Marcus Scholz

31. Oktober 2017

So, liebe Leute!

Heute ist Reformationstag, aber hier ist irgendwie nur Halloween. Alle Kinder dieser Welt scheinen in diesem Moment in Niendorf herumzulaufen, insbesondere rund um mein Büro. Sie klingeln und schreien, bis ich Süßigkeiten verteile. Also alles anders als beim HSV, wo man derzeit nicht wirklich viele Gründe hat, Komplimente zu verteilen und wo es für schrecklich hässliches definitiv keine Bonbons gibt - im Gegenteil. Dass ich in meinem Urteil bezüglich einzelner Vereinsverantwortlicher überzogen hart sei, wurde mir heute gesagt - und ich widersprach. Dass ich einige Dinge falsch deuten würde und dass intern sehr viel mehr angeschoben würde, als zu erkennen sei, wurde mir ebenfalls gesagt. Und auch hier widersprach ich. Diesmal mit der Begründung, dass sich das dann aber nicht ausreichend auszahlt und entsprechend auch nicht gut genug ist.

Denn Fakt ist: Es muss gepunktet werden. Anders als noch vor kurzem vom Trainer etwas unglücklich formuliert („Es kommt nicht in erster Linie darauf an, zu punkten“) und übrigens auch anders gemeint, geht es in den nächsten Wochen ausschließlich um Ergebnisse im sportlichen Bereich. Und nicht nur, wenn diese ausbleiben, geht es auch um Veränderungen im personellen Bereich.

Aber: Hier und jetzt mache ich dennoch eine kleine Ausnahme. Weil es sich gehört, auch die Dinge zu loben, die man vorher kritisiert hat, wenn sie besser gemacht werden. Selbst wenn sie noch keine Punkte bringen und auch lange keinen Rückschluss darauf zulassen. Aber so, wie im heutigen Training its das der richtge Weg. Das war wirklich mal wieder sehr ordentlich. Vor allem auch von denen, die zuletzt berechtigt kritisiert wurden. Bobby Wood zum Beispiel. Der US-Amerikaner präsentiert sich in der Bundesliga derzeit konstant schwach und wirkte auch in den letzten Wochen im Training auf mich immer wieder bocklos. Manchmal, das muss ich dazu sagen, verwechselt man seine eh etwas lässigere Art mit Bocklosigkeit, wenn es schiefgeht. Aber eben auch nicht immer. Umso schöner zu sehen, dass die drohenden personellen Konsequenzen ihm offenbar Beine machen. Denn auch wenn ich leider nur selten bei seinen guten Aktionen mit der Kamera draufgehalten habe - es gab sie heute. Wirklich! Sogar immer wieder.

Vor allem auch mehr als sonst. Und das bemerkten die rund 200 Trainingszuschauer. „Das ist doch mal ein Straftraining“, wollte mir ein uns allen bekannter Zuschauer auf seinem Fahrrad sitzend weismachen. Und schon wieder musste ich widersprechen. DAS heute war kein Straftraining, sondern einfach ein Training, in dem jeder Spieler wusste, dass der Trainer seine Androhungen ernst meint und man raus ist, wenn man nicht durchzieht. Wood hatte ich als Beispiel genannt, allerdings gab es noch andere Spieler wie beispielsweise Luca Waldschmidt, der auffiel. Und auch Sven Schipplock.

Der Stürmer, den ich als Streichkandidaten bezeichnet habe, haute sich richtig rein. Wie eigentlich alle. Ebenfalls auffällig aktiv: Walace. Der Brasilianer, der bei Gisdol noch nicht das uneingeschränkte Vertrauen genießt und sich weniger erlauben darf als mancher Schwede, war richtig gut. Er gewann heute einen Großteil (fast alle) seiner Zweikämpfe und schaltete sich gekonnt in die Offensive ein. Fast so gut, wie sein Landsmann Douglas Santos, der als kleiner Gewinner der letzten Wochen bezeichnet werden kann. Denn so raus er schon war – genauso angesagt ist er nach seinen zuletzt guten Leistungen auf der linken Abwehrseite im Moment bei Gisdol.

Ergo: Heute war ein ganz kleiner, aber guter Anfang in eine Trainingswoche, die am Sonnabend ein gutes Ende nehmen muss, wenn der HSV den Anschluss an die Nichtabstiegsplätze nicht verlieren will. Am Sonnabend kommt der VfB Stuttgart mit bereits sechs Punkten Vorsprung und als Tabellenzwölfter nach Hamburg. Und obgleich die HSV-Führung (Sportchef Jens Todt schaute sich auch heute wieder die gesamte Trainingseinheit an) immer wieder betont, dass das Spiel für Gisdol kein Endspiel ist – es hat dennoch einen solchen Charakter. Anschließend ist 14 Tage Länderspielpause, ehe es nach Gelsenkirchen geht. Ob es ein besonderes Spiel ist? „Auf jeden Fall“, antwortet Filip Kostic – und meint damit vor allem seine persönliche Situation als Ex-Stuttgarter.

Im Sommer 2014 war der Serbe aus Groningen nach Baden-Württemberg gewechselt und bestritt für den VfB 63 Spiele. Acht Tore und 14 Vorlagen später wechselte er 2016, als der VfB abstieg, für rund 15 Millionen Euro als teuerster Einkauf der Vereinsgeschichte zum HSV. Jetzt kommt es zum ersten Aufeinandertreffen mit den Ex-Kollegen, zu denen er noch einen sehr guten Kontakt pflegt. „Es ist ein sehr wichtiges Spiel für uns, wir brauchen die drei Punkte. Es ist nicht so leicht für mich gegen den VfB, da der Verein schon etwas Besonderes für mich ist. Dort habe ich die Bundesliga kennengelernt und sehr viel gelernt“, so Kostic heute Vormittag, „aber ich weiß, was ich machen muss.“ Zumal das Ziel leicht gefunden ist: Gewinnen. Ob er bei einem Treffer jubeln würde? „Nein. Das verbietet der Respekt. Ich habe da viele Freunde - selbst hier beim Training haben mich heute Fans aus Stuttgart besucht. Aber das hält mich nicht davon ab, das Spiel um jeden Preis zu gewinnen. Ich bin Profi genug.“ Und vor allem auch wieder fit genug – was heute im Training ebenfalls zu sehen war.

In diesem Sinne, ohne es auch nur einen Millimeter überbewerten zu wollen, freue ich mich, dass das Vormittagstraining so war, wie es war: Gut. Am Nachmittag gab es dann noch eine intensivere Laufeinheit auf dem Platz. Und vielleicht waren die drohenden Worte Gisdols ja das, was diese Mannschaft noch mal brauchte, um sich aus der „Wir spielen gut aber belohnen uns nur nicht“-Spirale herauszukommen. Soll heißen: Weniger Theorie und Lob ohne Punkte – dafür mehr Praxis und Klartext. Ein kleiner Anfang eben. Mal sehen, wie sich die restlichen Einheiten diese Woche gestalten. Morgen geht es am Volksparkstadion um 10 Uhr mit der letzten öffentlichen Einheit für diese Woche weiter.

 

Bis dahin,

Scholle

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