Marcus Scholz

31. Oktober 2019

Zuerst dachte er an einen Krampf. So, wie der, den er schon beim Spiel in Bielefeld kurz vor Schluss hatte. Da er auch auf der Alm weiterspielen und sogar bis zum Schluss auf dem Feld stehen konnte, dachte er sich zunächst nichts Schlimmes. Zumindest nicht im ersten Moment. Dann aber bemerkte Josha Vagnoman, dass er nicht mehr richtig auftreten konnte und sackte wieder zu Boden, bis Hilfe kam. HSV-Mannschaftsarzt Wolfgang Schilling untersuchte den lädierten Fuß. Und es dauerte keine zwei Minuten, bis klar war, dass der junge Rechtsverteidiger nicht weiterspielen kann. Weder dieses Spiel, noch die nächsten. Vagnoman konnte nicht einmal ohne Hilfe gehen und musste gestützt werden. Begleitet vom wohlwollenden, aufmunternden Applaus von den Rängen ging es für Vagnoman in der fünften Minute der Verlängerung in die Kabine. Von einer Behandlungsliege aus verfolgte er via TV, wie sich seine Kollegen lange Zeit nur noch wehrten, letztlich aber mit 1:2 nach Verlängerung gegen den VfB Stuttgart ausschieden. Aber das alles wurde nebensächlich, als Vagnoman am Tag darauf erfuhr, was ihn aus dem Spiel genommen hatte:

Bruch des rechten Fußwurzelknochens. Pause: Gut drei Monate.

Eine ganz bittere Nachricht für den HSV - aber vor allem für Vagnoman selbst, der sich gerade als Ersatz des Langzeitverletzten Jan Gyamerah in die Startelf des HSV unter Dieter Hecking und ins Notizbuch von U21-Nationaltrainer Stefan Kuntz gespielt hatte. Elf Einsätze (davon nur einer im letzten Saisonspiel über 90 Minuten) hatte Vagnoman in der abgelaufenen Saison - dieses Jahr sollte der Durchbruch erfolgen. Aber nach einer sehr durchwachsenen Vorbereitung deutete zunächst nicht viel daraufhin, dass sich das auch so bewahrheitet. Erst die Spiele in der U21, in denen Vagnoman gleich bei seinem ersten Einsatz überzeugte und traf, brachten ihn beim HSV wieder nach vorn.

Damals erhielt er großes Lob von HSV-Trainer Dieter Hecking, der kurz darauf dann nach einem schlimmen Trainingsunfall den langfristigen Ausfall von Jan Gyamerah hinnehmen musste. Der etatmäßige Rechtsverteidiger fällt aktuell noch bis Rückrundenbeginn mindestens aus - Josha Vagnoman wurde sein Ersatz. Und der 18-Jährige löste seine Aufgabe nach Startschwierigkeiten so gut, dass ihn Hecking in der Startelf beließ und nicht müde wurde, ihn zu loben. Sicherlich auch, um dem jungen Talent Sicherheit und Vertrauen zu vermitteln - aber auch, weil Vagnoman immer besser wurde. Bis Dienstagabend 20.31 Uhr, wo ihn der Kahnbeinbruch zu einer längeren Pause in die Knie zwang.

Für Trainer Dieter Hecking hat die Suche nach einem Ersatz für den Ersatz nicht gerade erst begonnen, er erklärte sie sogar schon für beendet. Khaled Narey, der zuletzt mehr auf der Bank als in der Startelf stand, wird als Rechtsverteidiger aushelfen müssen. „Narey ist die Alternative. Es gibt keine andere Wahl. Ich fand auch, nach der Auswechslung von Josh hat er das gut gelöst. Er ist auch keine 1B- oder 1C-Lösung. Er wird das spielen müssen“, hatte Hecking am Tag der Diagnose vor eben selbiger noch gesagt und darauf gehofft, dass Vagnoman nur zwei Spiele ausfallen und nach der Länderspielpause wieder dabei sein kann. Daraus wird nun leider nichts. Und dementsprechend wird sich Narey auf eine längere Zeit als Rechtsverteidiger einstellen können - was er meiner Meinung nach zuletzt übrigens auch gut gelöst hatte.

 

Offen ist noch, ob Vagnoman operiert werden muss, oder ob er so in die Rehaphase übergehen kann. Klar ist allerdings, dass der HSV einen weiteren langzeitverletzten auf einer Position hinnehmen muss, die alles andere als überbesetzt ist - und dabei beziehe ich den Linksverteidigerposten, den Tim Leibold sehr stabil (dreimal auf Holz geklopft!) ausfüllt, mit ein. Nach Narey, der schon ein umfunktionierter Offensivspieler ist, kämen nur noch weitere Kompromisse in Frage, sagte Hecking - und nannte dabei Christoph Moritz oder auch Jeremy Dudziak als Kandidaten.

Narey soll Vagnoman als Rechtsverteidiger ersetzen

Ich würde noch einen Gideon Jung dazupacken, auch wenn dieser natürlich null Offensivdrang mitbrächte. Allerdings wäre Jung in der Innenverteidigung leichter zu ersetzen als ein Dudziak im Mittelfeldzentrum, wie das Pokalspiel noch einmal verdeutlicht hat. Denn der Ex-Pauli-Kicker ist für mich im Zentrum aktuell fast unersetzbar geworden. Zumindest schwächelt das Offensivspiel erkennbar, sobald er (wie gegen den FC St. Pauli) fehlt. Dudziak ist für mich einfach derjenige, der das Tempo schneller Gegenangriffe am besten mit in die Offensive rettet. Er ist kein Sprinter, aber er ist sehr ballsicher, handlungsschnell, und er löst dabei sogar Eins-gegen-Eins-Situationen so, dass dadurch wichtige Raumgewinne entstehen. Ein David Kinsombi, der hier auf der Acht mit ihm konkurriert, ist einfach (noch immer?) nicht in der Lage, Dudziak zu ersetzen.

 

Und das - gegen Stuttgart gepaart mit einem schwachen Aaron Hunt - sorgt dafür, dass das Spiel des HSV statisch wird. Insofern schließe ich mich zu 100 Prozent der Prognose von Tobias Escher von gestern an. Tobi sagte voraus, dass schon am Sonntag in Wiesbaden im Zentrum wieder Dudziak und Kittel dabei sein werden. Selbst wenn Hunt beginnen sollte, glaube ich, dass der HSV das Tempo dieser beiden Spieler dringend braucht, um beispielsweise einen Jatta besser funktionieren zu lassen. Und was passiert, wenn Jatta als einziger in der Offensive dieses Tempo gehen kann, hat man gegen Stuttgart im Pokal gesehen können: Denn da war der HSV sehr träge, langsam und plötzlich auch sehr ausrechenbar.

Der HSV wird mit der zweiten Reihe leicht ausrechenbar

Und das übrigens auch, weil auf der Neun ein Harnik vom Sonnabend gefehlt hat. Lukas Hinterseer hat aktuell erkennbar Probleme, Torgefahr zu entwickeln. Aus der Rolle, durch eigenes Entgegenkommen und Bälle-fordern hinter sich Räume für die Kollegen zu schaffen, findet er nicht wieder zurück in die Rolle des eiskalten Knipsers. Gegen Stuttgart am Dienstag führte das sogar dazu, dass der Knipser zu gerade einem Torschuss kam - und der war nicht einmal wirklich als „Schuss“ zu werten. Harnik indes hatte am Sonnabend auf identischer Position gegen denselben Gegner mit weniger Ballbesitzphasen und 40 Minuten weniger Spielzeit immerhin drei Torschussvorlagen, drei eigene Torschüsse - und einen Treffer. „Er hat eine Quote, die ihn auszeichnet“, lobte Hecking. Und das trifft zu.

Ich hatte vor dem Pokalspiel geschrieben, dass es rein leistungsorientiert keinen Grund gäbe, etwas an der Startaufstellung gegenüber dem 6:2 zu verändern. Dieter Hecking wechselte letztlich viermal (Harniks Ausfall war nicht eingeplant) - und machte damit deutlich, was alle wissen - aber keiner laut zu sagen wagt: Der Pokal spielt eine untergeordnete Rolle. Er sollte diesmal als Plattform herhalten, um länger ausgefallene Spieler wieder spielfit zu bekommen. „Wo sonst sollen sie Spielpraxis bekommen?“, fragte Hecking uns. Eine rhetorische Frage, denn mehr Pflichtspiele als in der Liga und dem Pokal-Wettbewerb bieten sich dem HSV ja nicht. Dass am Ende weder Hunt noch Jairo Samperio und ebenso wenig David Kinsombi Schritte vorwärts machten, war so nicht abzusehen.

Wobei eines auch klar ist: Je mehr man an einem funktionierenden Team verändert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das neue Team uneingespielt nicht mehr funktioniert. So, wie am Dienstag. Oder in Vorbereitungsspielen, in denen plötzlich acht, neun Spieler aus der zweiten Reihe zusammen spielen und sich empfehlen sollen. Auch deshalb werdet ihr nie den Satz bei mir lesen: „Wer Ansprüche hat, muss diese in einem solchen Spiel auch untermauern.“ Denn dafür bedarf es auch spielerischer Harmonie. Der Einzelne funktioniert nur, wenn er mit seinen Mitspielern zusammen funktioniert. Nicht umsonst ist Fußball immer noch Mannschaftssport.

 

Die Stuttgart-Niederlage lieferte wichtige Erkenntnisse

Und zumeist funktionieren viele Veränderungen eher suboptimal - wobei hier der Schaden selbst im Falle einer Niederlage natürlich mit einem Pokal-Aus (die nächste Runde hätte gut eine Million Euro Zusatzeinnahmen bedeutet) nicht vergleichbar ist. Dass sich auf den Rängen parallel zum Ausscheiden schon wieder Unmut breit machte, wollte Hecking dennoch nicht hinnehmen und mahnte am Mittwoch noch einmal an, dass die Erwartungshaltung hier in Hamburg nicht wieder über die Möglichkeiten gestellt werden sollten. Wobei er damit ausschließlich die „wichtigen Fans“ im VIP-Bereich und den Logen ansprach.

Der überwiegende Rest der Fans hatte ein sehr gutes Gespür und feuerte die Mannschaft nach dem Pokalaus noch im Stadion mit „Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey - hey“-Sprechchören an. Und sollte Trainer Hecking aus dem Spiel gegen Stuttgart am Dienstag die richtige Schlüsse ziehen, dann wäre der HSV zwar aus dem Pokal ausgeschieden - hätte aber dennoch Erkenntnisse dazugewonnen, dien auf dem Weg zum großen Ziel Wiederaufstieg helfen werden.

In diesem Sinne, heute ist trainingsfrei, morgen melde ich mich wieder um 7.30 Uhr pünktlich mit dem MorningCall bei Euch, ehe wir uns um 13 Uhr live (via Facebook und Twitter) von der Pressekonferenz mit Dieter Hecking melden. Um 14 Uhr wird öffentlich trainiert. Und am Abend gibt es dann in gewohnter Weise alles Neue rund um den HSV hier im Tagesblog. Dann hoffentlich mit besseren Nachrichten als heute.

Euch allen einen schönen Reformationstag! Bis morgen!

Scholle

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