18. Dezember 2020
Das Training des HSV war noch nicht beendet, da war Manuel Wintzheimer schon in der Kabine. Der Offensivspieler hatte mit Oberschenkelproblemen zu kämpfen. Ausfallen wird er glücklicherweise dennoch nicht – zumindest klang das bei Trainer Daniel Thioune heute so. Denn der gab nach dem Training Entwarnung. „Das ist eine Prellung, die ihm ein bisschen Probleme bereitet. Heute haben wir ein bisschen ausprobiert und ihn etwas weniger belastet. Wenn er darauf positiv reagiert und keine Probleme hat, ist er morgen ganz normal wieder dabei.“ Und falls nicht? Darf Sonny Kittel dann wieder ran? Ich glaube ehrlich gesagt, dass Kittel in egal welcher Konstellation am Montag beim Karlsruher SC (Anpfiff 20.30 Uhr) wieder dabei sein wird, obgleich er nach seiner dummen Gelbroten Karte zuletzt noch ein zweites Spiel zuhause bleiben musste? Alles deutet daraufhin. Thioune erklärte diese Maßnahme: „Es war nicht ganz überraschend für ihn. Ich hatte mit ihm das Gespräch gesucht und er konnte es nachvollziehen.“
Ob der filigrane Mittelfeldmann beim Karlsruher SC am Montag (Anpfiff 20.30 Uhr) wieder im Kader steht, lässt der HSV-Coach zwar grundsätzlich offen. Thioune sagte aber auch klar: „Wir haben noch ein paar Tage bis dahin. Vielleicht müssen wir ein bisschen was verändern, dann wird sich der Kader etwas anders aufstellen. Das ist offen. Unter der Woche war es eine Entscheidung für den Darmstadt-Kader. Nichtsdestotrotz gehört ein Sonny Kittel in Topform auf jeden Fußballplatz und in jeden Kader.“ Stimmt.
Und gerade bei Kittel sollte man meinen, dass er darauf brennt, im letzten Spiel vor der Mini-Weihnachtspause noch einmal positiv auf sich aufmerksam zu machen. Im Training ist der schussstarke Mittelfeldspieler mit latenter Zweikampfschwäche wie immer gut dabei. Vor allem ist Kittel einer dieser Spieler, die mich als Trainer verrückt machen würden. Ausgestattet mit einer Ballbehandlung, die seinesgleichen sucht hat er noch eine Schusstechnik, die allein ihn schon zum Unterschiedsspieler machen könnte – wenn er denn wollte. Oder anders formuliert: Wenn er denn mal voll durchziehen würde. Denn nicht erst seit Beginn dieser Saison hinkt Kittel der Form seiner ersteh Tagen beim HSV hinterher.
Ebenso wie David Kinsombi übrigens, der mir allerdings in der kurzen Zeit gegen Sandhausen gut gefallen hat. Er war aggressiv, lauf- und zweikampfstark. Und er strahlte wieder ein Stück weit die Torgefahr aus, die ihn in Kiel in seiner besten Phase ausgezeichnet hatte, weil er Zug zum Tor hatte. Ich weiß ehrlich gesagt auch gar nicht, wie oft ich hier schon geschrieben hatte, dass Kinsombi in Topform für den HSV eine Granate wäre – aber ich mache es einfach noch einmal. Denn Kinsombi hat eigentlich Zutaten, die der HSV braucht. Er kann offensiv wie defensiv. Er wäre neben einem Sechser die optimale Besetzung, um einem Zehner davor alle Freiheiten einzuräumen – wobei er selbst auch die offensive Rolle spielen könnte. Fakt ist: Mit einem Kinsombi in guter Verfassung kann sich der Trainer auf dem Platz noch variabler aufstellen und auf alle Szenarien reagieren.
Apropos Reaktion: Die gab es in einer wirklich ungewohnten Vielfalt auf meinen gestrigen Blog. Von allem war etwas dabei. Sogar vom HSV kam direkte Kritik am Blog. Ich sei zu negativ mit dem Thema umgegangen, da der Trainer das Thema intern sehr wohl sehr kritisch analysiert habe. Und das wird auch stimmen. So habe ich es ja auch geschrieben. Aber beim HSV haben eben die Worte in der Öffentlichkeit auch großes Gewicht. Und mich hat der entstandene Eindruck mehr gestört als der Glaube daran, dass man intern nicht ausreichend kritisch mit der schwachen Partie umgegangen sei. Allein von einigen Spielern weiß ich schon, dass selbst sie alles andere als zufrieden waren.
Noch auffälliger aber ist, dass diese Diskussion nur in schwarz und weiß stattfindet. Und bei meinem Gespräch gestern mit dem HSV-Mitarbeiter reifte der Gedanke, dass die hier entstandene, ungesunde Diskussionskultur nicht proaktiv verbessert wird. Vielmehr wirkt es so, dass die HSV-verantwortlichen samt Trainerteam alles immer eine Stufe positiver darstellen, weil sie von außen eine leicht überzogen negative Darstellung erwarten. Aber das kann es nicht sein! Umso mehr würde ich mir für die Zukunft wünschen, dass der HSV seinen zu Saisonbeginn formulierten Leistungsanspruch an sich selbst gegen alle Widerstände aufrechterhält und endlich anfängt, sich von außen nicht beeinflussen zu lassen. Denn eines ist unstrittig: Es muss ich in diesem Bereich noch sehr viel verändern. Die (Minder-)Leistungskultur der letzten Jahre darf hier einfach keinen Platz mehr haben. Und genau daran glaube ich unvermindert bei Daniel Thioune. Weil er genau das erkannt hat und intellektuell ebenso dazu in der Lage ist, wie er sich nicht zu schade ist, unpopuläre Entscheidungen zu treffen.
Heute auf dem Trainingsplatz gab es signifikant Veränderung. Thioune, dessen Membran eh recht durchdringend ist, kritisierte und lobte pausenlos. Und er war lauter als sonst. „Trommelfell-Feuer von Thioune“ titelte die BILD im Anschluss an die heutige, lautstarke Einheit. Die Lautstärken-Attacke käme nicht von ungefähr. Der Coach habe sich etwas dabei gedacht: „Es ist immer eine gefährliche Phase, wenn man zwei Mal in Folge gewonnen hat.“ Und weiter: „Es soll nun niemand vor dem letzten Spiel vor Weihnachten gedanklich abschweifen. Wir halten die Spannung. Wir wollen nichts abschenken. Ich möchte wie alle mit einem positiven Ergebnis beim KSC die fünf freien Tage mit der Familie verbringen.“ Zwar nicht gut für die Stimmbänder – aber dafür für die Punkte. Hoffentlich.
Ehrlich gesagt bin ich seit vielen Jahren ab davon, Trainingsleistungen auf die nächsten Spiele zu projizieren. Zu oft waren die Trainingseinheiten knackig und die Spiele danach ne Katastrophe. Und andersrum. Von daher gehe ich einfach mehr nach meinem Gefühl, dass die Mannschaft vermittelt. Und da glaube ich daran, dass Thioune gerade dabei ist, eine gute Mischung von Charakter auf den Platz zu kriegen, die eingespielt auch wieder guten Fußball zeigen kann. Ich bin zum Beispiel fest davon überzeugt, dass der HSV-Trainer in Toni Leistner einen Faktor erkannt hat, den er mit allen Mitteln auf dem Platz haben wollte. Und will. Thioune ist dafür sogar das Risiko eingegangen, den konstant stark performenden Stephan Ambrosius (dessen Vertrag soll noch in diesem Jahr verlängert werden) unnötig zu schwächen. Eine Aktion, die ich seinerzeit überhaupt nicht verstanden hatte und die ich heftig kritisiert habe. Auch, weil der HSV das Spiel verlor und Ambrosius im nächsten Spiel nicht so sicher wirkte wie zuvor. Aber: Inzwischen wird mir klarer, warum Thioune das so handhabte. Denn Leistner beweist während der Spiele, im Training und drumherum, dass er ein richtig guter Typ ist, der der Mannschaft weiterhilft..
Und ja, ich weiß, das klingt vielleicht komisch: Aber Leistner ist einfach ein Typ, den ich als Spieler früher immer gern in der eigenen Mannschaft gehabt habe. Einer, der sich selbst nicht zu wichtig nimmt aber im Gegenzug immer vor andere stellt. Er fordert und fördert den Teamgeist ebenso lautstark auf dem Platz wie er ihn drumherum lebt. Und: Er nimmt sich seinen designierten Nachfolger Ambrosius auffällig kollegial zur Seite. Er spricht dem Youngster, der ihm einige Spiele den Platz streitig hatte machen können, nach schwächeren Aktionen Mut zu und lobt ihn auffällig, wenn er gute Aktionen hat. Er macht genau das, was man von erfahrenen Führungsspielern sehen will. Und das Beste daran ist: Leistner selbst spielt gut. Das „Bollwerk“, wie es einige Kollegen schon nannten, entwickelt sich also insbesondere auf Initiative Leistners. Hoffen wir mal, dass sich diese Geschlossenheit am Ende auch im Ergebnis wiederspiegelt und der HSV weitere Spiele zu Null hinbekommt.
Übrigens: Der HSV muss nach dem letzten Spiel des Jahres am Montag beim Karlsruher SC nur noch einen Corona-Test am darauffolgenden Tag bestreiten und geht dann ab dem 22. Dezember in den Kurzurlaub, denn am 27. Dezember steht schon der nächste Corona-Test im Volksparkstadion an. Und wieder nur einen Tag später startet die Trainingsvorbereitung auf das erste Spiel des neuen Jahres: Am 3. Januar kommt Jahn Regensburg ins Volksparkstadion.
Ich verabschiede mich für heute und wünsche Euch einen schönen Restabend! Bis morgen,
Scholle