Tobias Escher

6. Dezember 2020

Nach der 0:1-Niederlage gegen Hannover 96 kann der Hamburger SV hinter jedes Kästchen der Kategorie „Pleiten, Pech und Pannen“ ein Kreuz setzen. Der Gegner macht mit seiner ersten Chance ein Tor? Check! Ein eigener Spieler nimmt sich selbst nach nicht einmal einer halben Stunde mit einer Gelb-Roten Karte aus dem Spiel? Check! Die Stürmer vergeben beste Chancen? Check, Check und Triple-Check. Die Hamburger verloren damit das dritte Spiel in Folge – und das, obwohl der Gegner sich schwach präsentierte.

Nach zuletzt eher mauen Ergebnissen musste Trainer Daniel Thioune reagieren. Er veränderte (mal wieder) die taktische Formation seiner Mannschaft. Der HSV begann mit einer Vierer-Abwehrkette in einem 4-2-3-1-System. Moritz Heyer musste erstmals in dieser Saison von der Bank beginnen. Stephan Ambrosius und Toni Leistner bildeten die Innenverteidigung, Amadou Onana und Klaus Gjasula agierten als Doppelsechs davor.

Geduldiger Aufbau gegen tiefe Hannoveraner

Nicht nur beim HSV aus Hamburg kriselte es vor der Partie, sondern auch beim HSV aus Hannover. 96 hatte die vergangenen vier Partien nicht gewinnen können. Auswärts waren die Hannoveraner sogar gänzlich punktlos geblieben. Trainer Kenan Kocak suchte angesichts dieser desostraten Ausgangslage das Heil in der Defensive. Im Hamburger Volksparkstadion sollte seine Mannschaft in einem 4-4-1-1 kompakt verteidigen. Die zwei Viererketten bauten sich direkt hinter der Mittellinie auf.

Stabilität war das Stichwort bei den Niedersachsen. Vor allem auf den Außen gab Kocak seinen Spielern einfache Defensivaufgaben mit auf den Weg: Linksaußen Patrick Twumasi sollte Hamburgs Rechtsverteidiger Josha Vagnoman decken, Rechtsaußen Kingsley Schindler verfolgte Linksverteidiger Tim Leibold. Wenn die Hamburger Außenverteidiger vorrückten, ließen sich die Hannoveraner Außenstürmer fallen. So kam es, dass 96 teilweise mit fünf oder sechs Spielern in der letzten Linie verteidigte; nämlich immer dann, wenn Vagnoman oder Leibold weit nach vorne rückten. Da Vagnoman etwas höher agierte als Leibold, positionierte sich Twumasi fast durchgehend auf Höhe der Abwehrkette.

Wenn die Außenstürmer des Gegners derart tief agieren, ist das eigentlich ein Vorteil für die angreifende Mannschaft. Zwar werden die Räume auf dem Flügel blockiert. Dafür tun sich aber Lücken im Mittelfeld auf: Hannover stand häufig in einem improvisierten 5-3-2 oder gar 6-2-2, der HSV hätte eine Überzahl im Mittefeld aufbauen können. Hätte. Denn in der ersten halben Stunde funktionierte das so gut wie nie.

Der HSV agierte aus einem geordneten, klassischen 4-2-3-1-Aufbau: Die beiden Außenverteidiger schoben hoch, ein Sechser ließ sich fallen, die Außenstürmer rückten in die Mitte. Zu selten kam der HSV dabei in die Räume, die Hannover preisgab. Das lag zum einen an der Positionierung der Außenstürmer: Sonny Kittel und vor allem Khaled Narey fanden zu selten die freien Räume in der gegnerischen Formation. Zum anderen war das Aufbauspiel der Hamburger zu langsam, um Hannover wirklich ins Laufen zu bringen. Die Innenverteidiger schoben sich den Ball hin und her, ohne wirklichen Raumgewinn zu erzielen. Nach 25 Minuten hatten die Hamburger einen Ballbesitzwert von fast 75%.

Taktische Aufstellung HSV - Hannover
Taktische Aufstellung HSV - Hannover

 

Dudziak findet die Räume

Blöd nur, dass der HSV zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Rückschritte verkraften mussten: Hendrick Weydandt hatte nach einem Standard das 0:1 erzielt (13.). Und Kittel war nach einer zweiten Gelben Karte des Feldes verwiesen worden (25.). Der HSV musste nunmehr in Unterzahl einen Rückstand aufholen.

Er stellte sich dabei gar nicht so schlecht an. Kittels Herausstellung hatte einen positiven Effekt: Jeremy Dudziak wechselte auf die linke Seite. Er interpretierte die Rolle des Linksaußen relativ frei: Immer wieder ließ er sich fallen oder wechselt den Flügel. Das tat dem Hamburger Spiel gut: Dudziak fand die Lücken, die Hannovers Außenstürmer hinterließen, sobald sie die Außenverteidiger verfolgten. Der HSV konnte wieder jene Flügelangriffe fahren, die unter Thioune das beste Angriffsmittel sind: Sie lockten den Gegner auf eine Seite, verlagerten das Spiel und spielten direkt an der Seitenlinie entlang. Die anschließenden Flanken kamen aber entweder nicht an – oder Simon Terodde scheiterte an Keeper Michael Esser.

Schlussoffensive ohne Wirkung

Von der 25. bis 75. Minute kontrollierte der Hamburger SV auf diese Art das Spiel, zwischenzeitlich kamen sie immer wieder zu Chancen. Hannover hatte zwischendurch auf ein 5-3-2-System umgestellt, ohne dabei die Defensive zu stabilisieren. Sie bekamen vor allem in den Halbräumen keinen Zugriff.

In der Schlussviertelstunde blies Thioune zur Attacke. Mit Aaron Hunt (75.) wechselte er einen Spieler fürs Mittelfeld ein, mit Manuel Wintzheimer (76.), Bobby Wood (85.) und Lukas Hinterseer (88.) weitere Stürmer. Die Abwehr wurde nach und nach aufgelöst. Während der HSV zunächst weiterhin die spielerische Lösung suchte, bolzten sie den Ball zum Schluss nur noch nach vorne. Sie scheiterten an der starken Hannoveraner Innenverteidigung und am noch stärkeren Keeper. Esser hielt, was auf sein Tor kam – und der HSV kassierte die dritte Niederlage in Folge.

Es war von allen bisherigen Niederlagen die unnötigste. Trotz frühem Gegentreffer und trotz Unterzahl sammelte der HSV bis zum Schluss über 60% Ballbesitz und spielte sich mehrere Chancen heraus. Diese Chancen müssen allerdings sitzen, sonst kann selbst ein komplett passiv auftretender Gegner drei Punkte aus dem Hamburger Volkspark stehlen.

Und das macht am meisten Sorgen für die kommenden Wochen: Der VfL Bochum (1:3) und der FC Heidenheim (2:3) benötigten einen sorgsam ausgetüftelten Plan sowie ein engagiertes Pressing, um den HSV zu schlagen. Hannover verteidigte über weite Strecken passiv, bot eigentlich genügend Lücken an – und der HSV verlor trotzdem. Wenn der HSV wieder anfängt sich selbst zu schlagen, wird die Saison enden wie in den vergangenen zwei Jahren.

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