Marcus Scholz

30. März 2020

Es war längst nicht das erste Mal, dass Marcell Jansen vor die Kameras trat. Aber sehr wohl die erste Pressekonferenz ohne direktes Publikum auf den Stuhlreihen vor ihm im Presseraum des Volksparkstadions. Stattdessen waren wir alle in einer in diesen Tagen nicht seltenen Videokonferenz zugeschaltet. Wer eine Frage hatte, meldete sich im Chat an und wurde anschließend aufgerufen. Das begann ein wenig holprig - kam letztlich aber gut in Fahrt. Eben so wie Jansen selbst. Denn natürlich musste der Exprofi und Neu-Aufsichtsratsvorsitzende heute ein ganzes Stück Zeit nehmen, um alle Fragen zu beantworten - was allerdings nur teilweise gelang. Denn nicht selten verlor sich Jansen ausweichend in Öberflächlichkeiten und schob inhaltlich wichtige Themen gern unbeantwortet auf den Vorstand, der für das operative Geschäft verantwortlich ist. Vor allem aber musste Jansen heute deutlich erkennen, was in den nächsten Wochen und Monaten auf ihn zukommen würde. Es ist die Hypothek, mit der der nächste Neuanfang beim HSV beginnt: Das Thema Machteinfluss seitens Klaus Michael Kühne. Ob direkt oder indirekt.

Gleich mal vorweggenommen: Jansen hatte es heute alles andere als leicht. Er konnte einerseits noch nicht viel Neues erzählen, wusste aber sehr wohl, dass es umstrittene Themen geben würde. Themen, die er nur schwer - wenn überhaupt - widerlegen konnte. Viel drehte sich dabei um Kühne und Jansen selbst, denen ein enges Vertrauensverhältnis nachgesagt und teilweise auch angelastet wird. Und Jansen machte gleich deutlich, was er von dieser Diskussion hält. Er nahm Kühne in Schutz: „Dass jetzt auf seinem Rücken die aktuelle Diskussion geführt wird, ist nicht fair. Zu Herrn Kühne pflegen wir ein sehr vertrauensvolles Verhältnis und ein großes Miteinander, ebenso wie wir es zu allen Anteilseignern, den Supportern und Vereinsmitgliedern pflegen. Es geht uns allen darum, den HSV gemeinsam zu stabilisieren und zu entwickeln.“

Jansen will Amt als Präsident bis 2022 erfüllen

Die Frage dabei ist zum einen, wie das in Zeiten der Coronakrise bewältigt werden kann - und von wem. Auch Jansen wurden zuletzt immer wieder Ambitionen unterstellt, selbst das Amt des am Sonnabend geschassten Bernd Hoffmann antreten zu wollen. Auch hier widersprach Jansen: „Wer mich kennt, der weiß, dass ich das Amt nur mit Leib und Seele ausfüllen kann. Mit allen Facetten, die dazugehören. Das sind nicht nur Fragen bezüglich der AG, sondern natürlich auch ganz wichtige Themen rund um unseren großartigen HSV e.V. Wenn man antritt für ein Präsidentenamt, dann muss man auch das Vertrauen der Mitglieder gewinnen. Die Aufgabe macht mir Spaß, sie erfüllt mich. Den Verein einen, die Gesellschafter mitnehmen. Ich bin angetreten, um mindesten meine Amtsperiode bis 2022 zu Ende bringen.“

Soll heißen: Zunächst einmal geht es in der um einen Vorstandsvorsitzenden und zwei Aufsichtsräte dezimierten Konstellation weiter. Jansen: „Wir haben alle Kompetenzen im Aufsichtsrat. Sowohl das Thema Recht, als auch Finanzen, Marketing und Kommunikation. Mit mir zudem den Sport. Wir sind da gut aufgestellt. Die Aufgabe wird sein, vertrauensvoll den Vorstand zu unterstützen.“ Anschließend würde man dann die Zeit nutzen können, um sich neu zu konstituieren. Dann würde man auch beschließen, ob der Aufsichtsrat letztlich wieder auf sieben Personen aufgefüllt wird wie zuletzt - oder eben nicht. Bis dahin setzen Jansen und seine Ratskollegen auf Einigkeit im Vorstand. Wer denn im Zweifelsfall das Sagen haben würde, wollte ich von Jansen wissen. Und der wich - wie bei vielen anderen internen Fragen auch - aus. „Es ist kein Platz für Eitelkeiten. Ich habe ein gutes Gefühl, dass die beiden immer zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen. Ich habe vollstes Vertrauen in unsere beiden sehr, sehr guten Vorstände Frank Wettstein und Jonas Boldt, dass sie das untereinander regeln würden.“ Was letztlich noch im Zuge der Coronalriose alles auf den HSV zukommen würde, sei zudem nicht final absehbar. „Aber bis dahin haben wir in alle handelnden Personen vollstes Vertrauen. Es ist auch längst nicht untypisch, dass es zwei Vorstände gibt in einem Verein. Aber wir werden hier im engen Austausch bleiben.“

Viel Misstrauen und Gerüchte - wenig Gegenbeweise

Wirtschaftlich, so hatten es zuletzt auch die jüngst geschassten Verantwortungsträger Hoffmann und Köttgen immer wieder betont, ist man den Umständen entsprechend gut aufgestellt. Wie gut, wollte mein Kollege Lars Pegelow wissen. Und Jansen wich aus. Erneut: „Ich möchte nur ganz kurz darauf antworten. Die Stabilität derzeit macht uns Hoffnung. Da gibt es keine neuen Infos. Wir warten alle darauf, wann es wieder losgehen kann. Frank Wettstein und sein Team hat hier richtig gute Arbeit geleistet in den letzten Jahren. Alles weitere wird der Vorstand zu gegebener zeit kommunizieren.“

 

Es war ein holpriger Start für Jansen, den gefühlt 20. Neuanfang beim HSV heute einzuläuten. Auch, weil Jansen viel Misstrauen entgegenschlug, dessen Berechtigung bislang nicht mehr und nicht weniger ist als auf Gerüchten basiert. Auch seine eigene Position betreffend. Ob er wie behauptet der neue starke Mann des HSV ist? „Es war nicht geplant, dieses Amt zu übernehmen“, so Jansen, „das stand nicht auf meiner persönlichen Agenda. Ich habe es aber angenommen und hätte es nicht gemacht, wenn es nicht zu 100 Prozent auch der Wunsch des Aufsichtsrats gewesen wäre. Etwaige Machtspiele sind in diesem Zusammenhang ein mediales Thema. Jeder, der Vereinsarbeit kennt, gerade bei einem großen Traditionsverein, weiß, dass es immer nur über Teamfähigkeit, Teamplay und Kommunikation gehen kann. Diesbezüglich sehe ich mich in der Lage, meinen Weg als e.V.-Präsident weiterzugehen und diesen auch in meiner neuen Rolle zu unterstützen. Die jüngsten Entscheidungen, die während meiner Amtszeit als Präsident gemeinsam mit den Gesellschaftern getroffen wurden, zielten genau darauf ab, den Verein auf breite und unabhängige Beine zu stellen. Und eben nicht auf Machtspiele und Einflüsse von außen.“

Frage nach weiteren Anteilsverkäufen bleibt offen

Dazu gehört natürlich auch die seit längerem diskutierte Frage, ob der HSV bereit ist, weitere Anteile auch über die bislang gesperrte Grenze von 24,9 Prozent an Kühne zu veräußern. Die Angst vieler: Dann bestünde für Kühne die Möglichkeit, über seine Sperrminorität zu viel Einfluss auf das operative Geschäft beim HSV zu gewinnen. Neben Jansen hatte zuletzt auch Bernd Hoffmann, der gern als harter Widersacher Kühnes dargestellt wird, immer Wieder betont, dass man sich keinem Thema verschließen dürfe. Eine Angst, die Jansen nur bedingt zu nehmen verstand:  „Die 24,9 Prozent-Grenze hat eine längere Historie, die festgeschrieben wurde. Das war kein neues Thema. Wir stehen diesbezüglich mit  unseren Gremien, mit den Supportern, Beiräten und Gesellschaftern ganz eng im Austausch und müssen in Zeiten von Corona sogar noch enger zusammenrücken.“Also gibt es neue Gedanken? Jansen: „Das Thema Eigenkapital ist immer ein wichtiges Thema. Wir müssen dabei gucken, was man alles ausschöpfen kann, um gestärkt durch Corona durchzukommen“, so der neue Aufsichtsratsboss, um dann hinterher zu schieben:  „Es ist immer das Ziel, den Verein abzusichern. Wir müssen Szenarien vorbereiten, eng zusammenrücken und immer in Absprache mit den Mitgliedern agieren. Wir wollen die Mitglieder mit auf diese Reise nehmen und niemals vor vollendete Tatsachen stellen. Wir wollen immer im Sinne des HSV agieren. Diesbezüglich habe ich gegenüber allen Gesellschaftern und Beteiligten ein gutes Gefühl. Alle haben die gleiche Intention, den Verein auf breite Beine zu stellen. Daran werden sich alle halten und ihre Eitelkeiten zurückstellen. Wir wissen heute aber noch nicht, welche Auswirkungen der Corona-Virus hat.“

Worte, die vieles offen lassen. Zuletzt hatte Jansen schon Spekulationen befeuert - heute versuchte er, dies zu widerrufen:  „Ich glaube nicht, dass ich eine Tür aufgemacht habe. Aber nichts desto trotz gilt es gerade in Zeiten Corona alle Szenarien zu besprechen. Wir sind aktuell gut aufgestellt und das Ziel muss es immer sein, so gut wie möglich in der jetzigen Konstellation auch durchzukommen.“ Ob denn Kühne aktuell wichtig würde? Jansen konnte und wollte es nicht final ausschließen. Aber er versuchte die zuletzt von seinen Kritikern immer wieder geschürte Angst vor der kolportierten Übernahme zu nehmen. „Schon letztes Jahr im April war es Herrn Kühnes großer Wunsch, den Verein auf breite Schultern zu stellen. Und dagegen kann niemand prinzipiell etwas haben. Was das inhaltlich bedeutet, gilt es innerhalb der Gremien zu besprechen.“

Nach Hoffmann spaltet Kühne den HSV 

Viel mehr inhaltlich gab es heute nicht. Aber es war zu erkennen, dass Jansen froh war, als er die Fragerunde beendet hatte. In den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob der vom Aufsichtsrat proklamierte Neuanfang beim HSV auch tatsächlich ein solcher wird. Fakt ist, so sehe ich das zumindest, die Hypotheken aktuell sind schon wieder so groß, dass die Beteiligten keine echte Chance haben. Es droht derzeit in eine Diskussion abzudriften, die den HSV ähnlich schwächen kann wie zuletzt die Diskussion um pro oder contra Bernd Hoffmann. Nur diesmal geht es um Klaus Michael Kühne. Es ist fest davon auszugehen, dass in den nächsten Tagen und Wochen jeder Schritt der Veränderungen erst einmal daraufhin geprüft wird, ob Kühne daraus eventuell kurz- oder langfristig einen Vorteil ziehen könnte. Und natürlich, ob Jansen selbst einen Vorteil haben kann. Unvorbelastet, wie ein Neuanfang bestenfalls sein sollte, ist aktuell allerdings nichts. Mal wieder nicht. Leider. Aber wie sagte Jansen heute? „Wenn man antritt für ein Präsidentenamt, dann muss man auch das Vertrauen der Mitglieder gewinnen.“ Gleiches gilt aktuell ganz offensichtlich auch für den Aufsichtsratsvorsitzenden Marcell Jansen, der heute einen zweifellos holprigen Start hinlegte und schon einmal einen Vorgeschmack auf das bekam, was da noch kommen wird.

Apropos Start: Der verschiebt sich für die HSV-Profis weiterhin. Eigentlich sollte morgen entschieden werden, ob per Ausnahmegenehmigung wieder trainiert werden kann. Aber die Verantwortlichen belassen ihre Spieler bis auf Weiteres im Homeoffice, wie und Tom Mickel heute erzählte. Wie das Leben für einen Profi im Homeoffice ist, wie Mickel die Auf- und Abstiege bei einem vorzeitigen Saisonende regeln würde, und wie sich Trainer Dieter Hecking mit neuartigen Videoschalten bei seinen Spielern meldet - alles das könnt Ihr im oben eingepflegten Video sehen. Viel Spaß dabei!

Ich melde mich dann morgen früh um 7.30 Uhr wieder mit dem MorningCall bei Euch. Bleibt gesund!

Scholle

FAQs

 
 

Über uns

Die Rautenperle - das ist ein Team aus jungen Medienschaffenden und Sportjournalisten mit großer Affinität zum HSV. Wir sind 24/7 bei den Rothosen am Ball und produzieren frischen Content für Rautenliebhaber.

Unser Ziel ist es, moderne, unabhängige Berichterstattung und attraktiven, journalistischen Content für junge und jung gebliebene HSV-Anhänger zu bieten. Wichtig ist uns dabei, eine neue Art des Sportjournalismus zu präsentieren: dynamisch, zeitgemäß, zielgruppengerecht. Weg von verstaubten Zeitungsspalten und immergleichen Phrasen.

Die Rautenperle ist aber nicht nur ein Ort, um sich zu informieren, sondern soll auch immer ein Ort des Austausches und des Miteinanders sein. Wir wollen eurer Leidenschaft einen Platz im Netz bieten: zum Diskutieren, zum Mitfiebern, zum Mitmachen.