Christian Hoch

11. März 2020

Beim Blick in die Zeitung, oder beim Hören des Morning-Calls ist dem einen oder anderen HSV-Fan am Mittwoch Morgen sicherlich das Frühstück im Halse stecken geblieben. Auf der aktuellen Titelseite des „Hamburger Abendblatts“ prangert ein großes Bild von HSV-Vorstandsboss Bernd Hoffmann, darunter die Zeile: „Machtkampf an der HSV-Spitze!“ Der Leitartikel selbst trägt die Überschrift: „Der große Krach.“ Die Protagonisten, um die es gehen soll: Bernd Hoffmann, Sportvorstand Jonas Boldt und eigentlich sogar alle Teile der HSV-Führungsebene. Der Artikel ist fundiert, der Rechercheaufwand groß, der Großteil der Indizien und Beispiele konkret belegt. Die Rautenperle liefert Hintergründe und Einordnungen zum angeblichen HSV-Knatsch. 

Jonas Boldt klatschte mit jedem einzelnen Spieler während einer Trainingsunterbrechung ab, nahm den einen oder anderen HSV-Profi in den Arm, sprach ihnen zu. Bei der letzten öffentlichen Einheit vor dem anstehenden Geisterspiel bei Greuther Fürth sendete der Sportvorstand ein Zeichen von Geschlossenheit zwischen ihm, der Mannschaft und dem Trainerteam um Dieter Hecking. Auf anderer Ebene soll es laut einem Bericht des „Hamburger Abendblatts“ diese Einheit dagegen schon länger nicht mehr geben: Seit Monaten soll sich Boldt mit Bernd Hoffmann, dem HSV-Vorstandsvorsitzenden in einem internen Machtkampf befinden. Aus diesem hätten sich außerdem sowohl im HSV-Vorstand als auch im Aufsichtsrat verschiedene Lager gebildet haben. Bedeutet das einen Machtkampf von Team Boldt gegen Team Hoffmann? 

Klar ist nach unseren Informationen: Hoffmann und Boldt haben intern verschiedene - und zum Teil heftige - Dispute ausgetragen, die dafür gesorgt haben, dass das Verhältnis nur noch auf professioneller und nicht mehr auf vertrauensvoller Ebene basiert. Startschuss für diese Entwicklung: der Transfer von Douglas Santos in diesem Sommer von Hamburg zu Zenit St. Petersburg. Auch das „Abendblatt“ hatte dieses Thema als Ausgangspunkt beschrieben. Der zentrale Vorwurf hier: Bernd Hoffmann habe sich am 21.06.2019 ohne Abstimmung mit seinen Vorstandskollegen mit Spielervermittler Marcus Haase getroffen, um den Santos-Deal voranzutreiben. Hintergrund: Der Wechsel des Brasilianers zog sich zu diesem Zeitpunkt in die Länge, der HSV brauchte die fest eingeplanten Millionen jedoch, um zum Beispiel auch den Transfer von Tim Leibold als Santos-Ersatz zu finalisieren. 

Zwei offene Fragen 

Die Folge: Boldt und Hoffmann waren sich uneinig in der weiteren Vorgehensweise. Boldt plädierte intern für den Plan, das erste Angebot von Zenit St. Petersburg (9 Millionen Euro plus zweimal Boni in Höhe von 500.000 Euro) abzulehnen. Der Grund: Durch regelmäßigen Kontakt zu den Zenit-Verantwortlichen und anderen Vereinen wusste der ehemalige Sportdirektor von Bayer Leverkusen um den Markt für Santos - und dieser lag deutlich über dem ersten Angebot aus Russland. Hoffmann jedoch soll auf einen Schnellschuss gedrängt haben. Das zeigen auch Belege aus dem Abendblatt-Artikel. Spielervermittler Haase, der mittlerweile Klage gegen den HSV eingereicht hat und auf seine Provision pocht, dokumentiert die Treffen mit Hoffmann so: 

„Sie sagten mir, wir müssten jetzt irgendwie zusehen, den Transfer durchzubekommen. Sie baten mich, alle Hebel in Bewegung zu setzen, dass Zenit ein verbessertes Angebot macht. Ich versicherte Ihnen, dass ich dies tun werde.“ 

Hoffmann selbst gibt mittlerweile zu, dass er Boldt zu Beginn seiner Amtszeit in dieser Angelegenheit nicht immer eingeweiht habe - ein Vertrauensbruch. Haase legte im weiteren Verlauf seiner Stellungnahme nach und warf Boldt vor, den Transfer von Santos nach Petersburg durch sein Veto gefährdet zu haben. Deswegen sei auch der Deal in der Folge ins Stocken geraten und daraufhin hätte Hoffmann den Kontakt sowie die Kommunikation zu Haase intensiviert. Wenn sich die Worte von Haase als wahr erweisen sollten, kommen an dieser Stelle zwei offene Fragen auf: Wieso zieht Hoffmann solch einen Alleingang im Kompetenzbereich seines Vorstandskollegen durch? Und hat Boldt mit seiner Ansage überhaupt den wichtigsten Millionentransfer des vergangenen Sommers gefährdet, wenn er Kenntnis von besseren Angeboten hatte? 

So oder so: Haase reichte Klage gegen den HSV ein, forderte eine Vermittlungsprovision von 1,2 Millionen Euro. Hoffmann jedoch erstellte per Gutachten einen Vergleich und bot die Summe von 300.000 Euro. Unbestritten ist, dass sich Hoffmann und Boldt in diesem Punkt uneinig waren - gemeinsam mit Finanzvorstand Wettstein legte Boldt in einer Sitzung Veto ein. Wohl auch eine Konsequenz aus dem Hoffmann-Alleingang, der dem 38-Jährigen mehr als sauer aufgestoßen ist. Das Abendblatt liefert noch zwei weitere Beispiele, die das angeblich zerrüttete Verhältnis zwischen den beiden HSV-Vorständen dokumentieren soll. So soll es auch in Bezug auf die Vorgehensweise in der Causa Jatta zu Disputen gekommen sein. Nachdem die „Sport Bild“ Zweifel an der Identität Bakery Jattas geäußert hatte, boykottierten Sportvorstand Boldt und Trainer Hecking den jährlichen Sport Bild-Award. Präsident Marcell Jansen, Aufsichtsratsboss Max-Arnold Köttgen und Hoffmann dagegen erschienen. Aus dem Verein heißt es, dieses Vorgehen sei intern abgestimmt gewesen, um den diplomatischen Kontakt zum Springer-Konzern zu halten. 

Kühne-Treffen kein direkter Beleg für Disput

Weiterer Punkt im Abendblatt: Vor rund einem Monat gab es ein Treffen zwischen HSV-Investor Klaus-Michael Kühne, Jansen, Köttgen und Hoffmann. Intention: Gemeinsame Besprechung bezüglich der weiteren Planung in Sachen Namensrecht des Stadions. Finanzvorstand Wettstein und Boldt waren bei diesem Treffen nicht dabei - Boldt soll aus der Zeitung von der Zusammenkunft erfahren haben. Dieser Fall dient jedoch nur bedingt als Beleg, da die Vergabe des Stadionnamens beim HSV in den Bereich Marketing - und damit in Hoffmanns Zuständigkeitsbereich - fällt. 

Viel schwerer wiegt ohnehin der Vorwurf des Alleingangs von Hoffmann im Fall Santos-Transfer. Bei diesem so imminent wichtigen Deal für den HSV auf eigene Faust zu agieren wäre grob fahrlässig und definitiv ein Fehler. Und auch nach unseren Informationen hat Hoffmann in Teilen genau das auch getan. Diese Thematiken erinnern zudem doch stark an die Vergangenheit. 

Vorwürfe an Hoffmann erinnern an Beiersdorfer-Aus

Nach der Saison im Jahre 2009, in der der HSV im Halbfinale des UEFA-Cups und des DFB-Pokals an Werder Bremen gescheitert war, entwickelte sich in der Folge einer der größten Streits in der HSV-Geschichte. Die damaligen Hauptdarsteller: Dietmar Beiersdorfer und Bernd Hoffmann. Aus dem damaligen Machtkampf resultierte letztlich ein Jahr später das Aus von Beiersdorfer und die Talfahrt des HSV begann, die letztlich vor zwei Jahren in dem erstmaligen Abstieg in die zweite Bundesliga mündete. In dieser Phase musste letztlich auch Hoffmann gehen, weil ihm auch an dieser Stelle Alleingänge, Kompetenzüberschreitungen und atmosphärische Probleme vorgeworfen wurden. 

Die Entwicklung der Beziehung Boldt/Hoffmann ist noch lange nicht in diesem Stadium angelangt, doch mit der Veröffentlichung des Abendblatts sind Prozesse ans Tageslicht getreten, die schon länger in der HSV-Gegenwart gären. Die erste Eskalationsstufe ist erreicht und die Thematik noch lange nicht vom Tisch. Es bleibt spannend, wie sich die Dinge sowohl in der Kommunikation nach innen als auch nach außen entwickeln. Denn noch vermeiden - zumindest öffentlich - alle Beteiligten klare Positionierungen. 

Boldt will intern keine Politik betreiben - darum verließ er Leverkusen

Bernd Hoffmann sagt: „Wir lassen uns keinen Zwist einreden.“ Jonas Boldt gibt zu Protokoll: „Als oberste Priorität sollten immer die Interessen des Clubs uns nicht der Einzelpersonen gelten. Daher werde ich weiter auf die interne Kommunikation setzen und mich zu den Themen nicht weiter äußern.“ Klar ist: Boldt hat kein Interesse an einem Machtkampf und will diesen auch intern nicht austragen. Der gebürtige Nürnberger will sich innerhalb eines Vereins auf keine politischen Spiele einlassen, sondern präferiert vielmehr gemeinsame Lösungen. Wichtig in diesem Kontext: Als Boldt merkte, dass bei Bayer 04 Leverkusen Einzelpersonen Politik gegen ihn betrieben, um ihre eigene Position zu stärken, verkündete er selbst sein Aus bei der Werkself. Soweit ist es in Bezug auf die Situation beim HSV zwar noch nicht, doch sollte Boldt merken, dass dies wirklich auch in Hamburg der Fall sein sollte, ist es nicht ausgeschlossen, dass er ähnlich handelt wie in Leverkusen. 

Doch das - und auch ein interner Machtkampf mit Boldt - dürfte jedoch auch nicht im Interesse von Hoffmann sein. Nach dem verpatzten Wiederaufstieg im Vorjahr geht es auch für ihn wohl in dieser Spielzeit um sein Amt beim HSV. Die Diskussionen kommen außerdem zur Unzeit, da sich der HSV mitten in der entscheidenden Saisonphase befindet. Zudem war Boldt vor dieser Spielzeit der absolute Wunschkandidat Hoffmanns und auch bereits vor der vergangenen Saison versuchte Hoffmann nach Hamburg zu holen. So oder so: Einen fundierten Ausblick, wie es mit dieser Thematik weitergeht, kann in der aktuellen Phase niemand wirklich wagen. 

Gyamerah vor Startelf-Comeback - auch HSV-Heimspiele ohne Zuschauer 

Dafür gibt es in Sachen Folgen des Coronavirus für HSV-Heimspiele wohl Gewissheit: Die Stadt Hamburg hat - anders als noch am Dienstag - beschlossen, ebenfalls Großveranstaltungen mit mehr als 1.000 Besuchern bis Ende April auszusetzen. Davon wären dann auch die Partien des HSV im Volksparkstadion betroffen. 

Eine positive Überraschung gab es bei der letzten öffentlichen Einheit in Sachen Personal: Jan Gyamerah, seit mehr als einer Woche nach seinem Wadenbeinbruch erst wieder im Mannschaftstraining, absolvierte das komplette Programm in der Startformation. Ein Szenario für die kommende Partie bei Greuther Fürth? Auf jeden Fall nicht ausgeschlossen. 

Wir melden uns morgen um 7:30 Uhr wieder bei euch mit dem Morning-Call, dann steht die Pressekonferenz mit Dieter Hecking um 12:30 Uhr auf dem Plan - und am Abend versorgen wir euch wie gewohnt mit allen Informationen rund um den HSV in unserem Blog. 

Bis morgen 

Christian

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