Marcus Scholz

25. Februar 2020

Für die Kollegen der Hamburger Morgenpost steht in den nächsten Wochen für HSV-Cheftrainer Dieter Hecking eine Art Meisterprüfung an. Er muss den Turnaround schaffen nach der Derbyniederlage und dem Verlust des zweiten Tabellenplatzes. Und die Vorbereitung darauf begann heute mit einer Krafteinheit im Kabinentrakt, ehe es um 10:45 Uhr mit der gesamten Mannschaft auf den Trainingsplatz ging. Bis auf Joel Pohjanpalo sowie Julian Pollersbeck waren sie alle dabei. Selbst die Sonne gab sich kurzfristig die Ehre und sorgte dafür, dass Dieter Hecking vor dem Vormittagstraining ein wenig ungläubig nachfragte: „Wo bitteschön ist denn der Regen?“ Vorweggenommen: Er kam. Immer wieder. Aber gemessen an der Aufgabe, die dem Trainer aktuell laut Mopo-Kollegen bevorsteht, ein erster Erfolg. Denn dort wurde es auch als eine Art Meisterleistung bezeichnet, wenn Hecking die Tristesse in Hamburg vertreiben könne. Angesichts des wechselhaften Wetters gelang Hecking das heute - aber wie in allen anderen Bereichen eben nur in Teilen.

Ich für meinen Teil muss gestehen, dass es für mich schon eine Meisterleistung wäre, angesichts der hier in Hamburg einsetzendem früh Panik, immer die Contenance zu wahren. Denn inzwischen hat hier das übliche Spielchen eingesetzt. Die eine Seite betont, wie wenig aufgeregt man doch bitte sein möge, während auf der anderen Seite davon gesprochen wird, das ist jetzt höchste Eisenbahn sei, zu reagieren und Dinge anders anzugehen. „Hauptsache anders“ regiert mal wieder in Teilen des direkten Umfeldes. Allein der Trainer und die HSV-Verantwortlichen wollen (noch) nicht mitspielen. Und das ist auch gut so.

Unaufgeregt nach außen, kritisch nach innen

Denn genau diese Unaufgeregtheit ist es, die dem HSV in den letzten Jahren immer wieder gefehlt hat. Eine unaufgeregte Zeit gepaart mit sachlichen Analysen und daraus abgeleiteten Konsequenzen ist das, was der HSV jetzt braucht - und was er sucht. So, wie es Trainer Dieter Hecking am Sonntag tat, als er zugab, dass seine taktischen Änderung nicht wie gewünscht bei der Mannschaft auf dem Platz angekommen waren, um letztlich auch auf dem Platz das Spiel zu drehen. Der Cheftrainer hatte die Niederlage auf seine Kappe genommen, und sich damit schützend vor die Mannschaft gestellt. Intern allerdings, so heißt es, habe Hecking seine Spieler sehr wohl sehr deutlich bei der Videoanalyse heute Vormittag auf ihre Fehler angesprochen. Ergo: Alles so, wie es sein sollte. Unaufgeregt nach außen, nach innen klar. „Und das immer als Einheit“, wie Hecking am Sonntag betont hatte.

Ich hatte es euch gestern geschrieben, dass ich in dieser Woche im Training genau darauf achten werde, was der Trainer mit der Mannschaft vorhat. Beziehungsweise, wo Hecking bei seinen Spielern aktuell ansetzt. Hecking hatte sich am Sonntag vehement dagegen verwehrt, dass seine Mannschaft sich im Derby gegen den FC St. Pauli nicht in leidenschaftlich genug präsentiert hätte. Das Gegenteil sei der Fall gewesen so der HSV-Trainer, der im selben Atemzug feststellte, dass seiner Mannschaft im Offensivspiel gegen die tief stehenden Stadtrivalen einfach die Lösungen gefehlt haben. Und genau darum ging es im Training heute. Die Spieler sollten schnell Entscheidungen treffen, sich schnell um orientieren, und vor allem in dem Spiel auf verkürzt im Feld und engem Raum Ideen entwickeln. Im Mittelpunkt hierbei standen neben dem Inhalt der Prunk natürlich auch die zentralen Mittelfeldspieler des HSV. Einer von ihnen: Adrian Fein. Der defensive Mittelfeldspieler ist nach dem Jochbeinbruch heute wieder voll ins Training eingestiegen. Und er machte dabei schon einen richtig guten Eindruck. „ Es wird von Trainingseinheit zum Trainingseinheit besser“, so Fein, der die letzten beiden Partien ausgefallen war. Und sollte alles nach Plan verlaufen, dürfte Fein schon am Sonnabend beim Auswärtsspiel beim FC Erzgebirge Aue sein Comeback feiern.

Fein setzt auf Comeback in Aue

Es würde in dieser Woche vor allem darum gehen, zu sehen, inwieweit Fein durch die nach Maß angefertigte Carbon-Maske im Training noch behindert wird und inwieweit das den Mittelfeldspieler noch davon abhält, wieder voll in die Zweikämpfe einzusteigen. Das hatte Trainer Dieter Hecking am Tag nach der Derbyniederlage noch ein wenig zurückhaltend angekündigt. Aber geht es nach Fein selbst, so dürfte es am Sonnabend für ihn wieder losgehen: „Ich glaube, der Trainer weiß dass ich Bock habe, zu spielen. Aber wir müssen natürlich auch gucken, dass ich der Mannschaft auch wirklich helfen kann. Wenn ich mir nicht zu 100 % sicher bin muss ich das natürlich auch sagen. Ich will nicht einfach nur auf dem Platz stehen.“ Wie es sich heute angefühlt habe im Training? „Ich bin zuversichtlich, dass es bei den Zweikämpfen keine Probleme gibt. Ich fühle mich gut mit der Maske, ich fühle mich sicher mit der Maske. Ich kann richtig reingehen in die Zweikämpfe. Die Maske ist eine sehr gute Lösung.“

Aber egal wie, es wird im zentralen Mittelfeld vor dem aktuell gesetzten und zuletzt von Hecking immer wieder gelobten Gideon Jung einen sehr interessanten Konkurrenzkampf über die nächsten Trainingstage hinweg geben: Louis Schaub gegen Aaron Hunt. Sollte Fein am Sonnabend wieder voll einsetzbar sein, dürfte er zusammen Jung spielen. Jung würde als sprintstärkerer Abräumer nach hinten seine Kernaufgabe haben. Adrian Fein würde daneben/davor als Mischung aus defensivem Mittelfeld- und Aufbauspieler neben - oder leicht hinter - einem Akteur spielen, der sich ausschließlich auf das Kreative beschränken könnte. Und hier kämpfen  Louis Schaub und Kapitän Aaron Hunt in den nächsten Tagen um den Platz in der Startelf. Ein sehr interessanter Zweikampf, der sich mit Sicherheit über die gesamte Trainingswoche hinweg ziehen wird. Und obgleich es auch möglich ist, dass Hecking erneut auf beide zur gleichen Zeit setzt, erscheint mir das eher unwahrscheinlich zu sein.

Pohjanpalo und Hinterseer sollten tauschen

Gefehlt hat heute im Training Tobias Schweinsteiger. Der Cotrainer des HSV absolvierte seine Eignungsprüfung zur Zulassung für den Fußballlehrer in Hennef und soll am Mittwoch wieder zur Mannschaft stoßen. Ebenfalls heute noch nicht dabei war Joel Pohjanpalo. Allerdings soll der finnische Angreifer nach seiner Beckenkammprellung auch morgen schon wieder ins Training einsteigen können. Und auch hier deutet sich eins ehr interessanter Zweikampf um eine Position an. Denn nachdem der Leihspieler aus Leverkusen am Sonnabend im Derby gegen den FC St. Pauli erstmals von Beginn an der ran durfte, wird er das in Aue wieder wollen. Genauso wie Lukas Hinterseer, der zuvor Stammspieler war. Ich weiß auch, dass diese Personalie hier im Blog sehr kontrovers diskutiert wird. Allerdings würde ich sie aus zweierlei Gründen sehr schnell für mich beantworten können: zum ersten glaube ich weiterhin fest daran, dass nur Pohjanpalo als Joker Aufbruchstimmung bei der eigenen Mannschaft sowie Befürchtungen beim Gegner erzeugen kann. Hinterseer ist in meinen Augen kein guter Ersatzspieler, weil er nicht der Brecher ist, der den Gegner mit seiner Wucht bedroht.

Zudem muss man sehen, dass Hinterseher bislang als Startelfspieler gut funktioniert hat mit zuvor fünf Treffern aus sechs Spielen. Solange er gesund und gut drauf ist und der HSV mit ihm punktet, hat und hatte Hecking meiner Meinung nach keine Not, zu wechseln. Zumal Pohjanpalo in seiner Rolle als Joker eben auch funktionierte bei der nächsten gelben Karte für ein Spiel gesperrt wäre. Von daher ist der nächste Startelfeinsatz für Pohjanpalo, den Hecking weder dem einen noch dem anderen erklären müsste, absehbar.

Fein macht den HSV auf dem Platz variabler

Womit ich noch einmal auf das eingangs erwähnte „Hauptsache-anders“-Denken einiger zurückkomme. Denn so klar ist auch erscheinen mag, dass der HSV am Sonnabend in Aue anders auftreten muss als die letzten 70 Minuten gegen den FC St. Pauli, so wenig muss das bedeuten, dass der HSV personell großartig etwas verändert. Fakt ist, dass Jeremy Dudziak noch einige Wochen lang ausfallen wird. Der Linksfuß muss ersetzt werden, das ist klar. Aber mit einem Gideon Jung als Defensivabräumer, der einen Übergangsspieler wie Fein und einen Kreativen wie Schaub oder Hunt vor und neben sich hat, wäre auch Dudziak Ausfall zu kompensieren.

Vor allem würde sich Trainer Dieter Hecking so wieder eine gewisse Flexibilität auf dem Platz schaffen. Soll heißen: Wenn der Gegner sich wie zuletzt so oft nur tief hinten rein stellt, rückt Fein ein Stück weit mehr in die Offensive auf. Dass auch er einen klugen finalen Pass spielen kann, haben wir in der Hinrunde gesehen. Zugleich ist Fein von Natur aus defensiver orientiert. Die Gefahr, dass man wie Eggen den FC St. Pauli beim 0:1 wie aus dem Nichts ausgekontert wird, ist zweifellos geringer als mit zwei Freigeistern (wie Schaub und Hunt)  vor Jung. Und das wird man beim FC Erzgebirge Aue am Sonnabend sicher gut gebrauchen können.

 

Apropos: Ich weiß, wie schmal der Grat zwischen produktiver Ruhe und lähmender Trägheit ist. Dennoch, gebrauchen könnten wir beim HSV gerade jetzt auch mehr Vertrauen in die eigene Stärke. Dass es in dieser Saison keinen Deut leichter wird, aufzusteigen, dürften allen nicht erst seit Sonnabend klar geworden sein. Ebenso klar ist aber auch, dass am Ende die Mannschaft die Nase vorn haben wird, die am wenigsten Nebenkriegsschauplätze entwickelt, die vom Wesentlichen ablenken.

HSV braucht einen kühlen Kopf und klaren Blick

Bielefeld scheint hierbei ziemlich frei von jedem Verdacht zu sein. Beim VfB Stuttgart, den ich schon seit Jahren immer wieder gerne als den HSV des Südens bezeichne, lagen die Nerven schon in der Hinrunde einmal blank. Herausgekommen ist dabei ein Trainerwechsel, der aktuell sehr gut funktioniert. Und es wäre doch fast zu schön, wenn der HSV es tatsächlich einmal schafft, seinen auf Kontinuität und Vertrauen proklamierten neuen Weg trotz einiger Kommentare von Außenstehenden erfolgreich zuende zu gehen. Denn genau DAS - ehrlich gesagt sogar nur DAS -  wäre für mich die Basis für den Umbruch, den man beim HSV seit Jahren gesucht hat und den man auch zwingend braucht. 

In diesem Sinne, bis morgen. Da melde ich mich um 7.30 Uhr wieder mit dem MorningCall bei Euch, ehe es für die Mannschaft um 10 Uhr wieder am Volksparkstadion auf den Trainingsplatz geht. Bis dahin Euch allen einen schönen Champions-League-Abend!

Scholle

P.S.: Der nächste Neue? Tobias Strobl soll zum HSV wechseln. Die "SportBIld" berichtet, dass sich der HSV mit dem Mittelfeldspieler Borussia Mönchengladbach bereits auf einen Wechsel im Sommer geeinigt hat. Der 29-Jährige wäre ablösefrei - kommt aber nur im Falle des Aufstieges des HSV.

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