Tobias Escher

13. Juni 2020

Die vergangenen Wochen waren beim Hamburger SV nicht nur aufgrund der einmaligen Gesamtkonstellation einzigartig - Stichwort: Aufstiegskampf in Zeiten einer Pandemie! Auch die Taktikanalysen waren stets etwas Besonderes. Das lag vor allem an Hamburgs Gegnern: Arminia Bielefeld, der VfB Stuttgart, Wehen-Wiesbaden und Holstein Kiel gehören aus taktischer Sicht zu den außergewöhnlichen Teams der Liga. Gegen Dynamo Dresden traf der HSV nach längerer Zeit mal wieder auf einen „typischen“ Zweitliga-Gegner. Das bedeutete: Die Hamburger mussten eine kompakte 4-4-2-Mauer knacken.

HSV-Gegner Dynamo ist nicht zu beneiden: Nachdem das Gesundheitsamt Dresden die gesamte Mannschaft aufgrund von positiven Corona-Fällen in Quarantäne geschickt hat, muss das Team nun im Drei-Tage-Rhythmus die verpassten Spiele nachholen. Trainer Markus Kauczinski tauschte im Vergleich zum 1:1 gegen Fürth gleich auf sechs Positionen. Hamburgs Coach Dieter Hecking wechselte nach dem enttäuschenden 3:3 gegen Kiel nur auf einer Position. Martin Harnik begann auf der rechten Seite für Bakary Jatta.

Harnik als zweiter Stürmer

Dieser Wechsel veränderte die Statik des Hamburger Spiels. Harnik interpretierte seine Rolle auf Rechtsaußen nicht als klassischer Außenstürmer. Stattdessen zog er praktisch permanent in die Mitte. Sobald der Hamburger SV das finale Drittel erreichte, orientierte sich Harnik sofort in den Strafraum. Er agierte praktisch als zweiter Stürmer neben Joel Pohjanpalo.

Dass Harnik verhältnismäßig oft in Richtung Strafraum kommen konnte, war in erster Linie dem Gegner geschuldet. Dresden machte keinerlei Anstalten, Ballbesitz zu sammeln oder den Gegner früh unter Druck setzen zu wollen. Sie setzten auf die klassische Außenseiter-Taktik: In einem 4-4-1-1 bauten sie sich an der Mittellinie auf. Die Stürmer setzten nicht etwa Hamburgs Verteidiger unter Druck, sondern waren einzig darauf bedacht, den Passweg zu Sechser Adrian Fein zu schließen. Sobald der HSV nur leichten Raumgewinn über die Flügel erzielte, zog sich die Dresdner Mannschaft geschlossen an den eigenen Strafraum zurück. Die Außenstürmer ließen sich dabei weit fallen, sodass Dresden teilweise in einem 6-2-1-1 am eigenen Strafraum verharrte.

Taktische Aufstellung Dynamo Dresden - HSV
Taktische Aufstellung Dynamo Dresden - HSV

 

Die Aufgabe für den HSV war bereits früh am Abend klar: Sie mussten in einem zähen Spiel einen defensiven Gegner knacken. Dass die Partie derart zäh vonstattenging, lag nicht zuletzt an den Hamburgern, die wenig Tempo in ihren Aktionen zeigten. Offenbar war das Motto, dem Gegner keine Chance für schnelle Konter zu ermöglichen. Der HSV stand äußerst stabil: Aaron Hunt bewegte sich bei eigenem Ballbesitz selten nach vorne, bei vielen Gelegenheiten wurde der sichere Pass auf die Flügel bevorzugt. Hier biss sich der HSV nicht selten an aufopferungsvoll verschiebenden Dresdnern fest.

Nur selten gelang es dem HSV, die kompakten Viererketten des Gegners zu überwinden. Am ehesten gelang dies mit Attacken über die Flügel. Die linke Seite zeigte sich gewohnt kombinationsstark, das Zusammenspiel zwischen Tim Leibold und Sonny Kittel bleibt ein Pluspunkt. Leibold wurde durch das weite Zurückfallen des gegnerischen Außenverteidigers in seinen Offensivaktionen behindert. Überraschend offensiv trat Rechtsverteidiger Joshua Vagnoman auf: Er rückte auf der rechten Seite bis an die gegnerische Abwehrkette vor. Er gab auf dieser Seite Breite, sobald Harnik ins Zentrum aufrückte. Dies war in der Tat der wichtigste taktische Kniff im Hamburger Spiel: Chancen gab es in den ersten sechzig Minuten nur dann, wenn Harnik sich im Strafraum freistehlen konnte. Doch selbst größte Möglichkeiten ließ der Ex-Bremer ungenutzt.

Neuer Schwung mit Jatta

Viel gescholten wurde Dieter Hecking zuletzt für seine Wechsel. In der Tat ist dies ein sensibles Thema. Hecking wechselt meist positionsbezogen, verändert durch seine Wechsel aber dennoch die Struktur der Mannschaft. Das kann die Mannschaft destabilisieren, gerade wenn das Konstrukt bis zu dem Zeitpunkt gut harmoniert hat. 

Gegen Dresden taten die Wechsel dem Hamburger Spiel merklich gut. Mit Jatta (61., für Kittel) kam auf Linksaußen ein schnellerer Spielertyp in die Elf. Das veränderte das Spiel über die linke Seite: Kittel bevorzugt, den Ball in den Fuß zu bekommen und zunächst Tempo herauszunehmen. Jatta hingegen überzeugt dann, wenn er mit Tempo sofort durchstarten kann. Gerade nach der Einwechslung von Louis Schaub (69., für David Kinsombi) bekam Jatta häufiger solche Bälle zugespielt. Der HSV hatte über die linke Seite mehr Tempo im Angriff und kam häufiger direkt hinter die Abwehr, bevor diese sich zu einer Sechs-Mann-Kette aufplustern konnte.

Dass die Hamburger in der Schlussviertelstunde stärker zum Zug kamen, lag auch am Gegner. Dynamos Spieler waren nach den Strapazen der vergangenen Wochen merklich müde. Sie schoben nun nur noch langsam heraus. Der HSV konnte den Gegner in dessen Hälfte festnageln – und nach einer Flanke die lange ersehnte Führung erzielen. Diese letztlich über die Zeit zu bringen, verursachte gegen einen blassen Gegner keine Schwierigkeiten.

Ein Schritt zurück, zwei nach vorn?

Es fällt schwer, nach dieser Partie ein Fazit zu ziehen. Hat der HSV einen Schritt nach vorne gemacht? Immerhin gelang der ersehnte Pflichtsieg im Kampf um den Aufstieg. Die Leistung wirft indes noch einige Fragen auf. In vielen Momenten war das HSV-Aufbauspiel zu langsam und zu behäbig. Selbst die langen Diagonalbälle von Flügel zu Flügel wurden seltener und weniger dynamisch gespielt als zuletzt. Oder war genau das letzten Endes die Strategie? Dass die Dresdner in der Schlussviertelstunde abbauen würden, war angesichts ihres Mammutprogramms zu erwarten. 

So oder so: Gegen den VfL Osnabrück erwartet der Hamburger SV wieder die Aufgabe, einen kompakten Abwehrblock zu knacken. Die Osnabrücker versprühen allerdings im Konterspiel eine wesentlich größere Gefahr. Mal schauen, wie sich das Ballbesitzspiel der Hamburger in der kommenden Woche schlägt.

 

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