Tobias Escher

1. Juni 2020

Spiel eins nach dem Nackenschlag gegen den VfB Stuttgart. Im Kampf um den Aufstieg war der Hamburger SV zum Siegen verdammt. Das tat er – allerdings nicht annähernd so souverän wie von vielen erhofft. Auch gegen Wehen-Wiesbaden gelang es den Hamburgern nicht, über neunzig Minuten eine konstante Leistung abzuliefern. Es zeigt sich vielmehr: Kleinste Veränderungen in der Startelf bringen die Balance gehörig durcheinander.

Trainer Dieter Hecking veränderte nach der 2:3-Niederlage in Stuttgart seine Anfangsformation auf vier Positionen. Überraschend kam der Wechsel im Tor: Julian Pollersbeck ersetzte Daniel Heuer-Fernandes. Im zentralen Mittelfeld kam David Kinsombi für Jeremy Dudziak zum Einsatz. Die Flügel-Positionen besetzten mit Sonny Kittel und Louis Schaub zwei Spieler, die sich im Zentrum wohlfühlen.

Flügel ohne Flügelstürmer

Letzteres hatte eine große Auswirkung auf die Statistik des HSV-Spiels. Kittel positionierte sich nur selten an der Linksaußen-Linie. Schaub mied sogar fast gänzlich seinen zugeteilten Bereich auf dem rechten Flügel, sondern zog praktisch permanent in die Mitte. Die Hamburger hatten somit einen hohen Fokus auf das Spiel durch die Halbräume. 

Diese Variante hatte den logischen Nachteil, dass die Hamburger Flügel teilweise unbesetzt blieben. Zwar rückten die Außenverteidiger nach und besetzten die Breite. Allerdings taten sie dies erst im späteren Angriffsverlauf. Die direkte Spielverlagerung auf die andere Seite war kaum möglich. Vor allem Spielverlagerungen auf die rechte Seite blieben Mangelware. 

Einem Spieler verhalf die neue Anordnung allerdings zu einem ungeahnten Leistungssprung: Mittelfeld-Mann Kinsombi. Seine ganz eigene Mischung aus Explosivität und einem unbändigen Drang nach vorne lassen sich nicht leicht in das Hamburger Aufbauspiel einbinden, das auf flache Kombinationen sowie Ballstaffetten durch das Mittelfeld setzt. Wenn er in der Vergangenheit im Mittelfeld auflief, klaffte zu häufig eine Lücke im Achter- bzw. Zehnerraum. Nicht so gegen Wehen-Wiesbaden: Schaub besetzte Kinsombis Position, sobald dieser in den Strafraum startete. 

Der HSV bediente die Sprints von Kinsombi und Stürmer Joel Pohjanpalo über jenen Offensivmechanismus, der in dieser Saison am Besten funktioniert: Auf links startete Kittel mehrfach mit dem Ball am Fuß Richtung Sechzehner, während Linksverteidiger Tim Leibold ihn auf dem Flügel hinterlief. Leibold kann dabei entweder den Ball von Kittel hinter der Abwehr erhalten – oder er zieht Gegenspieler auf sich, was Kittel wiederum das Dribbling in die Mitte erleichtert. So leitete der HSV den Treffer zum 1:1 (14.) ein, auch das dem 2:1 (27.) sowie dem 3:2 (76.) ging ein Angriff über die linke Seite voraus. Die rechte Seite hingegen war kaum präsent, was nicht zuletzt an Schaubs Drang lag, ständig in die Mitte zu ziehen.

Taktische Aufstellung HSV - SVWW
Taktische Aufstellung HSV - SVWW

 

Wehen-Wiesbaden ärgert den HSV

Ein Kinsombi, der taktisch clever in die Mannschaft eingebunden ist, eine stark funktionierende linke Seite: Das klingt nach einer guten Ausgangslage für einen ungefährdeten Sieg gegen den Tabellen-Vorletzten. Wehen-Wiesbaden machte dem HSV jedoch das Leben schwer. Mit ihrer unorthodoxen 5-1-3-1-Formation ließen die Hessen das Mittelfeld praktisch gänzlich verwaisen, sowohl offensiv als auch defensiv. Bei gegnerischem Ballbesitz starteten sie ein hohes Pressing, nur um sich nur Sekunden später an den eigenen Strafraum zurückzuziehen. Nach Balleroberung wiederum überspielten sie das Mittelfeld ganz bewusst, um schnellstmöglich in die Angriffszonen zu gelangen.

Dem HSV schmeckten beide taktischen Mittel nicht. Im Spielaufbau fanden sie zu selten zu der Dominanz, die man aus guten Spielen gewohnt ist. Wehen-Wiesbaden setzte im Pressing immer wieder Nadelstiche. Gerade Torhüter Pollersbeck zwangen sie, den Ball öfter lang zu schlagen, als dem spielstarken Torhüter lieb war. Nach Ballverlusten erlangte der HSV wiederum keinen Zugriff. Daran war auch die seltsame Hamburger Formation schuld: Durch Schaubs wildes Verschieben und das weite Vorrücken Kinsombis stand der HSV bei eigenem Ballbesitz weniger sortiert. Nach Ballverlusten war häufig nur ein Hamburger in Ballnähe. Ein wuchtiges Gegenpressing war so nicht möglich. 

Nach der Pause verlor der HSV noch stärker die Kontrolle über das Spiel. Wehen-Wiesbadens Coach Rüdiger Rehm hatte seine Mannschaft auf eine 4-4-2-Formation umgestellt. Er forderte ein höheres Pressing von seinem Team. Dem HSV schmeckte das nicht. Wie bereits gegen Stuttgart hatte er große Probleme, auf die Umstellung des Gegners zu reagieren. Sobald der Gegner etwas Neues probiert, benötigt der HSV mindestens zwanzig Minuten, um darauf zu reagieren; das dauert selbst in der zweithöchsten Spielklasse zu lange.

Ja, das HSV-Spiel plagten offensichtliche Schwächen. Das ungewohnt schwache Gegenpressing gehörte genauso dazu wie die abwesende rechte Angriffsseite. Doch Wehen-Wiesbaden hätte trotz eines couragierten Auftritts nie das HSV-Tor getroffen, hätten Hamburgs Verteidiger sie nicht dazu eingeladen. An diesem Nachmittag war es Timo Letschert, der an beiden Gegentreffern entscheidend beteiligt war. Es sind solche Fehler, die den HSV wieder und wieder zurückwerfen.

Dreifachwechsel

Es war keine große Überraschung, dass Hecking den schwachen Letschert bei der erstbesten Gelegenheit auswechselte. Hecking tauschte nach sechzig Minuten gleich dreifach, hielt aber weiterhin an der eigenen 4-3-3-Formation fest. Jordan Beyer kam für Letschert. Bakary Jatta übernahm Schaubs Position auf Rechtsaußen, Dudziak rückte für Aaron Hunt ins zentrale Mittelfeld. Nun besetzte der HSV die Flügel gleichmäßiger. Der HSV hatte nun wieder mehr Breite im eigenen Spiel. Zudem half Dudziaks Präsenz im Gegenpressing, die Mannschaft defensiv zu stabilisieren. 

In der Schlussphase stand der Sieg zwar noch einmal auf der Kippe. Der HSV zog sich weit zurück und verlor den Zugriff auf das gegnerische Mittelfeld. Doch dank einem starken Pollersbeck im Tor rettete der HSV das Ergebnis über die Zeit. So wichtig dieser Erfolg war: Ausruhen kann sich der HSV nicht. Noch immer gelingt es Heckings Team nicht, ein Spiel über neunzig Minuten zu dominieren. In einer Woche müssen sie das gegen Kiel besser machen.

 

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