Marcus Scholz

19. Februar 2018

Der Tag danach kommt zunächst schön rüber. Sonnenschein, klare Kälte. Ein Wintertag, wie man ihn auch mal genießen kann. Auch die Tatsache, dass heute der Tag ist, an dem endlich kein Wahlkampf mehr stattfinden muss, lässt sicher nicht nur mich aufatmen. Und sehr wohl wissend, dass es schon zu spät sein kann. Denn ein Abstieg ist inzwischen sehr viel wahrscheinlicher als der Klassenerhalt. Da sollten wir uns nach diesem Wochenende nichts mehr vormachen. Dennoch hoffe ich, dass von heute an der Blick endlich wieder nach vorn gerichtet wird und die erkennbaren Gräben innerhalb des HSV zumindest noch bis Saisonende provisorisch zugeschüttet werden. Denn diese Gräben nehmen dem HSV inzwischen binnen Sekunden mehr Substanz, als er in der Lage ist, in vielen, vielen Jahren wieder aufzubauen. Und das ist tatsächlich noch deutlich gefährlicher einzuschätzen als der drohende Abstieg.

So geschehen auch am Sonnabend im Volksparkstadion, wo die in den letzten Jahren zweifellos leidgeprüftesten Fans der Bundesliga Grenzen überschritten haben. Das Droh-Plakat vorweg, den versuchten Platzsturm einiger Verwirrter hinterher – diese unerwartete Eskalation wirkte genauso unpassend wie der Zeitpunkt des internen Machtgehabes beim Kampf ums Präsidentenamt. Kurzum: Die seit Jahrzehnten gnadenlos ausufernde Politik in diesem unkontrollierten Konstrukt HSV hat auch die letzten Idealisten eingeholt: die Fans. Denn wo Eitelkeiten und Androhungen von Konsequenzen dazu führen, dass man lieber gar nichts macht und den Weg in die Zweite Liga in Kauf nimmt, verlieren auch die treuesten der Treuen nach dem Glauben auch den letzten Funken Hoffnung. Und wenn man schon mal soweit ist, ist auch die Hemmschwelle entsprechend niedrig, wie wir am Sonnabend sehen konnten.

Und die in seiner Umgangsform niveauarme Mitgliederversammlung hat sein Übriges getan. Anstatt sich inhaltlich mit den Kandidaten auseinanderzusetzen, wurde gepöbelt. Aus freien Meinungen entsteht beim HSV inzwischen ein Fraktionszwang. Es geht weniger um das, was die einzelnen Amtsträger vorhaben, denn darum, wer sie sind. Vorgekautes Schwarzweiß-Denken anstelle notwendiger, konstruktiver Diskussionen. Und wenn am Ende ein Kandidat eine Wahl mit gerade einmal 25 Stimmen mehr gewinnt, dann zeigt das, wie groß die Gräben inzwischen in diesem 79.000 Mitglieder umfassenden Verein sind.

Nein, dieser HSV ist lange kein strahlender Traditionsklub mehr, sondern ein Selbstbedienungsladen im Format eines Recyclinghofes. Ämter werden seit Jahren zur Selbsterfüllung missbraucht, Rückholaktionen werden zuerst groß gefeiert und am Ende in aller Regel verteufelt. Die Mitgliederversammlung gestern hat noch mal nachhaltig bewiesen, dass dieser HSV ohne eigenes Leitbild unterwegs ist. Oder wie erklärt man sich, dass zwei extra für die Wahl von Jens Meier gekommene Mannschaften am Ende entscheidend waren für den Ausgang der Wahl? Warum? Sie mussten unmittelbar vor Beginn der Wahl jeweils wegen eines Punktspiels die Kuppel verlassen – es waren angeblich „eingeplante“ 50 Stimmen. Das muss man sich einmal überlegen: Die Terminierung der Punktspiele dieser gerade einmal zwei Mannschaften in einem 79.000 Mitglieder umfassenden HSV haben am Ende die Wahl DES OBERSTEN VERTRETERS DES HSV entschieden.

Geht es amateurhafter?

Nein. Und dennoch ist das heute erst einmal scheißegal. Von heute an muss der Blick endlich wieder auf das gerichtet werden, wovon er niemals hätte abschweifen dürfen: Auf den Fußball. Denn hier steckt die größte Gefahr. Der Misserfolg ist das Produkt jahrelanger Selbsterfüllungen von selbstverliebten und Ämter haschenden Protagonisten – und ein Ende ist noch nicht in Sicht. Oder doch? Bernd Hoffmann kündigte an, die entscheidenden Positionen (Vorstandsvorsitzender, Vorstand Sport, Trainer, Scoutingabteilung, U21-Trainer Nachwuchschef etc.) auf den Prüfstand stellen zu wollen. Und ja, das muss passieren. Es ist sogar längst überfällig. Der Sonnabend hat verdeutlicht, was die Tabelle den verantwortlichen schon seit Monaten sagen will: So kann es nicht weitergehen! Womit ich beim stärksten Argument des Siegerteams um Bernd Hoffmann angekommen bin. Es war eines, für das sie nichts machen mussten, außer alles laufen lassen und abwarten. Denn die einzige Konstante dieses HSV ist der anhaltende Misserfolg auf dem Platz als Folge der Führungsschwäche in den Gremien.

Und ich hoffe, dass Bernd Hoffmann und sein Team ihren Worten Taten folgen lassen und darauf achten, dass der Fokus in den nächsten paar Wochen nicht weiter vom Wesentlichen abschweift. „Am nächsten Sonnabend schon sind wir mit 4000 oder 5000 Hamburgern in Bremen und mischen ordentlich auf“, hatte Hoffmann gestern bei seiner Rede angekündigt, und damit nichts anderes gemeint, als dass jetzt endlich wieder Zeit für bedingungslosen Zusammenhalt ist.

Aber dieser HSV wäre nicht der HSV, wenn nicht auch diese Ankündigungen konterkariert werden. Denn so schön Hoffmanns nachvollziehbare Ankündigung auch ist, jetzt alle entscheidenden Posten auf den Prüfstand stellen zu wollen, sie konterkariert die Fokussierung aufs Wesentliche leider. Ein Beispiel? Heute schon reagieren meine Kollegen heute mit Umfragen wie „Wen würde Sie beim HSV feuern?“. Und in den nächsten Wochen wird sich alles wieder darum drehen, wer von wem gekickt wird. Bei Jens Todt war das unabhängig vom Wahlausgang geplant, hieß und heißt es. Passiert ist bislang dennoch nichts, außer dass am ersten Tag, der Ruhe bringen sollte, die Spekulation nur lauter werden. Heute wird schon über den immer wiederkehrenden Namen Schmadtke spekuliert anstatt das kleine Wunder Klassenerhalt ins Zentrum allen Handelns zu stellen.

Politik steht bei diesem HSV leider über dem Sport. Und niemand lernt daraus. Deshalb scheitert man hier auch immer wieder. Und deshalb werden wir irgendwann hunderte von Amtsträgern haben, die allesamt rückblickend behaupten (und wahrscheinlich sogar glauben) werden, eigentlich alles richtig gemacht haben. Sie werden tatsächlich erst dann aufhören, rumzudröhnen und alle (inklusive sich selbst) zu belügen, wenn es beim HSV nichts mehr zu (holen) regieren gibt. Und zumindest hier ist der HSV weiter voll auf Kurs...

Erst wenn der Erste merkt, dass ohne die Basis nichts mehr läuft – womit ich wieder auf die Fans zu sprechen komme – könnte sich wirklich nachhaltig etwas ändern. Man bedenke: Nur 7000 der insgesamt 79.000 Mitglieder treiben beim HSV aktiv Sport – der Rest ist als fördernde Mitglieder dabei, die meisten davon im Supporters Club. Und das sind sie de facto weniger wegen der Dartabteilung denn wegen des Profifußballs. Sie zu verlieren, das kann sich niemand erlauben.

Zeit, aufeinander zuzugehen anstatt sich zu distanzieren

Und so sehr die Verantwortlichen hier in der Bringschuld sind, so erstaunlich positiv finde ich folgenden Offenen Brief von einem Fan an die Fans. „Es bringt gar nichts, wenn wir Fronten schaffen in Momenten, in denen wir den Zusammenhalt am nötigsten haben. Es bringt einfach nichts, über Schuld und Nichtschuld zu debattieren, während wir sehenden Auges in den Abgrund rasseln“, sagt Michael Kröger, den die meisten HSV-Fans (auch aus früheren Livesendungen im Blog) als „Elvis“ kennen. Auch Kröger macht sich große Sorgen, dass der HSV hier am Ende mehr als nur die Erstligazugehörigkeit verliert. Und er will der aktuellen Entwicklung entgegenwirken. Er macht den ersten Schritt – als Fan der Fans richtet er sich an seinesgleichen und macht den ersten Schritt. Aber lest selbst:

 

Schande! Es ist echt eine Schande, was aus unserem Verein geworden ist, liebe Leute! „Du bist der Stolz der Stadt“ hallte es auch am Sonnabend von den Rängen. Und um ehrlich zu sein, wäre in diesem Fall wohl die Vergangenheitsform etwas angebrachter gewesen. So enttäuschte nicht nur das Ergebnis, sondern eigentlich fast alles auf und neben dem Platz. Klar, die letzten 20 Minuten war es ein kämpferisches und packendes Spiel, in dem wir mit etwas Glück sogar noch einen Punkt geholt hätten...

Aber ein Spiel hat eben mehr als zwanzig Minuten. Und das, was die Personen im Trikot des HSV gezeigt haben, war über weite Strecken nicht nur gewohnt harmlos, sondern fehlerbehaftet, ängstlich und absolut nicht bundesligareif! Zu dieser Atmosphäre haben sicher auch die tollen „Fans“ aus der Spruchband-Abteilung beigetragen - ein Bärendienst!

Anstatt die Spieler entweder lautstark zu unterstützen oder sie zumindest kopfschüttelnd beim „Arbeiten“ zu verfolgen, macht man ihnen zusätzlich Angst, schürt Unsicherheiten und treibt den Keil ein Stück tiefer ins blutende Fleisch. Die Szenen, die sich direkt nach dem Abpfiff abspielten, waren nicht nur dämlich und vereinsschädigend, leider waren sie auch absehbar, fast verständlich. Der Frust ist unbeschreiblich, die Ohnmacht ist extrem und ja, der Verein hat über Jahre eine ganze Menge dafür getan, um es sich mit den Fans nach und nach zu verscherzen.  

Trotzdem: Gewalt darf zu keinem Zeitpunkt eine Option sein, vollkommen egal wann, gegen wen oder warum!

Die Minions (Ordner) können nichts für das Versagen der Spieler. Und auch wenn die Polizei gerne als Feindbild herangezogen wird, auch sie ist in diesem Fall unschuldig. Die armen Polizeihunde erst recht. Die Verantwortlichen des Vereins sind es, die aus dem „Stolz der Stadt“ über Jahre die „Lachnummer des Landes“ gemacht haben, die sich beim Abstieg einen neuen Verein oder einen Alterswohnsitz suchen werden und die, abgesehen vom Eintrag in den Geschichtsbüchern, dieses Kapitel recht schnell vergessen werden können.

 

 

Aber: WIR sind da anders, WIR werden bleiben! Ganz egal in welcher Liga, ganz egal wer die Raute auf dem Trikot tragen wird. WIR sind nämlich der HSV! Und damit sind WIR in der verdammten Pflicht, unseren Verein auch zu repräsentieren. Unser Verhalten wird es sein, welches das mediale Bild des HSV in den nächsten Wochen zunehmend bestimmen wird.

Wollen wir denn wirklich so ehrlos absteigen, „Spieler durch die Stadt jagen“, den Platz stürmen. nur um uns für fünf Minuten groß zu fühlen und dabei glauben, dass nur die anderen schuld an all dem sind? Wollen wir das?

Ich persönlich will das nicht! Ich will weiter „Fan der Fans“ sein. Ich will - auch wenn es ganz bitter kommt! - gemeinsam hinter dem HSV stehen, trotzdem auf ein Wunder hoffen und egal was passiert, wieder sagen können: „Wir sind der Stolz der Stadt“.Lasst uns ein Zeichen setzen, kein „Alle Mann an Bord“ und auch kein „Jetzt erst recht“, nur eines, das diesem Verein, dieser Stadt und diesen Fans endlich gerecht wird: Lasst uns hanseatisch sein! Wenn wir absteigen, ist es mehr als verdient. Wenn wir die Liga halten, ist das wie immer geil und wir scheißen auf „verdient“ oder „unverdient“!

Aber wenn wir bis dahin alle unsere Werte verraten, unsere Gemeinschaft zerstören und uns für unsere Farben schämen müssen, dann zerstören wir, was kein Söldner je zerstören kann oder wird. Das darf nicht passieren, dafür kämpfen WIR!

Also, egal was kommt: Lasst uns hanseatisch sein!

NUR der HSV – FAN der FANS!

In diesem Sinne, bis morgen. Da wird wieder doppelt trainert. Öffentlich um 10 und um 15.30 Uhr am Volkspark. Bis dahin im Anhang noch ein Video der Künstler und HSV-Fans Elvis und Pape!

Scholle

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