Marcus Scholz

1. Dezember 2020

Das war nichts. Wirklich nichts. Nehmen wir einmal die erste halbe Stunde in Teilen aus, hat der HSV in Heidenheim ein erschreckendes Spiel hingelegt. Nicht, weil man diesmal so schwach war. Nein, bei diesem 2:3 kamen einfach sehr viele Faktoren zusammen, die auch in Tobi Eschers hervorragender Taktikanalyse noch zu kurz kamen. Denn die von ihm völlig zurecht angesprochenen Patzer waren nur das Ergebnis einer insgesamt fatalen Körpersprache. Mein bestes Beispiel war wieder einmal Tim Leibold, dem ich in Sachen Einstellung wirklich nichts anlasten würde. Dass aber selbst er zum wiederholten Male in der Mitte des Spiel, also kurz nach der Halbzeit schon, ein Laufduelle einfach verweigert, obgleich der gegnerische Angriff gefährlich werden könnte – das alarmiert mich.

Meine Fragen, die ich aus diesem Spiel mitgebracht habe, sind: Ist dieser HSV nicht fit? Kann er es vielleicht sogar nicht besser? Oder fehlt tatsächlich die nötige Einstellung, der Willen, sich auch aus schwierigen Situationen zurückzukämpfen?

 

Ich habe nach dem Spiel gleich bei unserem Freund und Psychologen Dr. Olaf Ringelband angefragt, wie er das Spiel und vor allem die Reaktionen darauf gesehen hat. Und er wird diese noch in dieser Woche an dieser Stelle zum Besten geben. Und ohne diesem wissenschaftlich fundierten Bericht vorzugreifen, will ich an dieser Stelle zumindest einmal beschreiben, was mir aus Fußballersicht schwerfällt, zu verstehen. Denn wenn ein Tabellenführer wie der HSV nach einer 2:0-Führung in Heidenheim so auftritt, dann ist ein derartiges Slapstick-Gegentor wie das 2:3 in der Nachspielzeit fast schon logisch. Aber der Reihenfolge nach.

Trainer Daniel Thioune hatte vor Spielbeginn einen Fehler der Vorwoche korrigiert: Stephan Ambrosius stand wieder in der Startelf. Um nun aber im selben Atemzug nicht den zuvor für Ambrosius gebrachten Toni Leistner wieder rauszunehmen, stellte er auf Viererkette um. Mit Ambrosius UND Leistner im Abwehrzentrum, anstelle der Dreierkette mit einem von beiden. Leider sollte auch das keine gute Entscheidung sein,  denn diese Kompromissentscheidung brachte erneut mehr durcheinander, als dass es half. Jan Gyamerah war auf der echten Verteidigerseite ein entscheidender Schwachpunkt. Und Leibold hatten wir ja schon eingangs.

Thioune muss die Fahrlässigkeit unterbinden

Wer von Euch die Livecouch und/oder das Blitzfazit gesehen hat, der hat es von mir schon gehört: So einen Fehler, wie Gyamerahs zu langsames Rausrücken vor dem 2:2-Ausgleichstreffer passiert nicht einmal in der Bezirksliga, ohne dass der Trainer durchdreht. Das ist wirklich tiefste Basis, die der Trainer bei jedem Spieler voraussetzen können MUSS. Und da Gyamerah, der in den letzten Wochen bis Bochum auf der Position rechts in der Dreierkette noch zu den Besseren gehört hatte, nicht verletzt war, ist dieser Fehler einfach fahrlässig – womit wir zum Kernproblem kommen bei diesem HSV: die eigene Fahrlässigkeit

Angefangen bei Amadou Onanas aufreizender Lässigkeit an der Seitenauslinie, die den HSV fast schon einen Gegentreffer eingebracht hätte über Sonny Kittels lustlosen Auftritt lassen sich fast bei jedem Spieler Schwächen erkennen, die diese Spieler abstellen können. Denn die kosten den HSV im Moment Punkte. Wer sich mal die Mühe macht und alle misslungenen Ballannahmen im Spiel zählt, wird sich vorkommen wie bei der Auswertung einer unterklassigen Amateurmannschaft (ohne denen jetzt zu nahe treten zu wollen…). Wie oft allein Khaled Narey mit technischen Schwächen schnelle Gegenstöße unterband, kann man kaum verkraften. Dass ein Moritz Heyer kein Zehner ist, war klar. Auch Onana muss in den nächsten Jahren seinen Stil noch ausreifen, ehe man von ihm einen richtig guten Spielaufbau erwarten darf.  Wenn ich aber sehen, wie ein Einwechselspieler wie Jeremy Dudziak mit seinen Fähigkeiten so gar nicht ins Spiel findet (oder gar nicht finden wollte?), dann wäre ich als Trainer mit meiner Geduld am Ende.

 

Zu unser aller Glück bin ich kein HSV-Trainer, sondern Daniel Thioune ist es. Und der Coach ließ sich selbst nach diesem Auftritt nichts anmerken, sondern analysierte ruhig und sachlich, was alles scheiße war. Und das war ne ganze Menge. Er nahm dabei die Spieler, die Taktik, die Wechsel – und auch sich mit in die Pflicht. Und so sehr ich diese selbstkritische Art vorher gelobt habe – sie ist nur dann  gerechtfertigt und gut, wenn die Mannschaft dieses Vertrauen zurückzahlt. Und das tut sie definitiv nicht. Im Gegenteil: Sie macht die einfachsten Fehler – und das vor allem zunehmend.

Bitte nicht wieder zur Wohlfühloase zurück!

Ich glaube tatsächlich, dass der Trainer auch in seiner Art umdenken muss und die Mannschaft mehr in  die Pflicht gehört. Ein Tim Leibold muss endlich erkennen, dass sein Kapitänsamt nicht beinhaltet, dass er weniger machen muss – sondern mehr! Nicht auf dem Platz. Da reichte seine Leistung aus der Vorsaison. Drumherum aber und vor allem in Sachen Einstellung muss er seinen Kollegen als Vorbild dienen. Er muss auf den Tisch hauen können, wenn junge Spieler wie Onana da an der Seitenlinie so pennen, wenn ein Kittel mal wieder den Zweikampf meidet, weil es wehtun könnte. Er muss immer als Instanz gelten können. Und das kann er nur, wenn er seinen Job zu 100 Prozent macht. Zunächst fußballerisch – weil sich daraus alles ableitet. Jedes Mal aber mindestens einmal mitten im Spiel ein notwendiges Laufduell so abzuschenken, weil er nicht mehr kann/will – das macht ihn angreifbar und nimmt ihm auf Dauer die Akzeptanz bei den fleißigeren Spielern.  Das darf einfach nicht passieren. Wie so vieles andere, oben Beschriebene auch! Von daher, meine Bitte an Thioune:  Wehre den Anfängen, Trainer!

Auf Thioune kommt jetzt eine wirklich schwierige Phase zu. Denn er muss seine bislang so wohlwollend, ruhige Art der Mannschaft gegenüber in Frage stellen. Er muss sich fragen, wie er seine Mannschaft wieder so in die Spur bekommt. Da darf es – sofern die interne Analyse auch Laufschwächen, temposchwächen ergab – auch im Training mal laufintensiver werden. Der Trainer muss von seinen Spielern Dinge pedantisch und nachhaltig einfordern, die man im Leistungssport und ganz sicher im Profifußball als selbstverständlich voraussetzen darf.  Und wer diese Basis nicht mitbringt, der sie nicht liefern will oder gar nicht liefern kann, der verdient es auch nicht, vom Trainer weiter gefördert zu werden. Den muss selbst ein so bedachter, mannschaftsorientierter Trainer auch nicht mehr schützen. Oder nein, besser formuliert: Den darf der Trainer nicht schützen. Ansonsten wird aus dem Leistungsprinzip schnell wieder die alte Wohlfühloase HSV.

In diesem Sinne, bis  morgen!

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