Christian Hoch

19. September 2019

Jonas Boldt (37) ist seit 118 Tagen Sportvorstand beim HSV. Medial hat sich der gebürtige Nürnberger bislang nicht groß in den Vordergrund gedrängt. Nach der 0:2-Niederlage im Stadtderby beim FC St. Pauli, gleichbedeutend mit der ersten Pleite der Saison, nahm sich Boldt ausführlich Zeit, um öffentliche Fragen zu beantworten. Auch Tim Leibold sprach nach dem Training mit den Medien. Eines wurde in beiden Gesprächen deutlich: Der HSV hat die Derbyniederlage abgehakt, zumindest soll dieser Eindruck glaubhaft vermittelt werden. Und: Die Mannschaft von Trainer Dieter Hecking steht aktuell besser da als intern vermutet. Im Fall Jatta soll es zudem neue Erkenntnisse geben.

Mitte Juli saß Jonas Boldt in seinem Büro im Volksparkstadion, Sylvesterallee 7. Alle Strukturen hatte er noch nicht kennenlernen können, zu tief war er in die Transferaktivitäten bis Ende August verstrickt. Der volle Fokus lag auf der Neugestaltung des Kaders - sowohl auf der Zugangs- als auch auf der Abgangsseite. Das erste Zwischenzeugnis nach sieben Pflichtspielen: Umbruch gelungen. Doch Boldt war Mitte Juli noch lange nicht zufrieden, auch andere Begleitumstände störten ihn im Innenleben des Vereins.

In der Medienrunde am Donnerstag deutete er das an: „Ich bin nach Hamburg mit relativ wenigen Erwartungen gekommen, weil ich schon gehört und gemerkt hatte, dass vieles nicht gepasst hat im Vorfeld. Am Anfang habe ich versucht, gemeinsam mit dem Trainerteam einen neuen Schwung zu entfachen.“ Ein kleines Beispiel: Wie wir erfahren haben, weilten in der heißen Phase vor Saisonbeginn zwei von Boldts Vorstandskollegen im Urlaub. Einerseits hat natürlich jeder Arbeitnehmer sein Anrecht auf Urlaub und Entspannung, andererseits überwog Mitte Juli in Hamburg und rund um den HSV die Skepsis.

Der Verein lag in Trümmern, der Glaube an die Wende zum Guten fehlte verständlicherweise im Umfeld. In dieser heißen Phase in den Urlaub fahren - eigentlich ein schlechtes Vorbild für alle Mitarbeiter im Verein. Negative Auswirkungen ob dieser Tatsache? Fehlanzeige. Der HSV startete furios in die Saison, blieb fünf Spiele in der zweiten Liga unbesiegt und zog im DFB-Pokal in die nächste Runde ein. Das 0:2 beim FC St. Pauli haben die Fans im Umfeld akzeptiert und anerkannt, auch wenn diese bei den Anhängern noch immer nachhallt und schmerzt. Der HSV selbst hat die Niederlage aufgearbeitet, wenn man den Worten der Verantwortlichen und auch der Spieler glaubt.

 

Leibold: „Das wirft uns nicht aus der Bahn“

Tim Leibold ist nach seinem späten Transfer von Nürnberg zum HSV, der im Frankenland für heftige Reaktionen gesorgt hat, endgültig angekommen in der Stadt Hamburg. Gemeinsam mit seiner Freundin hat er ein Haus etwas außerhalb Hamburgs gefunden - auch ein Garten sei dabei. „Das tut uns gut, wir haben da etwas unsere Ruhe und können auch mal abschalten“, sagte der 25-Jährige am Donnerstag. Beim HSV und in der Mannschaft ist Leibold aber schon viel länger angekommen. Eigentlich sogar von Beginn an. Der Linksverteidiger hat bereits drei Scorerpunkte gesammelt und hat den Abgang von Douglas Santos zu Zenit St. Petersburg in Windeseile vergessen gemacht. Von Santos redet beim HSV eigentlich niemand mehr, dafür aber über Leibold. Der selber mag sich an diesen Gesprächen aber nicht so recht beteiligen.

Leibold: „Ich möchte mich nicht aufspielen, sondern versuche einfach weiter der Mannschaft mit meinen Leistungen zu helfen. Wenn es als Mannschaft gut läuft, dann hat man es auch als Einzelspieler einfacher, in ein neues Team hineinzukommen.“ Bescheidene Worte, die den Charakter der aktuellen Truppe momentan widerspiegelt: Es geht nicht um Einzelschicksale und Selbstdarsteller, sondern um ein gemeinsames Ziel. Man hat derzeit das Gefühl, dass jeder Spieler im Kader seine eigenen Bedürfnisse der Mannschaft unterordnet, um am Ende der Saison in die Bundesliga aufzusteigen. Sicherlich ein Verdienst von Trainer Dieter Hecking und seinem Stab, aber auch ein Beleg für eine sehr gute Kaderplanung, die bereits von Ex-Sportvorstand Ralf Becker begonnen und von Jonas Boldt erfolgreich fortgeführt wurde. Leibold ist für diese richtigen Schritte und Maßnahmen nur eines von vielen Beispielen. Dennoch steht der HSV vor der kommenden Partie gegen Erzgebirge Aue am Scheideweg.

Auch Boldt deutet Veränderungen in der Startelf an

„Ich bin sehr positiv gestimmt, weil ich schon in dem Spiel selbst eine Reaktion gesehen habe. Die Jungs sind wirklich gute Charaktere, die jeden Tag immer weiter zusammenrücken. Wir haben auch schon andere Situationen gemeistert und deswegen bin ich zuversichtlich, dass wir das jetzt auch meistern werden und eine Reaktion kommen wird.“ Jonas Boldt blickt dem Duell mit dem Tabellenfünften Aue optimistisch entgegen, weil er den Stärken seines Teams vertraut. Dennoch darf sich der HSV nicht noch einmal solche fahrlässigen und inakzeptablen 30 Minuten erlauben, wie es bei St. Pauli zu Beginn des Spiels der Fall war. Aue kommt mit enormen Selbstvertrauen nach Hamburg und hat bereits elf Punkte gesammelt - auch gegen Spitzenreiter VfB Stuttgart spielten sie unentschieden. Durchaus denkbar ist, dass Trainer Dieter Hecking Veränderungen an der Startelf vornehmen wird. Erste Kandidaten auf einen Einsatz von Beginn an: Martin Harnik und Aaron Hunt. Auch Sportvorstand Boldt deutete Maßnahmen an.

Der 37-Jährige dazu: „Das bietet sich bei so einem breiten Kader grundsätzlich an. Der Trainer hat den Konkurrenzkampf immer ausgerufen, das wissen die Jungs auch. Das Pauli-Spiel war sicher keines, in dem sich die Jungs auf dem Platz beweisen konnten.“ Von den Spielern, die nicht zum Einsatz kommen werden, erwartet er indes folgendes: „Ich erwarte von den Jungs, dass sie die Kollegen immer unterstützen. Natürlich will jeder auf dem Platz stehen und der eine oder andere wird dann auch unzufrieden sein, aber trotzdem müssen wir dann weiter zusammenwachsen.“

Offenbar Neuigkeiten im Fall Jatta

Eine Thematik, die den HSV erst mächtig aufgewirbelt und dann sehr eng zusammenwachsen lassen hat, ist die Causa Bakery Jatta. Anfang August erhob die SportBIld in einem Medienbericht Zweifel an der Identität Jattas. Die Vorwürfe: Bei seiner Einreise aus Gambia nach Deutschland habe er falsche Angaben zu seiner Identität gemacht. Dem Boulevardblatt nach, soll Jatta nicht seinen richtigen Namen angegeben und auch in Sachen Alter soll er sich zwei Jahre jünger gemacht haben, um eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland zu erhalten. Die SportBild nannte in ihrem Bericht zudem zwei angebliche Ex-Trainer von Jatta, die ihn als Bakery Daffeh identifiziert hätten.

 

Knapp einen Monat lang begleitete die Thematik den HSV und die Mannschaft. Die Verantwortlichen und auch die Spieler stellten sich vor Jatta. Trainer Hecking stellte ihn trotz der Vorwürfe in jedem Spiel auf, die Gegner Nürnberg, Bochum, Karslruhe legten sogar Protest gegen ihre jeweiligen Niederlagen ein - und ernteten dafür von vielen Fußballfans deutliche Kritik. Anfang September dann scheinbar der Durchbruch: Das Bezirksamt Hamburg-Mitte bestätigte das Ende der Ermittlungen gegen Jatta. Dessen Anwalt hatte zuvor die beglaubigte Geburtsurkunde vorgelegt.

Am Donnerstagabend titelte nun die BILD: „Jatta hieß in seiner E-Mail-Adresse Daffeh.“ Sowohl BILD als auch SportBild würden demnach Dokumente vorliegen, die erneut Zweifel an der Identität Jattas aufwerfen würden. Die Polizei prüfe die neuen Erkenntnisse, die Jatta beim Sozialzentrum in Bremen angegeben haben soll. Dem Blatt zufolge gab Jatta nach seiner Einreise 2015 bei Bremer Behörden an, dass er die E-Mail-Adresse „bakarydaffeh*@*********“ habe.

Unschuldsvermutung gilt weiter

Einen Tag nachdem das Bezirksamt Hamburg-Mitte das Ende der Ermittlungen verkündet hatte, sollen Dokumente mit dieser E-Mail-Adresse aus dem Sozialzentrum Gröpelingen/Walle beim Kommissariat 54 der Bremer Polizei eingereicht worden sein. Der Hinweis: Bei diesem Fall gebe es große Ungereimtheiten. Der Bremer Oberstaatsanwalt Frank Bassade wird in der BILD zitiert: „Seit Anfang September haben wir neue Erkenntnisse. Wir hatten zwar bereits 2015 in der Sache ermittelt und das Verfahren eingestellt. Doch jetzt prüfe die Polizei den Sachverhalt aufs Neue.“

Klar ist momentan nur: Bis die Prüfungen abgeschlossen sind gilt in diesem Fall weiter die Unschuldsvermutung und auch die Gültigkeit der Spielgenehmigung in der zweiten Bundesliga sowie der Aufenthaltsgenehmigung für Jatta haben weiter Bestand.

In diesem Sinne, wir melden uns morgen um 7:30 Uhr wieder - wie gewohnt - mit dem Morning-Call bei euch. Da wird Scholle die neuen Berichte rund um Jatta noch einmal genauer und mit neuen Erkenntnissen einordnen.

Bis morgen!

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