Marcus Scholz

8. Mai 2020

Es geht wieder los. Die Bundesliga hat sich mit fleißigem Konzipieren von glaubhaft realistischen Sicherheitskonzepten bei der Politik Grünes Licht für die Fortsetzung der Bundesliga abgeholt. Und das durchaus hart verdient. Monatelang haben alle gleichermaßen den sozialen Aspekt in den Vordergrund gestellt und ihre Verantwortung für Klubs und noch mehr für die Mitarbeiter der selbigen betont. Öffentliche Diskussionen, dass die Bundesliga hier Sonderrechte genießt, wurden hingenommen - und per Schweigegelübde (um nicht Maulkorb zu sagen) aller Klubfunktionäre, Spieler und Mitarbeiter - auch beim HSV! - nicht größer zum Thema gemacht, als es von außen eh schon der Fall war. Und noch immer ist. Denn eines ist klar: Die Bundesliga wandelt längst nicht mehr nur finanziell auf einem ganz schmalen Grat, sondern auch sozial.

Zumal die Notwendigkeit dieser Saisonfortsetzung zum allergrößten Teil aus Misswirtschaft, Raffgier und einem Wettkampfgedanken resultiert, der das Gesamtkonstrukt Fußball in sich schon längst instabil gemacht hat. Und das, was wir hier erleben, ist letztlich nicht mehr und nicht weniger als eine Art Wiederbelebung. Fakt aber ist, dass der Patient Fußball Stand heute eine sehr endliche Überlebens-Chance hat. Hier hat der Darwinismus in seiner hässlichsten Gestalt schon größtmöglichen Schaden angerichtet. Dass die Bundesliga trotz aller Bedenken und des entlarvenden Videos von Salomon Kalou am 16. Mai schon wieder seinen Betrieb aufnehmen darf, kann man Christian Seifert als Husarenstück ans Revers heften. Der DFL-Geschäftsführer hat es im Schulterschluss mit den Klubs geschafft, das Bild der sich gegenseitig zerstörenden Klubs zu einem solidarischen Haufen zu wandeln. „In der Not halten alle zusammen“ war das Motto - und zugleich auch der lautstarke Hilferuf an die Politik, die sich diesem nicht entziehen konnte. Und auch nicht wollte. Denn bei allem Respekt vor allen anderen Sportarten genießt die Bundesliga noch immer einen Stellenwert, der seinesgleichen sucht.

Und genau darin steckt die größte Problematik der nächsten Wochen. Denn mit diesem von Kritikern eh schon als heuchelnd titulierten Verhalten der DFL und der Bundesligisten einher geht die öffentliche Erwartung, dass die nächste Ausnahmesituation die Klubs nicht noch einmal so schnell an ihren wirtschaftlichen Exitus führt. Und ihr wisst alle, dass ich wirklich weit davon weg bin, dem etwas anderen Klub in Hamburg dessen Freibeuter-Gehabe abzunehmen geschweige denn es zu loben. Aber wo er Recht hat, da hat er Recht. Daher zitieren ich an dieser Stelle gern noch einmal Präsident Oke Göttlich: „Uns allen muss klar sein, dass dieser Re-Start auch der unbedingte Anstoß einer Debatte über die Neuausrichtung des systematisch aus dem Ruder gelaufenen Profi-Fußballs sein muss. Spiele ohne Fans bieten in allen Facetten ein gruseliges Bild, was wir alle im puren Marktglauben aus diesem Spiel gemacht haben.“ Stimmt. Das Ergebnis mit Geisterspielen entstand mit Corona zweifellos aus einem unvorhersehbaren Umstand. Aber die Folgen dürfen gar niemanden überrascht haben. Im Gegenteil:  Viel zu lange wurde hier weggeschaut „weil es ja irgendwie eben doch lief“. Dabei lief der Patient Fußball lange schon nur noch unter schmerzstillenden Medikamenten aufrecht. Vom Zustand her aber lag er längst am Boden.

Werder Bremen jammert - unerträglich!

Von daher bleibt wieder nur die Hoffnung. Die Hoffnung darauf, dass die Bundesliga-Verantwortlichen ihren Worten, die allesamt darauf ausgerichtet waren, die Saison schnellstmöglich wieder beginnen zu lassen, auch Taten folgen lassen. Finanzielle Sicherheiten schaffen, dem Transferwahnsinn Einhalt gebieten, Abhängigkeiten von TV-Geldern vermeiden und Solidarität zeigen - es wäre zu schön. Zumal schon jetzt, kaum eine Sekunde nach dem alles andere als selbstverständlichen und vielerorts heftig kritisierten Go der Politik schon erste Beschwerden derer auftauchen, die wirklich bestens beraten wären, die Klappe zu halten. Denn wenn sich einer in dieser Phase nicht beschweren darf, dann ist es der Fußball. Am allerwenigsten die Klubs, für die dieses ganze Theater überhaupt erst gemacht wurde.

 

Aber nein, während die Profiklubs in ganz Deutschland froh und glücklich über die unerwartete Chance sind, die Saison doch noch beenden zu können, gibt es hoch im Norden ein kleines Bundesland, das sich dem Mainstream entzieht und der Meinung ist, sich beschweren zu dürfen.  Dafür bilden die ansonsten eher zerstrittenen Bremer Politiker und  Bremer Fußballer sogar eine Zweckallianz. Der Terminplan sei zu eng gestickt beschwert sich Werder Bremens Geschäftsführer Frank Baumann. Man hätte sich insbesondere aus Gründen der Wettbewerbsintegrität einen etwas späteren Start gewünscht, sagte Baumann und beweist damit nur, wie schnell doch jeder das Große Ganze vergisst und wieder nur bei sich ist, wenn es um die eigenen Vor- und Nachteile geht. Von dem Gesabbel „wir alle werden Kompromisse eingehen müssen, aber das ist angesichts der existenziellen Nöte selbstverständlich“ ist hier nichts geblieben. Ausgerechnet von einem Klub, der unmittelbar vor der Insolvenz stand und sich nur durch die Saisonfortsetzung retten kann. Unfassbar. Nein, ich behaupte sogar: Darüber zu jammern, dass der eine oder andere Klub einen oder zwei Tage früher mit dem Mannschaftstraining begonnen habe, ist lächerlich. Es ist Schlag ins Gesicht all derer, die es mit ihrer Branche nicht so gut haben wie die (Bremer) Fußballer.  Für mich ist das, was Werder Bremen hier abzieht, nicht weniger schlimm als das Kalou-Video. Und Kalou wurde suspendiert…

Bundesliga gehört zwingend ins Free-TV

Dabei müssen sich alle Beteiligten im Klaren darüber sein, dass sie ab sofort auch maximal unter Beobachtung steht. Sie haben eine Vorbildrolle für sich beansprucht, um ihr Ziel mit der Saisonfortsetzung zu erreichen. Und jetzt muss die Bundesliga dieser auch gerecht werden. Salomon Kalous Kabinengang war ein Tiefschlag, der alles hätte zusammenstürzen lassen können. Baumanns peinliches Gejammer macht es noch schwerer erträglich für all diejenigen, die beruflich noch immer unter den Corona-Maßnahmen leiden. Die Liga steht „schwer unter Bewährung, die Öffentlichkeit würde genau hinschauen“ hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder gesagt.

Und damit meint er ganz sicher nicht nur die Spiele, die für mich zwingend ins Free-TV gehören. Denn mit welchem Recht sollte man noch dafür bezahlen müssen, auf bierselige Runden Fußballgucken im Stadion und Zuhause zu verzichten? Weshalb sollte man dafür bezahlen, sich täglich an Einschränkungen zu halten, während den Fußballfunktionären deren Misswirtschaft auch noch per Sondergenehmigung vergütet wird? Nein, irgendwann muss der Fußball in all seinen Facetten seine Bodenhaftung wiederfinden und sich denen wieder auf Augenhöhe nähern, durch die er lebt: Denn das sind die Fans. Sowohl die, die sich ein Bezahlsender-Abo leisten können als auch die, die das nicht können. Und ganz nebenbei wäre ein solches Zeichen seitens der DFL und seiner TV-Rechteträger ganz sicher auch gerade jetzt, wo viele Betriebe ohne eben jene Sondergenehmigungen pleite gehen und Arbeitslose entstehen, ein echtes Zeichen der Solidarität.

 

Neben Söder, der das so über sich sagte, geht wahrscheinlich eine ganze Nation „mit einem Bauchgrummeln“ in die Saisonfortsetzung. Und bevor sich der nächste Kalou Video drehend durch die Kabine schwingt oder der nächste Baumann sich über unfaire Wettbewerbsbedingungen beschwert sollte sich alle darüber im Klaren sein, dass sie die allerschwerste Zeit erst noch vor sich haben. Allen Fußballern und Klubs zusammen stehen zwei Mammutaufgaben bevor: Erst die Saison retten, was schon schwierig genug umzusetzen sein wird. Und danach noch die Bundesliga retten. Denn krank ist sie. Und das wird sie auch lange nach Corona noch. Und ich werde an dieser Stelle nicht müde werden, darauf hinzuweisen, bis die Erkenntnis - immerhin hat die DFL bereits eine Task Force gegründet, die den Fußball wieder gesunden soll - zu erkennbaren Taten führt.

HSV bezieht Quarantäne-Hotel nahe Fürth

Und so gern wir in den letzten Jahren die HSV-Führungen für ihre Misswirtschaften (zurecht!) angeklagt haben - zumindest in dieser Phase kann man den Verantwortlichen nichts vorwerfen - im Gegenteil. Beim HSV hatten sich alle Beteiligten sehr demütig allem untergeordnet, was von Seiten der Politik erlaubt wurde. So, wie es alle Bundesligisten machen sollten. Jonas Boldt hatte seit Wochen keinen anderen Kommentar parat als „Wir müssen nehmen, was wir bekommen können“, während Dieter Hecking immer wieder betonte, dass sich der Fußball nicht zu wichtig nehmen dürfe. Und das hat sich auch jetzt nicht geändert. Allerdings bin ich mir ganz sicher, dass aus der zuletzt formulierten Vernunft aller Klubs schon sehr schnell die nächsten Kalous und Baumänner entwachsen. Spätestens, wenn es sportlich nicht so läuft, wie es laufen sollte.

Bislang ist sportlich beim HSV alles im Soll. Die Mannschaft hat ihren dritten Corona-Test hinter sich, am Montag geht es ins Quarantäne-Hotel. Aller Voraussicht nach wird das ein Hotel in der Nähe des ersten Spielortes Fürth sein. Zumindest suchen die HSV-Verantwortlichen auch dort. Die am Montag und Freitag fälligen Corona-Testungen sollen von dort nach Hamburg geschickt werden und hier (in einem Labor in Geesthacht) ausgewertet werden. Vorher steht aber noch ein Testspiel an. Am morgigen Sonnabend geht es im Volksparkstadion unter Wettkampfbedingungen zur ersten Simulation der Geisterspiel in ein internes Testspiel mit 11 gegen 11 samt Schiedsrichtergespann. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit - versteht sich.

Wir werden uns aber dennoch morgen bei Euch melden. Bis dahin genießt den schönen Freitagabend, lasst es Euch gutgehen - und vor allem: bleibt gesund!

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