Tobias Escher

23. November 2020

Es ist passiert! Der Hamburger SV verlor erstmals unter Daniel Thioune ein Spiel – und das nicht unverdient. Der VfL Bochum nutzte beim 3:1-Sieg die Schwächen des HSV aus. Sowohl mit als auch ohne Ball zeichnete das Hamburger Spiel eine ungewohnte Unordnung aus.

Thioune bleibt unberechenbar. Auch vor dem Spiel gegen Bochum ließ sich der Hamburger Trainer nicht in die Karten blicken. Seine Startaufstellung überraschte: Bakary Jatta durfte die Rolle des rechten Verteidigers übernehmen. Das bedeutete zugleich, dass der HSV mit einer Fünferkette in das Spiel ging. Alleskönner Moritz Heyer durfte diesmal in der Innenverteidigung auflaufen, Aaron Hunt und Amadou Onana bildeten die Doppelsechs. Hinter Sturmspitze Simon Terodde agierten Jeremy Dudziak und Manuel Wintzheimer als eingerückte Außenspieler.

Gute Ansätze, schlechte Ansätze

VfL-Trainer Thomas Reis hielt dem HSV ein 4-2-3-1-System entgegen. Seine Bochumer wollten sich nicht verstecken, im Gegenteil: Von der ersten Minute an bliesen sie zur Balljagd. Im Pressing schossen die beiden Außenstürmer nach vorne, sodass Bochum mit drei Spielern die Hamburger Dreierkette anlief. Die Mittelfeldspieler dahinter nahmen das Hamburger Mittelfeld in Manndeckung. Während Zehner Robert Zulj sich vor seinem jeweiligen Gegenspieler postierte und zwischenzeitlich auch das Pressing unterstützte, postierte sich die Bochumer Doppelsechs etwas tiefer.

Der HSV reagierte, wie dies unter Thioune üblich ist: Mit flachen Pässen versuchte sich das Team, aus der Umklammerung des Gegners zu befreien. Doch der Spielaufbau sollte an diesem Tag keine Stärke, sondern eher eine Schwachstelle sein. Obwohl der HSV ständig Torhüter Sven Ulreich ins Aufbauspiel einbezog, kamen sie selten zu einer Überzahl in Ballnähe. Das furiose Herausrücken der Bochumer Außenspieler blockierte immer wieder die Passwege nach vorne.

Das Problem war in Hamburgs Mittelfeld zu finden. Onana und Hunt ließen sich zwar häufig fallen, zogen dabei aber nur ihre Gegenspieler mit sich. Frei wurden sie aufgrund der engen Manndeckung des Bochumer Mittelfelds nie. Trotzdem versuchten sie, sich aktiv in den Spielaufbau einzubeziehen. Das ging nach hinten los: Hunts Passgenauigkeit lag gerade einmal bei 70%, Onana kam sogar nur auf 65% erfolgreiche Pässe.

Taktische Aufstellung HSV - Bochum
Taktische Aufstellung HSV - Bochum

 

Erfolg hatte der HSV immer dann, wenn Hunt und Onana überspielt wurden. Wintzheimer zeigte sich als Mischung aus Zehner und zweiter Stürmer wie immer beweglich. Wenn er freistand in den Lücken hinter dem Bochumer Mittelfeld, hatte der HSV seine besten Angriffe. Hier stimmte vor allem das Nachrückverhalten des Mittelfelds: Die Außenverteidiger schossen sofort nach vorne, auch Hunt und Onana rückten nach. Leider verpasste der HSV es fast immer, das Spiel in diesen Situationen breit zu machen. Einzig bei Dudziaks Abseitstor (27.) ließ der HSV die vorhandene spielerische Klasse aufblitzen.

Keine Kontrolle gegen den Ball

Das Mittelfeld war indes nicht nur im Spiel mit dem Ball eine Schwachstelle. Auch im Spiel gegen den Ball klaffte häufig eine Lücke im Zentrum. Dieses Problem war bereits in den ersten Partien dieser Saison zu beobachten. Mittlerweile nutzen die Gegner diese Schwachstelle konsequenter aus.

Um Druck im Pressing zu erzwingen, rückt Hunt häufig aus dem Zentrum nach vorne. Kann der Gegner das Pressing der Hamburger umspielen, muss Onana einen großen Raum vor der Abwehr allein verteidigen. Das lässt sich kaum bewerkstelligen. Gegen Bochum war das Hamburger Pressing über weite Strecke eher handzahm, sodass diese Schwachstelle offen zutage trat. Der HSV hatte sogar noch Glück, dass Bochum in der ersten Halbzeit häufig zum langen Ball griff, selbst wenn dieser gar nicht nötig gewesen wäre.

Patzer in allen Gewerken

Wären diese Schwächen nicht bereits genug gewesen für ein Spiel, leisteten sich sowohl die Spieler als auch das Trainerteam an diesem Tag weitere Patzer. Die Spieler, indem sie beim Freistoß vor dem 0:1 kollektiv abschalteten und Ulreich somit in eine undankbare Situation brachten. Der fällige Elfmeter brachte die Bochumer Führung (35.).

Das Trainerteam patzte, indem es just in der besten Phase des Hamburger Spiels gleich vierfach wechselte. Der HSV hatte sich gerade im System etwas zurechtgefunden, über die Flügel erzielten sie Raumgewinn. Diese Fortschritte waren nach dem vierfachen Wechsel völlig dahin. Im Mittelfeld fehlte fortan jegliche Abstimmung. Bei Sonny Kittel war von außen nicht ersichtlich, ob er nun zentraler Zehner oder halblinker Außenspieler spielt. Die Doppelsechs aus Klaus Gjasula und Onana harmonierte ebenfalls nicht. Gjasula sah man erneut das fehlende Tempo an; über seine halbrechte Seite leitete Bochum mehrere Konter ein.

Angesichts dieser Fülle an kleinen und größeren Schwächen geht der Sieg der Bochumer vollends in Ordnung. Nicht all diese Schwächen geben Grund zur Panik. Die Schwächen im Spielaufbau, die fehlende Passgenauigkeit, die falsche Wahl von System und die schwachen Wechsel – all das sind Faktoren, die passieren können und sich ebenso schnell wieder abstellen lassen. Sorgen bereitet mir in erster Linie die schwache Leistung des Mittelfelds. Die fehlende Präsenz im Zentrum im Spiel gegen den Ball war bereits in den ersten Partien zu beobachten. Damals fiel dies nicht so stark ins Gewicht, da die HSV-Verteidigung jeweils starke Tage erwischte. Tut sie das nicht, so wie gegen Bochum, kassiert der HSV mal schnell drei Gegentore. Umso wichtiger, dass Thioune und sein Trainerteam dieses Problem erkennen und abstellen, möglichst schon am kommenden Sonntag gegen Heidenheim.

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