Kill Bill

26. Dezember 2019

Am 12.05.2018 um 17:37 Uhr war es vorbei. Im Alter von 54 Jahren, 261 Tagen, 36 Minuten und 6 Sekunden ging der Bundesliga-Dino von uns. Klar, er litt schon lange an schwerer Inkompetenz und chronischer Erfolgslosigkeit. Aber wird ein Abschied zur Realität, trifft es die Familie immer mitten ins Herz.

Und so stand der HSV nun da. Das Alleinstellungsmerkmal abgeraucht wie die Pyros beim finalen Akt der Ragnarök. Vor sich das Mysterium 2. Liga und die Herkulesaufgabe sich neu erfinden zu müssen. Im Rucksack den Hohn und Spott von ganz Fußballdeutschland, das selten einen Abstieg mit vergleichbarer Genugtuung begleitet hatte und obendrauf geknäbelt mit dem Wissen, bei Anhängern und Banken praktisch jeden Kredit verspielt zu haben.

Dem Fußballgott jedoch, war dies noch nicht genug. Er hatte noch eine Rechnung offen, war der HSV zuvor schließlich zweimal in unverschämter Weise dem Todt von der Relegations- Schippe gesprungen. Und so zog er mit einem brillanten Huntstreich nochmals alle Register.

Zuerst legte er den Nebel einer abstrusen Abstiegseuphorie über den Verein und schenkte ihm einen Märchenerzähler für den Neustart. Als man diese Finte in Hamburg meinte bemerkt zu haben, erhöhte er um einen Trainerlehrling und rundete es mit einem kollektiven Systemversagen ab. Ein perfider wie perfekter Plan, der am ersten Jahrestag der Apokalypse mit einem krachenden 1:4 in Paderborn seine Vollendung fand. Erneut stand man vor den Trümmern seines Schaffens.

Noch an diesem Tag im Mai 2019 erschien dem HSV eine grauenvolle Gestalt. Das Geschöpf war behangen mit einer langen, schweren Eisenkette, an denen rostige Knöpfe und leere Geldkassetten hingen. Es war die Kette seiner Geschichte, die Kette, die es selbst geschmiedet hatte, und die es nun auf immer tragen musste.

Zuerst erschrak der HSV fürchterlich bei diesem Anblick, doch dann erkannte er, wen er da vor sich hatte: „Aber wie konnte das passieren? Warum nur? Du hast doch eine große Tradition, hast ein tolles Stadion, viele treue Fans und erfolgreich warst du auch: 4x Deutscher Meister, 2x Pokalsieger, lange erste Liga!“

„Ein Traditionsverein, ja klar, aber Tradition schießt nun mal keine Tore! Auch du besitzt eine solche Kette. Und deine ist schon um einiges länger! Du sollst noch eine allerletzte Gelegenheit bekommen, mein schreckliches Schicksal nicht zu teilen. Nutze sie sinnvoll!“ Und mit dieser Aufforderung verschwand der rote Teufel aus Kaiserslautern auch schon wieder.

Aber es war nicht der einzige Geist, der den HSV an jenem Tag im Mai aufsuchte. Drei weitere sollten folgen.

Der Geist der vergangenen Erfolge

Der erste war der Geist der vergangenen Erfolge. Er nahm den HSV mit auf eine Reise in die guten alten Zeiten. Als Startpunkt wählte er den 25.05.1983 an dem die HSV-Familie gerade ausgelassen den Gewinn des Europapokals der Landesmeister feierte. Nebenbei fuhren die Männer um Horst Hrubesch und Lars Bastrup noch den sechsten Meistertitel ein, bevor sie durch neue "Stars" der Marke Wolfram Wuttke und Dieter Schatzschneider ersetzt wurden.

Der nächste Halt führte in das Jahr 1987. Legende Ernst Happel sorgte mit dem Pokalsieg in Berlin für die letzte erwähnenswerte Änderung des Briefkopfes und übergab anschließend sein Erbe an den Vater aller Welttrainer, Josip Skoplar.

Halleluja!

Sie reisten weiter zu all den Spielen und Momenten, die ein HSV-Fan mit positiven Erinnerungen verbindet. Zum 4:4 CL-Spektakel gegen Juventus Turin, genauso wie zum Sieg gegen den FC Bayern im Schneetreiben der Allianz-Arena. Sie nahmen nochmals Teil am epischen "Tomorrow my Friend" -Drama von Karlsruhe und der 2017er Rückrunden-Siebter- Nichtabstiegsparty.

Auch zum 25.05.2014 reiste der Geist mit dem HSV und Sie beobachteten wie 31 Jahre nach dem größten Erfolg der Vereinsgeschichte, vor den Augen von 9702 Mitgliedern, mit großer Mehrheit die Ausgliederung beschlossen wurde. Sie lauschten den Worten von Tabula-Klara, der die glorreich durchdeklinierte Verpflichtung von Babynator Dietmar Beiersdorfer verkündete und dem Versprechen von HSVPlus-Initiator Otto Rieckhoff, dass der Verein in drei Jahren wieder um die Teilnahme am Europapokal spielen solle.

Die Reise endete am 10.03.2019 in den Katakomben des Millerntor-Stadions, wo die Mannschaft den fröhlichen Song vom Derbysieger intonierte und Sankt Holtby diese "Wir sind wieder wer!" Botschaft kurz darauf via Twitter in die ganze Welt trug.

Ach, welch' tolle Erlebnisse es doch waren!

Hier aber verabschiedete sich der erste Geist. Mit den Worten: "Im Erfolg macht man die größten Fehler!" ließ er den einst so stolzen HSV zurück.

Der Geist der laufenden Saison

Als nächstes erschien der Geist der laufenden Saison und erklärte, dass es für jedes Jahr einen Geist wie ihn gab. Er führte den HSV in alle Stadien der 2.Liga und betrachtete mit ihm die Vorstände, Sportdirektoren, Trainer und Spieler. Sie blickten nach Wiesbaden und Bielefeld genauso wie nach Kiel und Sandhausen. Ja, sogar im fernen Aue guckte man vorbei. Überall sahen Sie, wie Tag und Nacht hart daran gearbeitet wurde, das Beste für Verein und Mannschaft zu erreichen, ohne das eigene Ego über den gemeinsamen Erfolg zu stellen.

Sie schauten bei den Clubs in Osnabrück, Heidenheim und Regensburg vorbei, beobachten wie es das Highlight der Saison für Sie war, gegen den "großen" HSV spielen zu dürfen und ihm womöglich sogar ein Bein zu stellen. Der HSV wurde Zeuge, was man mit Leidenschaft, Respekt und klugen Entscheidungen trotz bescheidener Mittel Jahr für Jahr auf die Beine zu stellen im Stande ist.

Und obwohl diese Vereine niemals die Möglichkeiten des HSV haben würden, trugen die Fans das Trikot Ihrer Farben mit Überzeugung und neideten den Geldsäcken aus Hamburg nicht ihren Platz, sondern freuten sich, selbst nach einer Niederlage, Teil dieser 2.Liga sein zu dürfen.

Mit dem Ratschlag: "Es ist nicht genug zu wissen, man muss auch anwenden. Es ist nicht genug zu wollen, man muss auch tun!", begleitete der zweite Geist den HSV zurück in den Volkspark, wo auch schon Nr. 3 auf seinen Auftritt wartete.

Der Geist der ungewissen Zukunft

Dieser war der Geist der ungewissen Zukunft und sprach kein einziges Wort. Er führte den HSV lediglich zu einem kleinen Sportzentrum, wo gerade der HFC Falke gegen die 3te Mannschaft des Niendorfer TSV spielte.

Auf der Tribüne angekommen hörten Sie, wie sich ein paar Leute angeregt über Bernd Hoffmann unterhielten, und dabei sprachen sie nicht gerade freundlich. Dann erblickten Sie eine Gruppe Besucher, die ein rosa HSV-Trikot trugen und so gesellten Sie sich zu einem "Westermann" und einem "Diekmeier". Weiterhin wortlos deutete der dritte Geist nun auf eine am Boden liegende Ausgabe der SportBILD, die soeben ein "Hunt" mit gleichgültiger Geste fallengelassen hatte.

Der HSV beugte sich zu der Zeitschrift herunter, um zu erspähen, welch' Schlagzeile auf der Titelseite prangte. Was er zu lesen bekam, ließ Ihn ungläubig zurück: "Insolvenz-Hammer! HSV vor Zwangsabstieg. Nie wieder Bundesliga-Fußball im Volkspark?"

Genau in diesen Augenblick hinein, brach der dritte Geist sein Schweigen und mahnte mit freundlicher, aber dennoch fester Stimme: "Wenn du wirklich die Absicht hast, dich zu erneuern, tue es jeden Tag!". Dann verschwand auch er.

Als der HSV am nächsten Morgen seine Arbeit antrat, war er wie ausgewechselt. Er schwor, ab sofort ein neuer HSV zu sein. Diesmal aber wirklich, wirklich. Kein Dino-Gehabe mehr, kein Perlen-Gesang vor jedem Heimspiel.

„Nicht immer muss es enden wie im Zauberlehrling. Manchmal gelingt es tatsächlich die Geister, die man rief, wieder loszuwerden. Das sollte man nie vergessen!“ rief man sich zu.

Auf der Stelle begann man damit, jeden Stein zweimal umzudrehen. Mit cleveren Veränderungen und smarten Transfers sollte die Wohlfühloase dauerhaft vom Volkspark ferngehalten werden. So wurde ein weiteres Mal der Sportvorstand getauscht, zum 19ten Mal innerhalb von 10 Jahren der richtige Trainer für das Brett Hamburg begeistert und anschließend die alten, satten Söldner durch neue, hungrige Spieler ersetzt.

Heureka!

Von diesem Tag betonte fortan jeder HSVer, dass er verstanden hatte. Nie, nie wieder werde man die Fehler der Vergangenheit wiederholen. Stattdessen gelobten alle, ausschließlich nach dem Leistungsprinzip zu handeln. Mit Konsequenz, Geduld und einer gesunden Prise Demut soll das Unmögliche schon in naher Zukunft Realität werden:

Das Wunder vom neuem HSV - dem ganz normalen Fußballclub.

Und die Moral von der Geschichte?

Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg und je weniger Ansprüche man hat, desto grösser ist die Chance, glücklich zu sein.

In diesem Sinne wünsche ich der gesamten Community ein frohes Fest im Kreise der Familie und starke Nerven für ein sicherlich turbulentes HSV-Jahr 2020!

 

Euer Kill Bill

 

PS: Wer hinter uns Zweiter wird, ist mir egal!

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