Marcus Scholz

20. Februar 2020

Die Derby-Stimmung kommt. Ganz langsam. Auch bei mir. Als ich heute morgen das Doppel-Interview im Hamburger Abendblatt gelesen habe, wo sich die beiden Kontrahenten Henk Veerman (Angreifer FC St. Pauli) und HSV-Verteidiger Timo Letschert auf Basis des Derbys gefrötzelt haben, keimte erstmals die Hoffnung auf, die ich lange nicht hatte: Dass die Spieler beider Klubs sich der Bedeutung des Derbys bewusst sind. Wirklich gebürtige Hamburger gibt es in beiden Teams kaum noch. Und auch HSV-Trainer Dieter Hecking musste heute zugeben, dass die Derbys an Bedeutung verloren haben, seitdem die Spieler nur noch selten hohe Verweildauern bei ihren Klubs haben.

„Früher gab es doch noch mehr den lokalen Anstrich, da war man mehr das ganze Jahr mit dem Derby beschäftigt. Ich glaube schon, dass von außen deutlich mehr Nostalgie dabei ist, als in den Kadern beider Mannschaften“, so Hecking, der betonte, dass das Hinspiel zumindest bei seinen Spielern noch omnipräsent sei. „Alle meine Spieler haben die Reaktionen auf das verlorene Hinspiel mitbekommen“, so Hecking heute, „und das brauchen wir kein zweites Mal.“ Ich auch nicht.

Hecking: „Die  Favoritenrolle ist geklärt“

Hecking selbst betonte, dass es für ihn kein normales Spiel sei. „Man merkt schon, dass Derbywoche ist. Man wird überall angesprochen. Ist auch für mich kein normaler Spieltag. Die Vorfreude ist groß, das Interesse ist groß“, so der Trainer. Der uns Anfang der Woche noch erklärt hatte, dass er aktuell wenig Parallelen zum Hinspiel sehen würde. Dennoch warnt er davor, dass man die schwächelnden Gäste zu leicht nimmt. dem Hinspiel . „Die Favoritenrolle ist verteilt. Wir sind der Favorit, das waren wir auch schon im Hinspiel.“ Aber gerade das mache den FC St. Pauli eben auch gefährlich.

Seiner Mannschaft hat Hecking inzwischen die individuellen Videos gezeigt. „Haben ein paar taktische Fehler gemacht, die wir noch mal verdeutlicht haben. Wir haben noch mal aufgezeigt, woran es gelegen hat.“ Gemeint sind dabei vor allem die ersten 30 Minuten des Hinspielderbys, die der FC St. Pauli dominierte, während der HSV überhaupt nicht zu seinem Spiel fand. Das muss der HSV diesmal unbedingt vermeiden, wenn man den Schwung eines Derbysieges mitnehmen will ins Schlussdrittel der Saison.

Derbysieg soll im Aufstiegskampf Schwung geben

Was so ein Derbysieg wert sein kann, fragte unser Blogkollege Lars Pegelow (im Auftrag des NDR dabei) heute bei der Pressekonferenz. Und Hecking machte deutlich, dass dieses „es gibt für diesen Sieg auch nur drei Punkte“- Geblubber Blödsinn ist. Ein Derby ist mehr als die drei Punkte. Und das machte Hecking deutlich: „Es wäre genau der richtige Zeitpunkt, noch mal im Kampf um die Spitze richtig Schwung aufzunehmen. Noch mehr Schwung aufzunehmen, ich glaube, dass wir gut unterwegs sind nach der Winterpause. So ein Derbysieg elektrisiert noch mal die Fans. Sie hoffen dann noch mehr, dass der Aufstieg gelingt. Mit einem Derbysieg kannst du die Ansprüche noch mal untermauern. Das könnte für die nächsten zwei, drei Wochen bis zur Länderspielpause noch einmal einen Kick geben.“ Gut so. Finde ich. Denn was es bedeutet, dem Spiel eine übergeordnete Rolle zuzugestehen und dadurch motivierter als der Gegner zu sein, hat sich im Hinspiel gezeigt.

Im Training heute ließ Hecking seine Spieler vor allem mit dem Ball arbeiten. Kreisspiel, Passübungen und Torabschlüsse standen auf dem Programm. Immer wieder ließ er dabei lange, diagonale Bälle von den Innenverteidigern und Sechsern (Jung und Fein wechselten sich ab) in den Rücken der Abwehr spielen, während die zentralen Spieler dem Ball entgegenliefen, um so ihre Gegenspieler aus der Abwehr zu locken und Räume zu schaffen. Ein Mittel, das der HSV schon länger zu nutzen versucht. Und dabei fiel vor allem einer auf heut: Jairo Samperio.  Der Spanier wusste nicht nur schwierige Bälle gut mitzunehmen, sondern auch sie zu verwandeln. Aus allen Lagen.

Pohjanpalo wohl wieder zunächst auf der Bank

Dennoch wird er voraussichtlich nicht beginnen. Denn obwohl Trainer Hecking aus der Aufstellung noch eine Mördergrube zu machen versucht, düfrte es nur noch hinter dem Ersatz von Jeremy Dudziak ein echtes Fragezeichen geben. Dass Joel Pohjanpalo wohl erneut nicht beginnt, deutete Hecking heute an. Denn obgleich der Finne nach seinem Treffer in Hannover seinen (legitimen) Wunsch äußerte, mehr Einsatzzeit zu bekommen, sagte Hecking heute: „Er ist erst relativ spät zu uns gestoßen und hat selber gesagt, dass er erst einmal verstehen musste, was bei uns gefordert wurde. Da gibt es schon einen Unterschied zu Leverkusen.“

 

Klingt, als würde erneut Lukas Hinterseer (fünf Tore aus den letzten sechs Spielen)  beginnen, was für mich den Vorteil hat, dass der Trainer zwei Optionen hat, die gut funktionieren können. Denn während beide Stürmer derzeit treffen, ist Pohjanpalo nachgewiesen ein exzellenter Einwechselspieler. Diesen Beweis ist Hinterseer noch schuldig. Hecking diplomatisch: „Ich bin sehr froh, dass ich zwei Stürmer habe, die wissen, wo das Tor steht.  Und einer von ihnen wird spielen.“

Der HSV sollte seine spielerische Dominanz nutzen

Zumal man sich bei aller Rivalität auch tatsächlich nicht vor dem im neuen Jahr noch sieglosen (zwei Remis, zwei Niederlagen bei FC St. Pauli und 2:6 Tore) verstecken muss. Im Gegenteil: Wenn der HSV körperlich gegenhält, sind die Chancen groß, zu gewinnen. Dann ist auch eine Doppelbesetzung mit Feinfüßen wie Schaub und Hunt im Zentrum vor dem einzigen Sechser Jung möglich. Ob Hunt den verletzten Dudziak ersetzen wird? Hecking: „Klar liegt es auf der Hand. Und trotzdem denkst du als Trainer immer quer, denkt über Spielverläufe nach. Und dabei sicher auch irgendwann über Hunt, ob er dann die Hilfe sein kann, die man erwartet. Dass ich es ihm absolut zutraue, im Derby eine tragende Rolle zu spielen – ganz klar: Aaron ist wichtig. Aaron ist in seiner Rolle als Kapitän wichtig. Er hat seinen Rückstand aufgearbeitet. Wenn er spielt, wird er uns als Kapitän zur Verfügung stehen und auch ein gutes Spiel machen.“

Ich persönlich würde mit Hunt und Schaub beginnen, weil ich glaube, dass der FC St. Pauli bei aller Motivation mächtig unter Druck steht. Anders als der HSV ist dieser Druck aber negativ: „Wenn man die drei Punkte abzieht haben sie seitdem 20 Punkte geholt.“ Das sei sicher nicht der eigene Anspruch, so Hecking, der hinzufügte: „St. Pauli verspürt den anderen Druck, von unten wegkommen zu müssen. Das kann einerseits Kräfte lösen – andererseits bedeuten, dass sie angeknockt sind.“

Viel spricht für Hunt neben Schaub

Ich glaube an die erste Variante und würde auf Dominanz setzen. Eine spielerische Dominanz, gepaart mit einer rigorosen Defensivarbeit, bei der Jung von mir eine noch klarer defensive Rolle zugeteilt bekäme. Jung müsste sozusagen hinter den beiden Kreativen den Staubsauger mimen. Ball gewinnen  und zum Mann spielen. Punkt. Nicht mehr – aber auch keinen Deut weniger. Übrigens: Wäre ein Kinsombi in Topform, stünde es für mich überhaupt nicht zur Debatte, wer spielt. Dann wäre es Kinsombi. Aber leider ist dieser noch immer nicht in Topform...

 

Im Training heute war leider nicht zu erkennen, welche Startelf Hecking plant. Aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass sich das Derby am Sonnabend eignet, viel zu verändern. Soll, heißen, ich würde nur ersetzen, wer verletzt ausfällt. Von daher wäre meine Startelf heute diese: Heuer Fernandes – Beyer, Letschert, van Drongelen, Leibold – Jung – Jatta, Hunt, Schaub, Kittel – Hinterseer.

Tipp: Nachher kommt noch ein Blog

In diesem Sinne, bis später. Da melde ich mich mit einer schönen Geschichte rund um Bakery Jatta wieder, der ein Interview in der neuen Stadionzeitung „HSVlive“ gegeben hat, in dem er einen tiefen Einblick in sein Seelenleben gibt. Aber dazu ab 22 Uhr mehr. Trainiert wird morgen übrigens unter Ausschluss der Öffentlichkeit – den MorningCall gibt es aber wie immer ab 7.30 Uhr für Euch. Bis dahin!

Scholle

P.S.: Die Meldung, dass Bayern Münchens Sportdirektor Hasan Salihamidzic Adrian Fein eine Zukunft beim FC Bayern habe aufzeigen können und der HSV somit aus dem Rennen sei, Fein auch über die Saison hinaus auszuleihen, wird vom HSV nicht kommentiert. Hier heißt es nur, dass sich am Stand bei Fein nichts verändert habe. Soll heißen: Der HSV plant erst einmal ohne Fein – schließt aber nichts aus, da noch nichts entscheiden ist.

 

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