Christian Hoch

17. November 2019

Die Breaking-News war für den heutigen Blog eigentlich nicht vorgesehen, erreichte uns aber kurz vor Veröffentlichung unseres eigentlichen Themas: Hannes Wolf wird nach Rautenperle-Informationen am kommenden Montag als neuer Cheftrainer beim belgischen Spitzenteam und Champions League-Teilnehmer KRC Genk vorgestellt. Beim HSV wäre er damit von der Gehaltsliste, auch sein Engagement beim Fernsehsender Sky wäre damit vorübergehend beendet. Der HSV würde damit noch ein halbes Vertragsjahr Gehalt einsparen und hätte für den Winter finanziellen Spielraum für Transfers. Apropos Hannes Wolf: Vor einigen Wochen führte dieser ein Interview mit dem Hamburger Abendblatt. Kollege Kai Schiller stellte ihm die Frage: "Was macht ein Trainer eigentlich, wenn er kein Trainer ist?" Genau diese Frage inspirierte uns für das Thema des aktuellen Blogs und haben wir zwei ehemaligen HSV-Trainern gestellt: Thomas Doll und Joe Zinnbauer. 

Trainer gelten in Fußball-Deutschland als das schwächste Glied innerhalb eines Vereins. Sie sind am abhängigsten von den Erfolgen der eigenen Mannschaft: Wenn es nicht läuft, werden sie als erstes gefeuert. In der vergangenen Saison hat es in der zweiten Bundesliga zum Beispiel während der Saison 17 Trainerwechsel (mit Interimstrainer) gegeben. Doch was machen Trainer eigentlich in der Zeit, wenn sie keine Trainer sind? Wir haben uns mit zwei ehemaligen HSV-Trainern über den Druck auf dem Schleudersessel Fußballtrainer, die Zeit in der Arbeitslosigkeit und Wege zurück unterhalten.

Interview mit Ex-HSV-Trainer Thomas Doll

Thomas Doll ist am 11. Oktober gerade im Taxi unterwegs zum Flughafen in Nikosia. „Es passt gerade sehr gut, ich muss sowieso die Zeit überbrücken“, sagt der 53-Jährige am Telefon, als er den Anruf annimmt und lacht. Sein Flugziel: Hamburg. Zum Abschiedsspiel von Rafael van der Vaart kehrte Doll vor etwas mehr als einem Monat auf die Trainerbank des HSV zurück. Für die Rothosen spielte Doll als Zehner gleich zweimal (1990-1991 und 1998-2001) und beendete seine aktive Karriere. Seine Trainerkarriere fand dagegen ihren Anfang, respektive Durchbruch in Hamburg. Von 2004-2007 stand er insgesamt 111 Spiele als Trainer an der Seitenlinie des HSV, rettete den HSV zunächst vor dem Abstieg und führte ihn mit Spielern wie van der Vaart, Piotr Trochowski, Nigel de Jong und Daniel van Buyten in die Champions League. Nach seinem Aus in Hamburg heuerte Doll bei Borussia Dortmund an - doch dieses Engagement verlief am Ende trotz des Einzugs ins DFB-Pokal-Finale eher unglücklich. Doll verschwand aus dem öffentlichen Scheinwerfer Bundesliga, landete über eine Station in der Türkei und in Saudi-Arabien in Ungarn. Mit Ferencvaros holte er seine bislang einzigen Titel als Trainer: Dreimal ungarischer Pokalsieger, einmal ungarischer Meister. Vergangene Saison die Rückkehr in die Bundesliga, nach fast elf Jahren, als Trainer von Hannover 96. Doch Doll konnte den Abstieg nicht verhindern, mittlerweile trainiert er APOEL Nikosia.

Herr Doll, wie lange brauchen Sie, um ein Job-Aus als Trainer zu verkraften?

„Die ersten Wochen braucht man schon, um die Dinge zu verarbeiten und zu realisieren, was abgelaufen ist. In Budapest haben wir zum Beispiel nach vier Siegen und einem Unentschieden aufgehört. Das war anders als nach der Zeit in Hannover.“

Inwiefern war das Aus in Hannover anders?

Man braucht danach ein paar Wochen, um das zu realisieren. Man macht sich Gedanken darüber, was man hätte anders machen können. Vor allem dann, wenn man abgestiegen ist. Da musste ich erst einmal zur Ruhe kommen. Wir haben viele Spiele verloren, die Fragen von außen waren unangenehm. Insgesamt war jeder Wochenstart nicht angenehm. Das war keine einfache Zeit, gerade zu Beginn, wo unser Fußball wirklich nicht gut war. Da hatten wir gar keine Chance in der Bundesliga. Das hat sich erst zum Ende hin gebessert.“ 

Was haben Sie gemacht, als Sie bei 96 beurlaubt worden sind?

„Ich habe mir nach der Zeit in Hannover ein paar ruhige Momente genommen und musste auch noch einmal darüber nachdenken, wer in dieser Zeit um mich herum gewesen ist. Danach ging bei mir aber schon sehr schnell der Fokus wieder auf neue Herausforderungen.“ 

Sie haben mit APOEL Nikosia aus Zypern relativ schnell einen neuen Arbeitgeber gefunden. Inwieweit war es schwierig, an Top-Jobs in attraktiveren Ligen zu kommen?

„Wenn man insgesamt erfolgreich war, hat man schon eher die Chance im Ausland, einen Job zu bekommen. Ich habe meinen Berater schon sehr lange, habe mich aber nicht über ihn ins Gespräch gebracht. Ich habe abgewartet bis etwas Interessantes kommt, habe Kontakte in die Branche gehalten.“

Wie wichtig ist das generell nach einer Entlassung?

„Das Gute bei mir war und ist: Ich habe Kontakte zu Fernsehsendern, wie zum Beispiel Sky. Da bin ich dann ins Studio gegangen oder in der Halbzeitpause an den Spielfeldrand. Da war ich nah dran, hatte Kontakte zu Spielern und Verantwortlichen. Das war ganz gut. Man darf aber auch nicht zu oft ins Fernsehen gehen, das ist sonst zu aufdringlich. Aber man muss natürlich auch aufpassen, dass man nicht zu lange draußen ist.“ 

Was gibt es noch für Möglichkeiten, die Zeit zwischen einzelnen Stationen sinnvoll zu gestalten?

„„Ich musste es auch erst lernen, mit der freien Zeit umzugehen. Mir fehlte immer etwas, ich konnte mich lange nicht damit abfinden. Das war in der Vergangenheit sehr schwierig für mich. Vor dem Engagement in Hannover waren wir mit einem Trainerteam in Spanien zusammen, haben uns dort Einheiten angeschaut, Testspiele besucht. Da trifft man ehemalige Kollegen, kann sich weiterbilden. Auch Hospitationen sind natürlich immer hilfreich, Stadionbesuche in der ersten und zweiten Liga sowieso.“ 

Was halten Sie davon, wenn sich Kollegen in Stadien von Vereinen zeigen, bei denen der jeweilige Trainer um seinen Job zittern muss?

„Ich finde es ganz schlimm, wenn sich Trainer ohne Job bei Spielen auf die Tribüne im Stadion setzen, wenn andere Kollegen Probleme haben. Das ist unmöglich und mochte ich nie." 

Was haben Entlassungen bei Ihnen persönlich in Ihrer Karriere ausgelöst?

„Ich verfalle nicht in Depression. Ich bin eigentlich gerne in dem Geschäft drin, bin topfit, habe sehr viel Energie und brauche die Auszeiten eigentlich nicht. Natürlich reise ich dann auch mal gerne, aber nach einer gewissen Zeit fehlt es mir einfach sehr, auf dem Platz zu stehen. Eine Zeit lang durchpusten ist nicht schlecht, aber generell sitze ich nicht gerne am Samstag vor dem TV und bin nicht dabei. Fußball ist immer mein Leben gewesen - das würde mir dann schon immer fehlen. Ich habe genügend Sachen, die ich machen kann später, aber die können noch warten. Ich bin noch zu sehr im Fußball drin.“

Aber es muss doch auch Zeiten geben, in denen Sie sich von dem Druck im Fußball erholen können.

Vor APOEL hatte ich meine Hochzeit, war dann im Urlaub und dann kam zum Glück die Anfrage. Der Urlaub hat gereicht, um runterzukommen. Wenn man dann mit Beginn der Vorbereitung liest, wie alle Vereine wieder loslegen und man ist nicht dabei, dann kann ich mich nicht damit zufriedengeben, nur in der Sonne zu liegen. Mit dem Druck kann ich auch sehr gut leben, dafür liebe ich den Fußball zu sehr. Den ganzen Druck muss man nicht an sich heranlassen, das habe ich in Hannover gemerkt. Du hast da null Argumente, da kommen Fragen: Wie lange geht es noch weiter? Du kannst es nicht ändern und auch nicht verhindern.“ 

Sie waren nach Ihrer Zeit in Dortmund elf Jahre von der Bildfläche der Bundesliga verschwunden. Warum ist es für Trainer manchmal schwierig, wieder in die große Verlosung zu kommen?

„Da muss man auch mal die Vereine verstehen. Wenn Teams in einer schwierigen Phase sind oder Veränderungen brauchen, dann ist es ganz normal, dass Vereine erst einmal auch auf erfahrene Trainer setzen, die in der Vergangenheit schon gute Jobs gemacht haben. Die haben dann in der Regel auch schon einige Dinge miterlebt und gehen mit Situationen anders um als jüngere Kollegen. Bestes Beispiel ist aktuell Dieter Hecking beim HSV. Er bringt Ruhe in den Verein und moderiert die Situation perfekt. Hannes Wolf hatte zwar davor auch einen guten Einstieg mit vielen gewonnenen Spielen, aber irgendetwas ist dann passiert, wodurch der Verein nicht aufgestiegen ist. Dann erinnert man sich als Verein erst einmal lieber an Trainer, die länger dabei sind. Manchmal braucht man auch einfach Glück. Wenn man jüngere Trainer installiert, ist das immer auch mit einem gewissen Risiko verbunden und auch mutig. Wobei Julian Nagelsmann da natürlich auch ein perfektes Gegenbeispiel ist. Er macht das wirklich überragend und leistet fantastische Arbeit in der Bundesliga.“ 

Interview mit Ex-HSV-Trainer Joe Zinnbauer

Joe Zinnbauer übernahm im September 2014 den Posten des Cheftrainers des HSV. Zuvor arbeitete er beim Karlsruher SC als Scout und Trainer der zweiten Mannschaft und - eben beim HSV - ebenfalls als Trainer der U23. Mit der zweiten Mannschaft gewann er alle seine acht Spiele als Cheftrainer - eine sensationelle Quote, die nach dem Aus von Mirko Slomka mit einem Vertrag als Profitrainer belohnt wurde. Doch nach 24 Einsätzen auf der Bank des damaligen Chaos-Klubs war schon wieder Schluss. Am Ende der Spielzeit schaffte der HSV mit Ach und Krach die Rettung in der Relegation gegen Karlsruhe. Zinnbauer übernahm wieder die zweite Mannschaft der Hamburger, doch an alte Erfolge konnte er nicht wieder anknüpfen. Wieder belief sich sein Engagement auf acht Spiele, doch der Punkteschnitt war letztlich nur noch ein Zähler pro Partie. Der 49-Jährige heuerte im Anschluss als Trainer beim FC St. Gallen an - ein Traditionsverein aus der Schweiz. Seit Mai 2017 ist Zinnbauer jedoch ohne Job, dafür aber zurück in Deutschland.

Herr Zinnbauer, wie läuft die erste Zeit nach einer Freistellung ab?

„In der Regel hat man einen laufenden Vertrag und wird freigestellt. Man ist also nicht direkt arbeitslos. Meinen letzten Vertrag musste ich leider auch auslaufen lassen. Ich hatte Anfragen von einigen Vereinen, aber es war nicht der richtige Verein dabei beziehungsweise man ist sich nicht einig geworden. In der ersten Zeit habe ich mir erst einmal eine Auszeit genommen, wenn ich freigestellt wurde. Danach bin ich in die Analyse mit meinem Trainerteam eingestiegen: Was können wir verbessern? Was ist gut gelaufen? Man bildet sich natürlich auch weiter, schaut sich gute Spiele und Spieler an, die für künftige Aufgaben infrage kommen könnten.“

Wie groß ist der Druck als Trainer und wie schwierig ist es für Sie, mit Entlassungen umzugehen?

„Die Arbeit in schwierigen Phasen und auch ein Jobverlust - das geht nicht spurlos an einem vorbei. Mit St. Gallen, dem KSC und dem HSV habe ich drei Vereine mit ganz viel Tradition trainiert, da ist schon eine enorme Wucht dahinter gewesen. Das war alles immer mit ganz großen Emotionen verbunden. Es gibt Schlagzeilen und man bekommt richtig Druck mit. Nach der Zeit bei St. Gallen habe ich mich intensiv um meine Familie gekümmert, die mich lange Zeit nicht wirklich gesehen hatte. Wir haben ein 6-jähriges Kind und die Zeit mit den beiden ist immer schön, tut gut und ist auch wichtig.“

Ist der Trainer das schwächste Glied in einem Verein?

„Ja, das war schon immer so. Medien, Fans, Sponsoren - es gibt verschiedene Einflüsse in den Gremien. Klar, es gibt den Trend, dass Trainer schon den Hut nehmen müssen, wenn sie drei Spiele verlieren. Das ist nicht schön. Aber was sollen wir daran ändern? Der Verein entscheidet letztlich und du als Trainer musst liefern. Das bringt das Geschäft mit.“ 

Wie gehen Sie damit um?

„Ich persönlich schüttle das schnell und gelassen ab. Mit Druck habe ich immer mehr funktioniert als ohne. Der KSC, der HSV und auch St. Gallen sind alles sehr unruhige Vereine - selbst wenn sie erfolgreich sind. Schon als Spieler und dann als Trainer habe ich meist bei Traditionsvereinen gearbeitet, da habe ich gelernt, mit Druck umzugehen. Deswegen kann ich das für mich generell schon immer ganz gut kanalisieren.“ 

Was machen Sie gerade als Trainer ohne Job?

„Man macht jetzt nicht nichts als arbeitsloser Trainer. Du bereitetest dich vor, man schaut sich Spiele und Trainingseinheiten an. Und man schaut natürlich auch immer zu den Vereinen, wo sich etwas tun könnte. Man hat seine Liste mit Spielern zuhause, die man beobachtet, um sie vielleicht dann bekommen zu können, wenn sich ein neues Engagement ergibt. Das braucht man einfach, man muss dranbleiben und heutzutage sofort funktionieren. Als Trainer werden wir ja nicht rausgeschmissen, weil wir erfolgreich sind, sondern wir fliegen dann raus, wenn die Ergebnisse nicht mehr passen. Als neuer Trainer musst du deswegen schnell funktionieren, nach Möglichkeit die Spieler schon kennen.“ 

Ist es nicht ein ungutes Gefühl, sich Vereine anzuschauen, bei denen sich ein Trainerwechsel andeutet? Immerhin droht dabei einem Ihrer Kollegen ein Schicksal, das niemand erleben möchte.

„Das Geschäft läuft nun einmal so: Du kannst in den meisten Fällen erst einen neuen Job bekommen, wenn jemand entlassen wird. Ich wünsche das niemandem meiner Trainerkollegen, aber so ist das Geschäft. Manche Vereine sind in der Vorgehensweise auch radikal und treffen sich mit Kandidaten, obwohl ein Trainer noch im Amt ist. Andere wiederum sagen dann, dass sie sich melden, wenn sie sich getrennt haben. Da muss man dann geduldig bleiben.“ 

Was halten Sie davon, wenn sich Kollegen in Stadien von Vereinen zeigen, bei denen der jeweilige Trainer um seinen Job zittern muss?

„Das sollte man nicht tun. Es ist kein schönes Gefühl, wenn du als Trainer Probleme hast und mitbekommst, dass sich ein Kollege auf der Tribüne zeigt. Ich habe es auch erlebt, man wusste, dass jemand kontaktiert worden ist. Man muss sich nicht im Stadion zeigen, man kann Spiele und Trainingseinheiten auch anders verfolgen. Es gibt heutzutage ganz hervorragende Portale, da gibt es ganz viele Informationen und Daten. Man kann andere Möglichkeiten wahrnehmen, ohne großes öffentliches Interesse. Da gibt es ganz viele andere Wege.“ 

Wann sehen wir Sie wieder auf der Trainerbank?

„Vor vier Wochen bin ich wieder zurück nach Deutschland gezogen. Es hat bereits Gespräche mit Kandidaten aus der zweiten und dritten Liga gegeben. Auch das Ausland war natürlich immer mal wieder Thema. Zypern, Österreich, Schweiz, Australien - auch dort haben Gespräche stattgefunden. Bislang war noch nicht der passende Verein für mich dabei. Es muss einfach insgesamt stimmen. Ich schaue natürlich genau darauf, welche Aufgabe ich annehme.“ 

Inwieweit hat es auch Angebote aus Deutschland gegeben?

„Ich persönlich schätze das für mich so ein, dass der Markt in Deutschland gerade relativ voll ist. Es sind viele erfahrene Kollegen momentan ohne Job, die schon sehr gut vernetzt sind und auch in der Vergangenheit Erfolge hatten - da muss man sich erst einmal behaupten und vorbeikommen. Der deutsche Trainer ist aber im Ausland sehr gefragt und gut im Kurs. Ich habe länger nichts gemacht, hatte mit dem KSC, dem HSV und St. Gallen drei Klubs - der nächste Verein muss passen."

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