. Schade nur, dass Bobby Wood wieder nicht so mitspielte, wie es eine einzelne Spitze in so einem Spiel machen müsste. Denn anstatt immer zu lauern und bei egal welchem Ballgewinn einen Laufweg anzubieten, stand er zentral zugedeckt und unanspielbar. Anstatt für Entlastung zu sorgen und seine Gegenspieler auf Höhe der Mittellinie zu binden, konnten sich diese so sogar in die Angriffe der Bayern mit einschalten.

 

Und so schwand die Hoffnung auf eine Überraschung trotz der respektablen Leistung des HSV zusehends. Wer sollte hier ein Tor machen? Zumal die Kräfte ob des enormen Aufwandes schwanden. Und nachdem Thiago in der 71. Minute aus 17 Metern nur den linken Pfosten traf und Holtby zuvor schon für Hunt gekommen war (61.) versuchte Gisdol es noch mit zwei neuen Außenstürmern und brachte Ito sowie Kostic für van Drongelen und Hahn. Und das wirkte belebend. Ito wirbelte und Kostic kam übers Tempo. Und man war fast geneigt zu fragen, warum sie erst jetzt kamen...

 

Dennoch, auch wenn das Spiel am Ende (Tolisso traf in der 83. Minute per Kopf auch noch den Pfosten, Robben vergab doppelt, Lewandowski ganz knapp) wieder eine Niederlage ergab, diese Niederlage wurde von den 57.000 Fans im erstmals diese Saison ausverkauften Volksparkstadion zurecht mit Applaus bedacht. Zumal sie auch gute Erkenntnisse lieferte. Zum Beispiel, dass die Fünferkette ein probates Mittel ist. Ebenso, dass Douglas Santos auf links sehr wohl eine gute Alternative ist. Zumal dann, wenn dafür Sakai auf die Sechs rückt und so stark spielt wie heute. Da passte einiges besser, als es zu erwarten war und macht Hoffnung, dass der HSV in der kommenden Woche in Berlin die Punkte holte, die er dringend benötigt, um nach nunmehr sieben Spielen mit nur einem Punktgewinn nicht weiter nach unten abzurutschen.

 

In diesem Sinne, bis morgen!

Scholle

 

 

FAQs

 
 

Über uns

Die Rautenperle - das ist ein Team aus jungen Medienschaffenden und Sportjournalisten mit großer Affinität zum HSV. Wir sind 24/7 bei den Rothosen am Ball und produzieren frischen Content für Rautenliebhaber.

Unser Ziel ist es, moderne, unabhängige Berichterstattung und attraktiven, journalistischen Content für junge und jung gebliebene HSV-Anhänger zu bieten. Wichtig ist uns dabei, eine neue Art des Sportjournalismus zu präsentieren: dynamisch, zeitgemäß, zielgruppengerecht. Weg von verstaubten Zeitungsspalten und immergleichen Phrasen.

Die Rautenperle ist aber nicht nur ein Ort, um sich zu informieren, sondern soll auch immer ein Ort des Austausches und des Miteinanders sein. Wir wollen eurer Leidenschaft einen Platz im Netz bieten: zum Diskutieren, zum Mitfiebern, zum Mitmachen.