Marcus Scholz

21. April 2020

Er wird viel gelobt. Und obgleich ich anfangs dachte, dass es sich um eine taktische Maßnahme handeln würde, um einen drohenden Preisverfall bei einem aussortierten Torhüter zu vermeiden, so weiß ich inzwischen, dass ich mich geirrt habe. Julian Pollersbeck ist bei HSV-Trainer Dieter Hecking mit einem Meinungsdelta gestartet - und er hat sich da sukzessive herausgearbeitet. Wobei das Wort „Arbeiten“ hier wirklich zutrifft, denn Pollersbeck hat sich durch viele harte Monate hindurch im Training tagtäglich neu bewiesen. „Julian hat erkannt, worum es geht und zeigt uns das jeden Tag. Er ist auf einem sehr guten Weg“, hatte Hecking vor dieser Saison gesagt, ehe sich Pollersbeck erneut verletzte und ausfiel. Pollersbeck war zwischenzeitlich sogar wieder im Kader des HSV. Im Pokal zwar „nur“ - aber für einen Torhüter, dem man im Sommer bei einem potenziellen Käufer nicht im Wege gestanden hätte, schon mehr als man erwarten durfte.

Aktuell ist Pollersbeck nach einem Bänderriss im Sprunggelenk, der ihn zu Beginn der Wintervorbereitung außer Gefecht gesetzt hatte, wieder gesund und trainiert voll mit. Sehr gut sogar, wie Hecking erneut betont. Er werde alle Torhüter noch einmal neu bewerten, sobald es wieder losgeht, so Hecking in der Mopo. Worte, die demonstrieren sollen, dass er Pollersbecks Bemühen sehr wohl registriert und anerkennt. Mehr aber dann auch nicht. Denn klar ist auch, dass Daniel Heuer-Fernandes mit einem Vorsprung als Nummer eins ins Rennen gehen wird, wenn alle gesund bleiben. Ebenso wie Tom Mickel als Nummer zwei. „Er wird sich strecken müssen“, so Hecking über Pollersbecks Aussichten, in den verbleibenden Geisterspielen noch mal im Kasten stehen zu dürfen.

Pollersbecks falsche Außenwahrnehmung

Pollersbeck selbst schweigt seit einiger Zeit. Er hatte in den Medien mächtig einen mitbekommen, galt gemeinhin oft als unprofessionell und als Partymensch. Ihm wurde auch auf dem Platz Unprofessionalität vorgeworfen, was ihn besonders hart traf. Aber es waren auch alles Dinge, die er mit seinem sehr lockeren Verhalten gegenüber Fans und nach außen generell noch einmal ungewollt befeuert hat. Deshalb hat er sich aus der Medienlandschaft verabschiedet. Interviews gibt es keine mehr, nur noch seine privaten Account auf den Socialmedia-Kanälen. Und wie schnell es da schon schiefgehen kann, musste der HSV-Trohüter jüngst erfahren, als er ein Foto postet, auf dem er Akupunktur-Nadeln im Fuß hatte. „Ich habe in kürzester Zeit so viele Nachrichten und Anrufe bekommen wie sonst nicht, weil alle dachten, ich sei schon wieder verletzt“, erzählt Pollersbeck und kann darüber schmunzeln.

 

Bei Pollersbeck muss man dazu sagen, dass er einer der ganz wenigen Profis ist, der nie durch ein Nachwuchsleistungszentrum gelaufen bzw. nie in einem solchen Trainer und auf den Profifußball vorbereitet wurde. Pollersbeck hatte einfach Talent und wechselte mit 18 Lenzen aus Burghausen zum 1. FC Kaiserslautern, von wo aus es im Eiltempo über die Profis in die U21-Nationalmannschaft samt Europameistertitel 2017 zum HSV ging. Für 3,5 Millionen Euro. Ein großer Schritt, über den sich Pollersbeck zunächst freute. Bis er hart fiel.

Vom Partyhelden zum harten Arbeiter

Gar nicht witzig fand er indes seine Darstellung in den Medien, die ihn zum unprofessionellen Partyhelden abgestempelt hatten. „Ich glaube, dass es niemanden glücklich machen würde, wenn er über sich falsche Behauptungen liest. Ich kann auf jeden Fall von mir sagen, dass ich sowohl im Training als auch in den Spielen immer alles gegeben haben und geben werde.“ Dass er aktuell wenig Aussichten auf einen Startelfplatz hat, weiß er. Er kennt die Situation bei Torhütern ja inzwischen von beiden Seiten. „Ferro (Daniel Heuer Fernandes, d. Red.) ist die Nummer eins, weil er gut spielt. Natürlich würde ich nie nein sagen, wenn der Trainer mich fragt, im Gegenteil. Aber es wäre vermessen, jetzt irgendwas zu erwarten. Ich kann nur weiter arbeiten und alles geben.“ Auch jetzt in Coronazeiten? „Natürlich ist die Situation eine andere. Wir trainieren in Gruppen, sind so eigentlich nie im Wettkampfmodus. Aber wir sind alle froh, dass wir überhaupt wieder auf den Platz dürfen.“ Selbiges gelte so auch für eine etwaige Fortsetzung der Saison ab Mai, wie sie aktuell noch angestrebt wird.

 

Wie es nach dem Sommer für ihn weitergeht, ist bei Pollersbeck offen. Obgleich er betont, dass er noch einen laufenden Vertrag hat und es ihm nicht zustünde, sich andere Gedanken zu machen, werden diese Gedanken kommen. Entweder von anderen Klubs an den HSV herangetragen, vom HSV seinem Keeper nahegelegt oder letztlich als Wunsch des Keepers beim Verein hinterlegt. Was wirklich schade ist. Denn eines ist klar: Pollersbeck ist nicht nur ein sehr beliebter Mannschaftsspieler beim HSV - sondern für mich auch der mit Abstand talentierteste Keeper beim HSV. Heuer Fernandes hält wirklich gut, Tom Mickel ist ein unfassbar loyaler, starker Keeper. Aber Pollersbeck bringt vom Talent her alles mit, was man braucht, um irgendwann mal außergewöhnlich zu werden. Das hatte schon Oliver Kahn so erkannt - und dem Titan werde ich schon mal gar nicht widersprechen.

Was passiert im Sommer mit Pollersbeck

Dennoch befürchte ich, dass der HSV letztlich versuchen wird, bei Pollersbeck im Sommer noch einen wirtschaftlich halbwegs tragbaren Exit zu finden. Aktuell wird der Marktwert von der renommierten Plattform transfermarkt.de auf rund 500.000 Euro taxiert. Das sind knapp drei Millionen Euro weniger, als der HSV im Jahr 2017 an den 1. FC Kaiserslautern bezahlt hatte. Ein Wertverlust, den man als Nummer drei sicher nicht so einfach aufpolieren kann und die den HSV im Sommer vor eine strategisch wichtige Entscheidung stellen wird. Denn verliehen werden kann Pollersbeck im letzten Vertragsjahr nicht, dafür müsste er erst beim HSV verlängern. Das wiederum scheint sehr unwahrscheinlich zu sein. Bleibt noch die Möglichkeit, ihn wieder zur Nummer eins zu machen - oder eben doch ein Verkauf mit mächtig Verlust. Alles Themen, mit denen sich Pollersbeck im Moment nicht auseinandersetzen will. Schon gar nicht öffentlich. Er fühle sich einfach wohler, wenn er auf dem Platz konzentriert arbeiten könne und ansonsten eher weniger in Erscheinung treten muss. Er weiß nur zu gut, wie schnell das zu Missverständnissen führen könnte.

In diesem Sinne, bis morgen! Da melden wir uns um 7.30 Uhr mit dem MorningCall und am Abend dann mit dem Community-Talk bei Euch. Bis dahin Euch allen einen schönen, ruhigen und gesunden Abend!

Scholle

FAQs

 
 

Über uns

Die Rautenperle - das ist ein Team aus jungen Medienschaffenden und Sportjournalisten mit großer Affinität zum HSV. Wir sind 24/7 bei den Rothosen am Ball und produzieren frischen Content für Rautenliebhaber.

Unser Ziel ist es, moderne, unabhängige Berichterstattung und attraktiven, journalistischen Content für junge und jung gebliebene HSV-Anhänger zu bieten. Wichtig ist uns dabei, eine neue Art des Sportjournalismus zu präsentieren: dynamisch, zeitgemäß, zielgruppengerecht. Weg von verstaubten Zeitungsspalten und immergleichen Phrasen.

Die Rautenperle ist aber nicht nur ein Ort, um sich zu informieren, sondern soll auch immer ein Ort des Austausches und des Miteinanders sein. Wir wollen eurer Leidenschaft einen Platz im Netz bieten: zum Diskutieren, zum Mitfiebern, zum Mitmachen.