Marcus Scholz

13. September 2019

Er ist gut drauf. Sehr gut sogar. Ralf Becker bekommt die Zeit ohne HSV offenbar gut. Er genießt die Zeit, die er mit seiner Familie nachholen kann. Und er genießt die Freiheit, selbst zu entscheiden, wann er welches Fußballspiel sieht. Zum Stadtderby beispielsweise geht er nicht. Wobei das nicht daran liegt, dass das Spiel nicht interessant ist. Auch Tickets hätte er sicher bekommen. Nein, Becker genießt den Abstand zur Pflicht. Und auch, wenn er es so nicht zugeben wird, glaube ich, dass er so recht noch nicht weg ist vom HSV. Zumindest hatte ich heute beim Interview (siehe Video) genau diesen Eindruck.

Und dass er sich - in Hamburg wohnend - nicht so recht lösen kann, hat einen guten Grund, wie zuletzt immer wieder betont wurde. Zumindest hatte der neue Trainer Dieter Hecking immer wieder betont, dass der aktuelle, viel gelobte neue Kader auch ein Produkt von Ralf Becker sei. Logisch - schließlich ist auch Dieter Hecking von Ralf Becker kontaktiert worden, bevor er zum HSV wechselte. Aber auch Jonas Boldt, Beckers Nachfolger, ist sich nicht zu fein, die Arbeit seines Vorgängers in den höchsten Tönen zu loben. Einzig Becker selbst mag sich nicht loben. Stattdessen freut er sich lieber mit den HSV-Verantwortlichen, der Mannschaft und den Fans über die aktuell positive Entwicklung.

Kein Wort über die durchaus unrühmliche Art und Weise seiner Freistellung fällt - stattdessen gibt es sogar lobende Worte für seine Nachfolger. Was für viele auf den ersten Blick nach einer gut ausgehandelten Vertragsauflösungsvereinbarung aussieht, ist tatsächlich Becker. Der ehemalige Sportchef ist ein gerader Typ. Er war zweifelsfrei nicht mit allem bei seiner Freistellung zufrieden - aber er behält eben genau das konsequent für sich. „Ich beschäftige mich nicht mit den negativen Seiten, weil es mehr als genug positive Erinnerungen gibt“, so der ehemalige Sportvorstand des HSV, ehe er mit uns über die vielleicht schönste sportliche Erinnerung seiner HSV-Zeit sprach - das letzte Stadtderby. Aber seht und hört selbst:

 

Bleibt zu hoffen, dass Becker mit seiner Vorhersage richtig liegt. Wobei aktuell, trotz der üblen Verletzung von Jan Gyamerah unter der Woche, vieles daraufhin deutet, dass der HSV gut gewappnet ist. Heute im Training ließ Hecking alle Rechtsverteidiger-Varianten trainieren, die ihm aktuell noch bleiben. Ob er schon einen Favoriten unter den drei Kandidaten ausgemacht hat? „Nein“, sagt Hecking, „Ich muss erst einmal ein Gefühl dafür kriegen. Es ist nicht so, dass ich sage, ‚das ist mein Favorit’. Jeder interpretiert die Rolle anders. das ist bei den dreien so.“

Was der Trainer meint: Vagnoman, Narey und Dudziak haben allesamt unterschiedliche Arten, die Rolle des Rechtsverteidigers zu interpretieren. Einmal mit Josh Vagnoman, dann mit Jeremy Dudziak - und zuletzt noch einmal mit Khaled Narey. „Am dauerhaftesten gespielt hat die Rolle Josh. Khaled hat es in Fürth häufiger gespielt, Jerry bei Pauli. Und jeder bringt seine Facette mit rein. Jerry als sehr ballsicherer Spieler, Khaled der Dynamische, der von hinten mit sehr viel Druck kommen kann. Ähnlich sehe ich Josh. Das sind wirklich drei unterschiedliche Typen, und da müssen wir schauen, was am Montag am besten passt“, sagt der HSV-Trainer, der die Spannung im Konkurrenzkampf hoch halten will: Auch auf der Position des Rechtsverteidigers. „Diese Entscheidung wird sich sicher noch bis Montag bei mir offen bleiben.“

Hecking setzt auf Normalität - und lässt Hunt im B-Team

Bis dahin bemüht sich der HSV-Coach um möglichst viel Normalität. Am Sonnabend wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainiert, am Sonntag nach der Pressekonferenz um 15.30 Uhr gibt es dann noch einmal eine öffentliche Einheit. Zudem wird die Mannschaft vor dem Spiel in der Nacht zu Montag nicht ins Hotel umziehen, sondern ganz normal zu Hause übernachten. Ob er noch gar keine Anspannung verspüre? „Nein, wir sind einfach fokussiert. Wir werden den Spannungsbogen auch nicht übertrieben hochfahren. Das Kribbeln ist noch nicht deutlich höher, heute ist Freitag. Aber ich weiß, das wird am Montag kommen“ so der HSV-Trainer, der am trainingsfreien Donnerstag seinen 55. Geburtstag gefeiert hat. „Bei mir ist eine gesunde Vorfreude da. Nach so einer Länderspielpause ist immer auch ein Stück weit Ungewissheit da. Das hat Pauli aber auch. Man liest ja viel, dass sie besser machen wollen als letztes Mal. Ich freue mich auf ein sportlich hoffentlich gutes, anspruchsvolles Derby, wo beide Vereine zeigen können, dass sie zu den besseren Mannschaften der Zweiten Liga gehören.“

Im Training heute stand der Ball im Mittelpunkt. Es wurde viel gespielt. Besonders lang im elf gegen elf (U19-Linksverteidiger Sousa wirkte ebenso mit, wie Tom Mickel als Verteidiger im vermeintlichen B-Team). Hecking wechselte dabei viel - wobei Aaron Hunt im B-Team blieb. Offenbar hat Hecking hier nicht vor, zu wechseln. Mit Grund. Denn die Achse Fein, Kinsombi, Kittel funktioniert. Auch heute. Noch nicht wieder dabei war Timo Letschert. Besser gesagt: Er konnte noch nicht alles mitmachen. Allerdings soll sich das schon sehr bald ändern. „Klinisch ist alles ok“. sagt Hecking, „das Außenband ist stabil. Das müssen wir jetzt eher vom Kopf her bei ihm lösen. Geplant ist, dass er Mitte nächster Woche voll ins Mannschaftstraining einsteigt. Morgen wird er auch wieder Teile mitmachen, Sonntag noch mal eine gute konditionelle Einheit - und dann am Mittwoch voll dabei.“

St. Paulis Möller Daehli steht für das, was dem HSV gefährlich werden könnte

Wie unser User He Lucht in aller Regelmäßigkeit und knapp rund 20 andere Kiebitze habe ich mir die Trainingseinheit des FC St.Pauli angeschaut und war durchaus angetan. Der FC spielt mit ordentlich Tempo und wirkte im Training deutlich mutiger, als ich die Mannen von Trainer Jos Luhukay zuletzt in der Zweiten Liga am TV in Erinnerung hatte. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass der Jos mit dem Gedanken spielt, mit der Schnelligkeit im Umschaltspiel zu kommen, weil wir gegen Hannover ein bisschen anders gespielt haben von der Positionierung der Außenverteidiger. Aber das war dem Gegner Hannover geschuldet. Wir werden auf jeden Fall auf alles vorbereitet sein“, sagte Hecking vor dem Training des Stadtrivalen. Und ich glaube, er hat Recht.

Vor allem einer gefällt mit seit Monaten beim FC St. Pauli einer besonders gut: Mats Möller Daehli. Der junge Norweger ist schnell, frech im Zweikampf, technisch stark - und er hat Zug in die Offensive. Und er ist heiß, wie er im internen Interview preisgibt: „In jedem Training ist Feuer drin. Jeder muss um einen Platz im Team kämpfen. Wir haben viele gut Spieler, auch auf meiner Position.“ Jeder wolle am Montag gegen den bislang „sehr stark spielenden HSV“ dabei sein. Möller Daehli auf der Vereinshomepage: „Von solchen Spielen hast du als Kind geträumt.“

 

Und ich muss zugeben - auch bei mir steigt die Vorfreude von Tag zu Tag. Auch, weil es im Vorfeld dieser Partie noch keine alarmierenden Zustände zu verzeichnen gibt. Meine Hoffnung: Vielleicht schaffen wir es am Montag ja tatsächlich mal, eine ebenso hitzige wie gesunde, legale und friedliche Atmosphäre im Stadion zu erleben, während uns die beiden Mannschaften auf dem Grün begeistern - und der HSV am Ende gewinnt…

In diesem Sinne, bis morgen! Da wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainiert und wir melden uns am Abend wieder bei Euch.

Bis dahin!

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