Marcus Scholz

26. Dezember 2017

Die Probleme wurden klar benannt: Defensiv fehlte dem HSV vor der Saison bzw. schon in der Vorsaison mächtig Stabilität. Es fehlte die Führung, zudem in der Innenverteidigung Quantität wie Qualität. Deshalb wurden Führungsspieler Kyriakos Papadopoulos sowie das Talent Rick van Drongelen (und Ergänzungsspieler Bjarne Thoelke) geholt. Zudem sollte die linke Seite der Viererkette mit einem Backup für Douglas Santos ausgestattet werden, was nicht passierte. Und rechts? Nichts. Die rechte Seite wird zwar seit Jahren von den Fans ebenso thematisiert, wie hier heute im zweiten Teil unseres Hinrundenanalyse mit dem Schwerpunkt: Rechtsverteidiger, bislang aber wieder nicht von den HSV-Offiziellen. Gotoku Sakai hatte im Laufe der Rückrunde 2016/2017 Dennis Diekmeier Konkurrenz gemacht und ihn kurzzeitig abgelöst sowie gezeigt, dass er eine ordentliche Alternative sein kann. Das schien zu reichen. Oder besser: Es muss Stand jetzt reichen. Denn für die rechte Seite wurde kein weiterer Spieler verpflichtet. Trainer Markus Gisdol setzte auf Dennis Diekmeier. Und der Rechtsverteidiger, dessen Vertrag am Saisonende ausläuft, blühte im Laufe der Hinrunde auf.

„Wir als Außenverteidiger haben durch den Systemwechsel in einigen Spielen die Chance, uns offensiv deutlich mehr einzuschalten. Und das kommt mir sehr gelegen“, sagt ausgerechnet der Bundesligaspieler, der bei Bundesligaspielen ohne eigenen Treffer den absoluten Rekord hält. „Das stimmt“, lacht Diekmeier, „aber ich komme dem ersten Bundesligatreffer immer näher. Und ich weiß, es ist nur noch eine Frage der Zeit...“ Stimmt. Wobei, das war es ja irgendwie immer.

Egal wie, Diekmeier überzeugte als einer der wenigen über fast die komplette Hinserie. „Weil er einen neuen Vertrag will“, sagen die Kritiker, die ihn nicht behalten wollen. Und dass im Kampf um einen neuen Vertrag immer auch eine gewisse Motivation steckt, ist logisch. Und nicht verwerflich. Allerdings führe ich die guten Leistungen Diekmeiers nicht zuerst auf den Vertrag, denn auf seine neue Rolle im neuen System mit drei Innenverteidigern. Endlich muss er sich nicht primär um die Defensive kümmern, sondern hat noch eine Absicherung. Zudem kann der schnellste Spieler des HSV (Topwert 34,3 Kmh) sein Tempo nach vorn nutzen, um über die Flügel für Druck zu sorgen.

Drei Tore hat Diekmeier bereits vorbereitet. Mehr hat niemand im Team (was nicht für die Mannschaft spricht) geschafft. Er gab (wie der Linksoffensive Kostic) bislang 23 Torschussvorlagen, wobei nur Hunt es mit 38 auf mehr bringt. Zudem brachte er 50 Flanken aus dem Spiel in den gegnerischen Strafraum – mehr als alle seine Teamkollegen. Problem hierbei: In der Mitte fehlt weiterhin der Abnehmer. Und Diekmeier zieht von allen Defensivspielern die meisten Sprints an, weshalb er von Trainer Gisdol auch gelobt wurde: „Bei Dennis sieht man, dass ihm die Freiheit nach vorn guttut. Er nutzt sie schon gut – auch wenn wir hier noch deutlich effektiver werden müssen“, so der HSV-Trainer zuletzt über den Mann, der auch bei Standards als Absicherung super funktionierte – und eh auffällig oft in letzter Sekunde noch ein Körperteil in den gegnerischen Schuss zu werfen wusste. Kurzum: Dennis Diekmeier scheint das veränderte Spielsystem sehr gelegen zu kommen.

Zumal er auch defensiv überzeugender agiert als in den letzten Jahren. Nur Mavraj (60%) und Papadopoulos (61%) gewinnen prozentual mehr Zweikämpfe als Diekmeier (59%), bei dem 107 von 260 Zweikämpfen verloren gingen. Diekmeier, der nach Papadopoulos (860) sogar die meisten Ballkontakte (854) aller hatte, findet sich in fast allen Top-Statistiken wieder – in den HSV-internen Tabellen wohlgemerkt. Selbst in Kopfballduellen war nur Papadopoulos (64,6% gewonnen) besser als er (64,29%). Und deshalb wurde ihm jetzt ein neuer Vertrag angeboten wurde. Zu verbesserten Bezügen sogar, wie allein die Statistiken zumindest rechtfertigen.

Aber wie in der Gesamtbeurteilung Diekmeiers, bei der ich ihn auf der Rechtsverteidigerposition rechts für den derzeit als den stärksten Spieler im Kader erachte, bleibe ich auch hier dabei: Anstatt mehr Grundgehalt zu bezahlen, würde ich den Spielern Gehaltserhöhungen nur noch über leistungsbezogene Prämien in Aussicht stellen.

Bei Diekmeier wäre das aus meiner Sicht sogar gefahrlos möglich, weil sich in dieser Mannschaft niemand mehr mit dem HSV identifiziert als er. Der dienstälteste HSV-Profi macht keinen Hehl daraus, in Hamburg seine Heimat gefunden zu haben. Die Geburt seines vierten Kindes bestärkte ihn in dieser Sicht nochmals. Dass er trotzdem mit verschiedenen Angeboten kokettiert, die ihm vorliegen – logisch. Vertragspoker in Reinkultur. Auch Diekmeier versucht, das bestmögliche für sich herauszuholen. Das ist nicht nur legitim, sondern einfach normal. Nein, der Ball des Handelns liegt auf HSV-Seite. Sportchef Jens Todt und seine Kollegen müssen jetzt klarmachen, was sie in Zukunft wollen.

Eine schlichte Gehaltserhöhung würde da kontraproduktiv, auch wenn Diekmeier bislang mit 110.000 Euro pro Monat nicht zu den Topverdienern gehört, bin ich der Meinung, dass diese Mannschaft gar keine Topgehälter rechtfertigt: 17. Tabellenplatz, wieder Abstiegskampf pur – dieser HSV muss sein Gehaltsgefüge deutlich leistungsorientierter gestalten. Dann wären auch Gehälter von 3,5 Millionen Euro per annum wie bei Holtby kein Thema – solange die Voraussetzung dafür ist, dass der HSV Meister wird oder mindestens international spielt...

Gleiches gilt übrigens bei Gotoku Sakai, der mich in der Hinrunde enttäuscht hat. Der Mannschaftskapitän kam im Sommer überhaupt nicht in Fahrt und musste zunächst von der Bank aus zusehen, wie die Kollegen erfolgreich mit zwei Siegen in die Saison starteten. Erst am dritten Spieltag kam der Japaner zu seinem ersten Auftritt in dieser Saison. Er wurde für 19 Minuten gegen Leipzig eingewechselt, ehe er in Hannover für vier Minuten kam. Am fünften Spieltag wurde er kurz nach der Habzeit gegen den BVB ausgewechselt – es lief einfach nicht. Sakai selbst gab sich damals selbstkritisch: „Ich bin nicht in der Verfassung, die ich von mir erwarte, um der Mannschaft zu helfen.“

Und das blieb bis Saisonende so. Leider. Mit zwei kleinen Ausnahmen gegen Bayern und zuletzt Hoffenheim. Und vor allem gegen die TSG bewies Sakai, wozu er in der Lage ist – allerdings auf der Sechserposition. Er agierte als Ballverteiler, als Balleroberer, und er sortierte das Mittelfeld mit guten Anweisungen und noch besserem Passspiel. Er zeigte, dass er ein guter Sechser sein kann. Und auch deshalb kann ich bei der Beurteilung der Rechtsverteidigerposition gar nicht viel mehr über Sakai schreiben. Er spielte hier nur einmal gegen Gladbach am letzten Hinrundenspieltag, als Diekmeier verletzt ausfiel. Ansonsten spielte er viermal von Beginn an hinten links – was ich als Fehler erachtete und erachte.

Fazit: Als Rechtsverteidiger hat der HSV derzeit nur einen Spieler, Dennis Diekmeier. Der ist ebenso alternativlos wie seine Vertragsverlängerung. Zumal nicht mehr nur zuverlässig und vergleichsweise verletzungsunanfällig ist, sondern endlich auch konstant gut. Seinen Vertrag zu verlängern ist absolut vertretbar. Aber während man auf Vorstandsebene mit der zeitlich völlig deplatzierten, vorzeitigen Vertragsverlängerung Heribert Bruchhagens ein katastrophales Zeichen an die Mannschaft sendete, darf das nicht bedeuten, dass weiterhin alles falsch gemacht werden darf. Im Gegenteil: Als enttäuschend aufgetretener Tabellen-17. zum jetzigen Zeitpunkt Verträge mit aktuellen Spielern – Ausnahme sind natürlich geringverdienende Toptalente wie Arp und Ito – zu verbesserten Konditionen zu verlängern, wäre der nächste Fehler. Es würde dazu führen, dass der HSV mal wieder die Chance verpasst, sein Gehaltsgefüge endlich dem sportlichen Niveau anzupassen, bzw. endlich leistungsorientierter zu bezahlen.

Daher: So zufällig es auch ist, dass es gerade einen der besten HSV-Spieler der Hinrunde trifft, Dennis Diekmeier kann eben ein guter Anfang sein. Er sollte es sein. Zumindest dann, wenn die HSV-Führung anfängt, die Gehälter nicht mehr zu erhöhen – dafür aber über mehr Anreize für Erfolg die Verträge verlängert. Nur so kann es hier irgendwann wieder raus aus der „Wohlfühloase“ und zu einem gesunden Preis-Leistungs-Verhältnissen führen.

Bis morgen,

Scholle

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