Marcus Scholz

9. Dezember 2019

Schlechte Erfahrungen lassen einen hellhörig werden. Das ist wahrscheinlich bei uns allen so. Und dennoch besteht die Kunst des Erfolges darin, aus den Erfahrungen zu lernen und sich zu verbessern. Soll heißen: Fehler zu machen ist nicht schlimm. Schlimm wird’s erst, wenn man nicht daraus lernt. Und diesen Effekt wollen viele von Euch aktuell beim HSV ausgemacht haben - und ich bei vielen von Euch. Und damit will ich hier wirklich niemanden attackieren. Im Gegenteil: Es ist nicht mehr als meine ganz persönliche Meinung, bei der ich keinen Anspruch auf Richtigkeit stellen will. Aber ich behaupte: Wer jetzt schon davon spricht, den Trainer wechseln zu müssen, oder dass es „lichterloh“ brennt - der verfällt in genau die Hektik, die dem HSV erneut den Aufstieg kosten könnte. Was ich meine? Ganz einfach: Ruhe zu bewahren haben wir alle immer wieder gefordert. Genauso Konstanz. Aber die Halbwertzeit dieser Forderungen scheint kaum noch der Rede wert. Zwei Niederlagen in Folge und Platz zwei, schon wird aus dem wahrscheinlich am meisten gefeierten Konstrukt der letzten Jahre ein Misserfolgsmodell, das man doch bitte schnellstmöglich überdenken sollte.

Nein. Ich bleibe dabei, was ich vor etwas mehr als einem Jahr auch schon gesagt hatte, als der HSV Christian Titz gegen Hannes Wolf austauschte. Damals hatte Titz sogar einen identischen Punkteschnitt wie Hecking heute. Und trotzdem sage ich heute wie damals: Es macht mehr Sinn, diesen eingeschlagenen Weg unverändert mit dem Trainer und seinem Team bzw. seinen Ideen weiterzugehen als schon wieder alles auf Null herunter zu brechen und schon wieder einen neuen Weg zu gehen. Diesmal bin ich sogar nicht nur überzeugt davon - ich bin mir nahezu sicher. Denn diese Mannschaft durchläuft gerade ein Delta, das zu erwarten war. Es war vermeidbar - unter Umständen. das stimmt. Aber es ist längst noch kein Grund, in Panik zu verfallen.

Ich habe heute das erste Mal seit langer Zeit wieder mit Christian Titz telefoniert. Er konnte es gar nicht glauben, als ich ihm erzählte, dass hier einige wenige sogar den Trainer in Frage stellen würden. Der heutige Trainer von RW Essen erinnerte sich zwar noch gut an seine Situation vor etwas mehr als einem Jahr, er machte aber auch deutlich, dass er den HSV-Verantwortlichen viel zutrauen würde. Vor allem die notwendige, gesunde Portion Gelassenheit. Wenn der HSV die Ruhe bewahren würde, dann würde er auch aufsteigen. Da ist sich Titz, der große Stücke auf den HSV von heute hält, sicher. Auch die Problematik, sich gegen tief stehende Mannschaften schwer zu tun, sei normal und Mannschaft sowie Trainerteam müssten  nur die Zeit bekommen, aus den Problemen Lösungen abzuleiten.

Der HSV tut gut daran, jetzt nicht hektisch zu werden

Es ist kein Geheimnis, dass ich im vergangenen Jahr den Trainer nach zehn Spieltagen nicht gewechselt hätte. Nicht, weil ich nichts von Wolf gehalten habe. Im Gegenteil. Aber ich dachte damals wie heute, dass es besser ist, wenn der HSV einen Weg konsequent beibehält und daraus seine Philosophie nicht nur entwickelt, sondern sie so noch stärkt. Das ist ein wenig wie auf dem Platz selbst: Auch da hat man mehr Erfolg, wenn alle gemeinsam eine 90-Prozent-Idee konsequent und dauerhaft verfolgen, als wenn elf Spieler elf verschiedene 100-prozentige Ideen verfolgen.

Und Fakt für mich ist:  Das Spielermaterial des HSV war letzte Saison wie  heute allemal gut genug, um den Aufstieg zu realisieren. Heute ist das Gesamtpaket sogar noch etwas besser, behaupte ich. Und mit dem extrem erfahrenen Hecking hat man das Gegenstück zum damals jungen, experimentierfreudigen Titz. Der Vorteil: Es gibt kaum Situationen, die Hecking nicht schon mal erlebt hat. Womit ich wieder zum Einstieg des heutigen Blogs komme. Denn Hecking kann praxiserprobte Lösungen aus seiner langjährigen Erfahrung abrufen. Oder anders formuliert: Er hat schon gelernt…

 

Die größte Gefahr besteht tatsächlich darin, dass sich hier wieder zu viele Menschen zu wichtig nehmen und anfangen, alles besser zu wissen. Hecking mahnt von Anbeginn seiner Zeit in Hamburg an, dass man eine Mannschaft habe, die sich noch in der Entwicklung befindet und die Täler durchlaufen wird. Er nannte die Saison einen „Marathon“. Und auch der 42,2 Kilometer lange Lauf hat bekanntermaßen immer wieder „tote Punkte“ für den Läufer oder auch die Läuferin parat, über die er/sie hinwegkommen muss, um am Ende den gewünschten Erfolg zu haben. Und wenn man es so nennen will, dann hat der HSV gerade einen dieser Punkte. Und zumindest in einem Punkt hat der HSV schon gelernt: Im Winter soll nachgebessert werden.

HSV hat aus der letzten Saison gelernt - und wird nachbessern

Weil Hecking weiß, dass er im Winter zum einen Ersatz für die rechte Abwehrseite braucht. Zum anderen ist allen bewusst, dass man im Winter so noch mal einen Impuls, einen Anreiz setzen kann und muss. Vor allem in der Offensive. Die heute gehandelten Namen (Gregoritsch, Ginczek, Pohjanpalo, Terodde) sind bislang lediglich Spekulationen der Kollegen, die der HSV nicht bestätigen wird. Und auch ich nehme sie nur als Variable in einer Rechnung, die im Winter genau so gerechnet wird. Ich bin mir auf jeden Fall sicher, dass der HSV offensiv noch einmal nachlegt, um den Konkurrenzdruck hoch zu halten und vor allem, um ein weiteres Stilmittel einzukaufen. Ein Stürmer mit der Qualität, die fehlt und die helfen kann, tief stehende Abwehrreihen der Gegner zu knacken. Auch diese Reaktion wäre eine Erfahrung der Vorsaison, aus der der HSV gelernt hätte. Denn damals verzichtete man im Winter darauf, noch mal nachzulegen und baute auf Rückkehrer wie Hunt und Jung, die letztlich nicht halten konnten, was sich die Verantwortlichen von Ihnen erhofft hatten.

Soll heißen: Aktuell scheinen wirklich alle aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt zu haben bzw. zu lernen. Bis auf die dauerhaft ungeduldigen unter uns. Denn die verwechseln eines: Ruhe bewahren bedeutet längst nicht, untätig zu sein. Man kann auch in Ruhe und Unaufgeregtheit sehr nachhaltig Fehler korrigieren. Und ich bin mir sicher, dass Hecking, Bremser, Schweinsteiger, Boldt und Co. genau das gerade analysieren und machen werden. Sie durchlaufen gerade „Heckings erste Krise“ (BILD) habe ich heute gelesen. Und der größte Gegner, den dieser HSV hat, ist mal wieder er selbst. In diesem Fall ist es das so oft zitierte und genau so oft von mir in Frage gestellte ominöse, böse „Umfeld“, das ich diesmal nicht leugnen will. Ich hoffe aber, dass auch dieses Umfeld lernt. Ganz einfach aus der Erfahrung der letzten Jahre.

 

Sportlich war heute nicht viel los. Der HSV absolviert derzeit Leistungstests im UKE Athleticum. Und so waren mit Lukas Hinterseer, Christoph Moritz, David Kinsombi, Bobby Wood, Jairo Samperio und Nachwuchsspieler Jonah Fabisch nur sechs Feldspieler auf dem Platz, während Adrian Fein, Martin Harnik und Gideon Jung individuell trainierten und behandelt wurden. Morgen absolvieren dann die, die heute auf dem Platz waren, ihren Leistungstest und die anderen sind auf dem Platz. Trainingsbeginn ist um 14.30 Uhr und die Einheit ist wieder öffentlich.

Ich melde mich aber, sofern die Stimme es zulässt, morgen früh wieder um 7.30 Uhr bei Euch mit dem MorningCall. Bis dahin Euch allen einen schönen Abend mit einem interessanten Zweitligaduell am Abend: Der VfB Stuttgart muss gegen den 1. FC Nürnberg ran. Anpfiff ist um 20.30 Uhr!

Scholle

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