Marcus Scholz

28. März 2020

Bernd Hoffmann ist nach 2011 zum zweiten Mal als Vorstandsvorsitzender des HSV freigestellt worden. Um 15.19 Uhr, also genau 4:19 Stunden nach beginn  der außerordentlichen Aufsichtsratssitzung hatten die sieben Kontrolleure nacheinander den Campus neben dem Volksparkstadion verlassen. Im Gepäck ein internes Beben, mit dem allerdings in Teilen - gerechnet worden war. In Teilen aber auch nicht. Denn neben der etwattete Freistellung von Hoffmann traten auch seine größten Befürworter, Aufsichtsratsboss Max Arnold Köttgen und e.V.-Vizepräsident Thomas Schulz per sofort von ihren Ämtern im Kontrollrat zurück. „Die mehrheitlich gegen mein Votum getroffene Entscheidung des Aufsichtsrates, sich vom Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann zu trennen, bedeutet für mich, dass ich der HSV Fußball AG weder als Aufsichtsratsvorsitzender noch als normales Mitglied des Kontrollgremiums weiter zur Verfügung stehe“, so Köttgen in seinem vom HSV veröffentlichten Statement. „Diese Entscheidung treffe ich schweren Herzens, halte sie aber für notwendig.“

Köttgen hatte bis zuletzt die Meinung vertreten, dass der Vorstand inmitten der Corona-Krise durch personelle Veränderungen zusätzlich geschwächt würde und einen Rausschmiss Hoffmanns ausgeschlossen. Bei der heutigen Aufsichtsratsversammlung waren er und Schulz die letzten Befürworter Hoffmanns - und letztlich in der Abstimmung unterlegen. Köttgens Posten als Chef des nun fünfköpfigen Kontrollgremiums übernimmt vorerst e-.V.-Präsident Marcell Jansen. Der ließ sich heute über vereinseigene Homepage zitieren: „Wir können uns in dieser schwersten Krisenzeit des gesamten Profifußballs keine Energieverluste und belastete Vertrauensverhältnisse leisten“, so Jansen,  „der volle Fokus muss auf die HSV-Interessen gerichtet sein.“ Problem hierbei: In den nächsten Tagen wird das sicher noch nicht funktionieren, wenn meine Infos stimmen. Denn demnach wird noch einiges über die internen Aufsichtsratsverhältnisse und Hoffmanns Wirken zutage befördert werden.

 Köttgen und Schulz gehen ebenso wie Hoffmann

Unter anderem soll der Rücktritt von Köttgen auch auf den Umstand zurückzuführen sein, dass er als Aufsichtsratsboss in den letzten Monaten sehr wohl von Boldt und Wettstein über die internen Missstände informiert worden war. Am Mittwoch, als die Vorstände das in den Einzelgesprächen den drei Aufsichtsräten Köttgen, Peters und Jansen gegenüber noch einmal betonten, sollen Jansen und Aufsichtsratsvize Andreas Peters das erste Mal davon erfahren haben. Eine Handhabung seitens Köttgen, die ihm ein Teil des Aufsichtsrates heute noch einmal kritisch vorhielt. Auch diese Rats-internen Vorwürfe bestärkten Köttgen demnach in seiner Konsequenz, zurückzutreten. Wobei man insgesamt festhalten muss, dass Köttgen in all seinem Wirken stets ein hohes Maß an Konsequenz hatte. Zuletzt hatte er wiederholt betont, dass er die internen Streitigkeiten der Coronakrise unterordnen würde und darauf setzen wollte, mit allen drei Vorständen weiterzumachen. Und daran hielt er bis zuletzt fest. Ein Zeichen für seine Überzeugung: Es waren schon Aufhebungsverträge für die Vorstände geschrieben worden, die mit der heutigen Entscheidung nicht zufrieden sein würden. Letztlich aber war er es, der unzufrieden mit der Entscheidung sein Amt niederlegte.

 

Was aber bedeutet die heutige Entscheidung für den HSV? Fakt ist: Der heutige Tag gibt absolut keinen Anlass zum Jubel. Auch nicht bei den Hoffmann-Gegnern. Das muss allen klar werden! Denn der aktuelle Streitfall zeigt, dass dieser HSV noch immer zu anfällig ist, um konstant Erfolg zu haben. Immer noch zu anfällig für einseitige Interessenlagerungen. In diesem Fall haben sich Fehler aus der Vergangenheit offenbar wiederholt und Hoffmann musste genau wegen der Verfehlungen sein Amt niederlegen, die ihn 2011 schon in seiner ersten Amtszeit als HSV-Vorstandsvorsitzender scheitern ließen. Wobei der scheidende HSV-Boss in einer Sache definitiv richtig lag, wie ich finde. Denn die Rahmendaten und Wirkungsbereiche des Vorstandsvorsitzenden müssen HSV-intern deutlich klarer definiert werden. Zudem muss der Aufsichtsrat seiner Kontrollfunktion nicht nur vierteljährlich sondern konstant nachkommen. Die Kontrolleure müssen sich davon lösen, den Vorstand auf Basis der Informationen vom Vorstand zu beurteilen und endlich mitbekommen, wie der HSV geführt wird. Nur so kann der Aufsichtsrat die Einhaltung der Wirkungsbereiche im Vorstand auch sicherstellen. Und nur so kann man vermeiden, dass die zwangsweise oft entstehenden Schnittmengen der Kompetenzbereiche letztlich dem Vorstandsboss nicht als Übergriffe ausgelegt werden können. Oder besser gesagt: Nur so können Kompetenzübergriffe schon im Keim erstickt werden und im Vornherein ausgeschlossen werden.

Volkspark-Beben als Chance für Neuanfang

Soll heißen: Hoffmanns Rauswurf und die Rücktritte von Köttgen und Schulz haben heute zweifelsfrei für ein Beben im Volkspark gesorgt. Aber eben für eines, das der HSV als die Chance verstehen und nutzen muss, um sich vor den Fehlern der älteren wie jüngeren Vergangenheit zu schützen. Der Aufsichtsrat steht unter der neuen Führung von Marcell Jansen jetzt vor der schwierigen Aufgabe, dem HSV in schwierigsten Zeiten der Coronakrise ein Gesicht und eine nachhaltige Führungskultur zu verschaffen. Das Schwierigste daran wird anfänglich sein, sich nicht zu sehr von den zuletzt immer wieder kolportierten Verschwörungstheorien einer feindlichen Kühne-Übernahme ablenken zu lassen. Denn die werden kommen, da können sich alle sicher sein.

 

Diese Gerüchte wurden in den letzten Tagen und Wochen immer wieder bewusst betont. Mit Wirkung. Denn so beginnt der HSV zwar heute wieder einmal neu - aber mit einer Hypothek, die er zunächst bewältigen muss. Denn Kühnes unverhohlene Vorstöße zuletzt haben viele HSVer in der Vermutung bestärkt, er würde sich die HSV-Führungsetage mit seinen Vertrauensleuten besetzen wollen. Eben das, was von den Hoffmann-Befürwortern in den letzten Tagen immer wieder als große Gefahr betont worden war und was niemand zu 100 Prozent ausschließen kann.

Nachfolger von Hoffmann wird gesucht

Ich werde oft gefragt, wer denn die Nachfolge von Hoffmann antreten könnte. Und ich kann es tatsächlich nicht beantworten. Ich kann aber sagen, dass Jansen diese Nachfolge als Vorstandsvorsitzender nicht antreten kann, ohne seine Kritiker in der Vermutung zu bestärken, genau das sei seine Motivation gewesen, Hoffmann loszuwerden. Vielmehr glaube ich, dass der HSV zunächst einmal interimsweise mit den beiden Vorständen Wettstein und Boldt weitermachen wird, um sich bei der Suche nach einem neuen Vorstandsboss ein wenig Zeit zu lassen.

Ebenso, wie es in nächster Zeit darum gehen wird, die frei gewordenen Aufsichtsratssitze neu besetzen. Und ich kann nur hoffen, dass sich der HSV bei diesen Neubesetzungen von dem ewigen „Stallgeruch“-Gefordere löst und zusieht, hier HSVer zu finden, die so unbefleckt wie nur irgendmöglich an die neue Aufgabe herangehen können. Vor allem aber wäre der Aufsichtsrat gut beraten, wenn er zunächst einmal eine interne Ordnung herstellt, der sich auch der vermeintlich neue strake Mann unterordnen muss. Von daher: Keine Zeit, auszuruhen. Es gibt mehr als genug zu tun für die Kontrolleure.

In diesem Sinne, bis morgen. Habt alle einen schönen, gesunden Sonnabendabend und denkt daran, heute Nacht die Uhr auf Sommerzeit umzustellen!

Scholle

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