Marcus Scholz

26. Oktober 2017

Heribert Bruchhagen wusste, was auf ihn zukommt. Und im Gegensatz zu Trainer Markus Gisdol konnte er nicht ausweichen, als es um Fragen nach dem erneuten Millionen-Fehlbetrag ging. So kurz vor der Winterpause und mit dem sportlich schwierigen Stand wollte mein Sky-Kollege von dem HSV-Boss wissen, inwieweit der Klub handlungsfähig ist. Und Bruchhagen versuchte, cool zu bleiben. Wie sonst immer. Und er machte, was alle anderen vor ihm auch machten: die Schuld den Vorgängern geben. Zu einem großen Teil auch berechtigt, denn Bruchhagen kam erst, als der Schaden vom Vorgänger Dietmar Beiersdorfer und Joachim Hilke schon angerichtet war. Der HSV stand nach teuren Einkäufen im Sommer mal wieder am Tabellenende und musste entscheiden, ob man seine finanziellen Ziele einhalten aber dafür den Abstieg riskieren wolle – oder eben ein Minus in Millionenhöhe in Kauf nimmt. „Hätten wir damals nicht noch einige Personen dazu geholt, wäre der Schaden wahrscheinlich noch größer gewesen.“

Und auch das stimmt. Aber es stellt eben wieder keine Lösung dar, obgleich Bruchhagen mutig ankündigte, dieses Jahr ein ausgeglichenes Ergebnis liefern zu wollen und zu können. Wie er das schaffen will, ist mir schleierhaft. Ich halte es sogar für ausgeschlossen, da der Verein im Winter wieder nicht umhin kommen wird, sich personell zu verbessern oder aber zumindest seine besten Spieler und die Talente mit besser dotierten Verträgen auszustatten. Von daher ist zu vermuten, dass es im kommenden Winter, wenn die Geschäftszahlen 2017/2018 veröffentlicht werden, der dann amtierende Vorstandsboss erneut erklären muss, dass er ja gar nicht anders handeln konnte. Im Vorblog hat „Maddin näh“ das immer wiederkehrende Dilemma des HSV auf Führungsebene übrigens kurz und sehr passend dargestellt, wie ich finde:

„Und das Fatale ist dabei eigentlich, dass der jeweilige Vorstand noch nicht mal weiß, wie er dieses Loch in der folgenden Saison stopfen will. Braucht er sich auch nicht drum kümmern. Im 1. Jahr seiner Amtszeit gibt er seinem Vorgänger für alles die Schuld. Im 2. Amtsjahr macht er genau so weiter wie seine Vorgänger. Und im 3. Amtsjahr geht er dann mit Abfindung in Rente.“

Und angesichts dessen, was jetzt schon im Vorfeld der Neubesetzung des Aufsichtsrates zu hören ist, dürfen wir davon ausgehen, dass es schon im Winter personelle Veränderungen geben wird. Nahezu sicher auf der Position der sportlich Verantwortlichen, wenn sich die sportliche Situation nicht verbessert. Aber auch Bruchhagen wäre bei anhaltendem Misserfolg nicht mehr sicher im Amt. Wobei es hier wider andere Medien noch keine konkreten Pläne gibt. Denn dass sich ein Jürgen Hunke vor der Neubesetzung des Aufsichtsrates ins Spiel bringt und öffentlich dazu äußert, was sich wie verändern muss, war zu erwarten. Aber daraus einen „konkreten Plan“ zu ziehen ist schon sehr mutig, da Hunke Stand heute nahezu keine Chance auf ein Amt als Kontrolleur hat und insofern genauso viel Entscheidungsgewalt hat wie Onkel Willi von der Tanke.

Die Frage, die sich der HSV vielmehr stellen muss, ist, wie er aus diesem Hamsterrad endlich herauskommt. Denn das muss er. Schon lange. Schulden machen, sportlich patzen, nachbessern mit weiteren Schulden, letztlich trotzdem nur das Minimalziel erreichen und dann die Führung teuer austauschen – diese wiederkehrende Fehlerkette hat den HSV dahin gebracht, wo er heute steht – ohne Aussicht auf Besserung, ganz im Gegenteil sogar. Denn dass Räte aus dem aktuellen Aufsichtsrat ernsthaft erwägen, erneut anzutreten, zeigt mir, wie realitätsfremd hier gedacht und somit auch gehandelt wird. Ich nehme den Herren auch ab, dass sie es aus fester Überzeugung heraus wollen – aber das macht es nur noch fataler. Schlimmer noch: Es macht es sogar gefährlich.

Umso entscheidender wird die Rolle des Räte vorschlagenden e.V.-Präsidiums unter der Führung von Jens Meier. Aktuell ist auf jeden Fall keiner beim HSV so „beliebt“ und umgarnt wie der Hafen-Chef, der unter dem Druck steht, für personelle Verbesserung zu sorgen.

Aktuell ist der HSV trotz der optimistischen Formulierungen von Heribert Bruchhagen heute in der Situation, nicht mehr sein eigener Herr zu sein. Er muss hoffen, dass Klaus Michael Kühne weiterhin hilft, wenn es um neue Spieler geht – oder eben, dass die Jugend komplett durchstartet, was in der Ausprägung allerdings noch nicht erwartet werden darf. Sollte man das dennoch machen, läuft man Gefahr, hier alles zu riskieren. Und deshalb tritt Trainer Markus Gisdol gerade in diesem Bereich immer wieder völlig berechtigt auf die Euphoriebremse. Auch heute wieder, als die Frage nach Jann Fiete Arp kam, der seit gestern wieder in Hamburg ist. Ob der U17-DFB-Kapitän schon für Hertha ein Thema sein könnte? Gisdol wich aus und sagte, man müsse genau sehen, wie fit und frisch der Abiturient ist, der in den nächsten Monaten noch näher an die Profimannschaft herangeführt werden soll.

Ergo: Bei allem muss endlich ein gesundes Maß gefunden werden. Unaufgeregtheit wie immer wieder von Bruchhagen kann dabei helfen – aber definitiv nur in Verbindungen mit einer deutlich regeren Aktivität nach innen. Prognosen wie die von Bruchhagen heute, man werde ein ausgeglichenes Ergebnis vorlegen können, sind nichts wert, solange sie wie in den letzten Jahren nicht eingehalten werden. Gründe, weshalb man noch mal finanziell nachschießen musste, gibt es immer.

Nein, sollte der HSV in den nächsten Wochen keinen Quantensprung auf der Einnahmeseite machen – wovon sicher nicht auszugehen ist – dann muss ein Konzept her, das sich irgendwann selbst tragen kann. Soll heißen: Anstatt jedes Jahr 20 und mehr Millionen in teure fertige Spieler zu investieren, sollte der HSV zusammen mit Investoren an einem Nachwuchsmodell arbeiten, wie man talentierte Spieler nach Hamburg holt und hier ihren Marktwert so massiv steigert, dass man über Verkäufe seine Schulden abbauen kann. Das kann ein Modell sein, das jährlich die Ausgaben zunächst sogar noch erhöht. Aber es wäre eine Investition in künftige Erträge, ein Geschäftsmodell. Und so einfach es klingt, es ist eben auch das sinnhafteste, weil es die größte Aussicht auf Wertsteigerung des Klubs innehat. Zumindest dann, wenn das Scoutingsystem dieses Klubs auf besseres Bundesliganiveau angehoben wird. Und so weit dieser Weg aktuell auch noch ist, wenn er nicht endlich, endlich angegangen wird, wird man es nie schaffen. Kurzum: Lieber sinnvoll fünf Millionen Euro in den Nachwuchs investieren als zehn Millionen Euro in einen überteuerten Linksverteidiger.

Aber okay, ich fange an, den HSV da zu sehen, wo er sich seit Jahren wähnt. Ich gerate also ins Träumen – deshalb: zurück zur Realität, die den zuletzt gelobt und erfolglosen HSV vor einem wichtigen Spiel bei formkriselnden Berlinern sieht. Ein Spiel, dessen Bedeutung auch daran zu erkennen ist, dass Gisdol heute etwas machte, was er sonst immer wieder mit dem Hinweis auf Respekt vermied: Er sprach über die Schwächen des Gegners (siehe dazu oben stehendes Video von der PK heute) . Nicht, dass das verboten ist. Aber eben für den HSV-Trainer nach sieben Punkten aus neun Spielen zumindest bemerkenswert. Es zeigt auch, dass Gisdol erkannt hat, dass er hier hart kämpfen muss. Und dazu gehört es auch, mal über den eigenen Schatten zu springen und eben alle Mittel zu nutzen, die zum Erfolg führen können.

Wie die personell aussehen, ließ Gisdol heute noch offen und trainierte zum Schutz vor Neugierigen ausnahmsweise im Stadion unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dementsprechend wollte sich der Trainer nach der Rotsperre für Gideon Jung und dem bitteren Ausfall des gerade erst wieder genesenen Bjarne Thoelke heute noch nicht festlegen, ober er mit Dreier- oder Viererkette spielen werde. Wie ich darüber denke, hatte ich Eich ja ausführlich dargestellt. Ich bleibe dabei, dass eine möglichst sichere Null hinten der Grundstein zum Erfolg ist. Soll heißen: Ich würde die Dreier- bzw. die daraus resultierende Fünferkette spielen lassen und auf Konter setzen. Aus dem Keller der Tabelle herauskämpfen ist das Motto. Und kämpfen kann die Mannschaft bewiesenermaßen besser, als spielerisch Gegner zu dominieren.

In diesem Sinne, bis morgen. Da wird erneut unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainiert.

 

Bis dahin!

Scholle

 

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