Marcus Scholz

17. Dezember 2019

Die Feier am gestrigen Abend sei ungetrübt und „sehr lustig“ gewesen. Unter dem Motto „Casino Royale“ hatten Mannschaft und Offizielle des HSV ihre Weihnachtsfeier schon vor das letzte Spiel des Jahres gelegt, um so den Spielern die Möglichkeit zu geben, unmittelbar nach Schlusspfiff am 21. Dezember in Darmstadt ihren Heimaturlaub anzutreten. „Ich freue mich immer auf solche Feiern“, hatte Trainer Hecking zuvor angekündigt. Allerdings erst, nachdem er deutliche Worte in Richtung seiner Mannschaft gerichtet hatte, was seine Erwartungen für das letzte Spiel des Jahres betreffen. Und natürlich deutliche Worte in der Angelegenheit Gideon Jung, die Hecking etwas zu drastisch gewählt hatte. Zu drastische Worte - für viele.

Mit „Es ist schon anmaßend, was sich da einige, die mit 50 Kilo Übergewicht vorm Laptop sitzen, rausnehmen. Die sollten erstmal an sich runtersehen und überlegen, was sie machen“, hatte Hecking die unangemessen scharfe Kritik an seinem Spieler in den Sozialen Medien kritisiert. Und es passt zum HSV, dass sich letztlich mehr über die Verpackung als den Inhalt des Produktes unterhalten wird. Nicht, dass ich es als falsch bezeichnen würde. Hecking ist mit seinem Satz definitiv ein Stück zu weit gegangen. Das benenne ich so - und fertig. Andererseits sollte es wiederum nur deutlich machen, dass Hecking sich eben auch in die tiefste Pfütze vor seine Spieler wirft, wenn es nötig ist. Er zieht allen Ärger auf sich, um seinen Spielern nach außen maximalen Schutz zu bieten - endlich mal. Zumindest ist die Nachricht so bei mir angekommen.

Jung: Berechtigte Kritik oder Bashing-Opfer?

Aber noch mal: Das Recht zu kritisieren und zu loben hat trotzdem jeder - komplett unabhängig von seiner körperlichen Konstitution. Mit dieser 50-Kilo-Formulierung lag Hecking daneben - und das weiß er auch. Auch wenn er bewusst hart formulierte , um damit diejenigen zu attackieren, die nichts anderes im Kopf haben als seine Spieler immer wieder zu beleidigen. Und bei Jung gibt es davon zunehmend viele in den verschiedenen Foren. Jung ist sowas wie der legitime Sakai-Nachfolger. Er wird schon kritisiert, bevor er den ersten Ball überhaupt gespielt hat. Auch hier bei uns im Blog. Von daher ist der Kern der Hecking-Kritik an sich löblich. Aber wie er es verpackt hat - das eben nicht. Und damit will ich nur verdeutlichen, was hier falsch läuft: Denn anstatt beides zu benennen, also die diskriminierende 50-Kilo-Formulierung als solche zu kritisieren und sich dann der eigentlichen Nachricht zu widmen, wird die Kritik an den Bashern hinter die Hecking-Kritik geschoben. Der Kern wird damit bewusst missachtet.

Dabei macht der HSV-Trainer seit seinem Amtsantritt hier sehr viel richtig, seine Mannschaft ebenso. Aber genauso wie sportlich auf dem Platz eben nicht alles zum Sieg führt, so ist auch das Drumherum nicht frei von Fehlern. Heckings harsche Art, den Medien die Stirn zu bieten, seine klaren Ansagen und seine gelassene Art mit schwierigen Situationen umzugehen - alles das wird von den Fans gefeiert. Hätte Hecking statt „einige mit 50 Kilo Übergewicht“ den Zusatz „einige Journalisten mit 50 Kilo Übergewicht“ gewählt, es wäre heute sicher kein Thema, sondern ein weiterer gefeierter Auftritt. So aber fühlten sich einige Anhänger angesprochen - und DAS wiederum geht so gar nicht klar…

Das Defensivproblem ist anhaltend - das Offensivproblem lösbar

Hecking muss allerdings aufpassen, dass seine Art nicht zum Selbstzweck wird. Denn dann wäre es irgendwann kontraproduktiv. Zumal der Moment sehr wohl dafür geeignet ist, Kritik zu äußern. Sportlich extern - aber vor allem auch intern. Denn die Winterpause muss der HSV nutzen, um zu sehen, was er von den augenscheinlicher werdenden Mängeln noch korrigieren kann. Dass es im Januar ein schwieriger Markt ist, gerade für Teams, die nicht über viel Geld verfügen - logisch. Schnellschüsse gilt es zu vermeiden, so die klare Ansage von Hecking wie von den beiden anderen sportlich verantwortlichen, Sportvorstand Jonas Boldt und Kaderplaner Michael Mutzel. Und das ist sicher auch richtig. Denn man kann mit Umstellungen bzw. Umbesetzungen im Winter auch vieles von dem durcheinander wirbeln, das bislang gut funktioniert.

 

Und noch mal, auch wenn das viele anders sehen: Dieser HSV hat ein großes Problem, im wahrsten Sinne: die anhaltende Kopfballschwäche. Die Offensivschwäche ist dagegen temporär - glaube ich. Und wer gestern den VfB Stuttgart gesehen hat, der wird erkannt haben, dass dieses Probleme alle haben.

Dennoch, sieben der insgesamt nur 17 Gegentore hat mann nach hohen Bällen kassieren müssen. Deutlich zu viel. Das bedeutet knapp 42 Prozent seiner Gegentore per Kopf. Und DAS ist ein Problem. Denn hier verhält es sich genau so, wie es mein Abendblatt-Kollege Henrik Jacobs nach Sandhausen richtig schrieb: Als Rezept gegen den HSV reichen eine gute, massierte Defensive, ein paar Konter und wenige Standards. Heckings Aussage, er könne seine Spieler nicht strecken und es gäbe keine Patentlösung, reicht niemandem. Sie muss auf der einen Seite durch spezielles Training angegangen und auf der anderen Seite muss nach Spielern geschaut werden, die dieses Defizit beheben. Dass der HSV tatsächlich in der Winterpause Kyriakos Papadopoulos gen Köln loswerden und im Gegenzig Simon Terodde bekommen könnte, klingt dabei zu schön, um wahr zu sein.

Bei Hinterseer und Harnik zahlt sich Geduld aus

Wobei, und damit komme ich noch mal auf meine Unterscheidung zwischen dem dauerhaften Defensiv- und dem vorübergehenden Offensivproblem: Selbst wenn der HSV aktuell nicht oft trifft und aus 60 Angriffen gerade einmal zwei Tore entstanden sind, so hat der HSV zumindest diese Angriffe. Es gab bislang kein Spiel, in dem der HSV nicht die Chancen hatte, die Partie für sich zu entscheiden. Und einem Lukas Hinterseer oder einem Harnik - so sehr sie auch gerade unter Ladehemmung leiden - traue ich auf lange Sicht allemal zu, dem HSV ausreichend Tore zu schießen. Schon in Darmstadt: „Wir müssen genau so weiter machen, wie wir es in Sandhausen angefangen haben“, sagte Hecking, „wir werden wieder das Spiel bestimmen, wieder viel Ballbesitz haben. Aber wir müssen im und um den Strafraum herum bessere Entscheidungen treffen und zielstrebiger werden. In der Endkonsequenz kommen wir zu wenig zu erfolgreichen Torabschlüssen.“ Aber: Das lässt sich ändern.

Von daher bin ich hier bei Hecking, wenn er sagt, dass es primär um den Außenverteidigerposten ginge. Dort hat man  numerisch Probleme nach den beiden langfristigen Ausfällen von Josha Vagnoman und Jan Gyamerah, die beide noch bis zum Frühjahr 2020 ausfallen werden. Ebenso bin ich bei Hecking, was pauschale, prinzipielle Kritik betrifft: Die ist nie zielführend. Das hat der HSV-Trainer leider falsch formuliert - aber er hat es richtig erkannt. Und um Letzteres muss es langfristig gehen, wenn man hier in Hamburg endlich besser werden will.

 

In diesem Sinne, bis morgen. Da wird wieder um 10 Uhr am Volksparkstadion trainiert. Stand heute sind dann alle dabei. Natürlich auch wir wieder. Euch allen bis dahin einen schönen Fußballabend, die Erste Liga spielt heute und morgen. Ich melde mich dann morgen früh pünktlich um 7.30 Uhr wieder mit dem MorningCall bei Euch.

Scholle

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