Marcus Scholz

29. September 2018

„Es ist wirklich großartig, wie Mannschaft und Fans zusammengewachsen sind in den vergangenen Monaten. Wenn sie vor dem Derby kommen, um uns noch einmal zusätzlich zu pushen und zu unterstützen, dann freuen wir uns. So bekommen die Spieler noch einmal mit, wie wichtig dieses Spiel ist.“  

Christian Titz, HSV-Cheftrainer

Und deshalb ist heute nun doch öffentliches Training gewesen. Um 13.30 Uhr ging es am Volkspark auf dem Trainingsplatz zur Sache und die Fans trafen sich zuvor am Uwe-Seeler-Fuß, um gemeinsam zum Platz zu marschieren. Rund 3000 HSV-Anhänger machten den stimmungsvollen Auftakt von zwei Tagen, die es zweifellos auf allen Ebenen in sich haben werden. Ein vergleichbar brisanteres Derby aus sportlicher Sicht gab es in Hamburg seit dem letzten Aufeinandertreffen auf Erstligaebene im Jahr 2011 nicht mehr. Damals verlor der HSV unglücklich (um nicht unverdient zu sagen) mit 0:1 gegen den FC St. Pauli, der anschließend nichts mehr gewann und abstieg. Natürlich nur, um anschließende Derbys auszuschließen und dem HSV die Chance auf Revanche zu nehmen. Immerhin zählt sich der FC heute noch als amtierender Stadtmeister.

Aber im Ernst: Heute schon soll es rund gehen. Wie ich gehört habe, steht eine offizielle Verabredung rivalisierender Fangruppen ab 20 Uhr auf dem Hans-Albers-Platz an. In den letzten Jahren wiederum wurden solche Treffen immer wieder angekündigt, um die Polizei auf die falsche Fährte zu locken. Egal wie, das Ganze soll dem Vernehmen nach eh nur ein Vorgeschmack auf das werden, was da noch kommt. Beide Fanlager haben sich national wie international von Freundschaftsvereinen Unterstützung in Form von gewaltbereitete Anhängern geholt. Die wiederum habe größtenteils gar keine Karten für das Spiel sondern sind nur für die Kämpfe im Vorfeld des Spiels hier. Knapp 1000 Mann, gut 500 auf jeder Seite  - ziemlich krank, oder?!

Dabei ist das Spiel schon aus sportlicher Sicht brisant genug. Stadtmeister hin oder her - der morgige Gewinner ist es bis zum Rückspiel unwiderruflich. Und der Verlierer ist erst einmal der Depp. Wahrscheinlich jeder von Euch, die/der am Montag ins Büro kommt wird sich einer Frotzelei ausgesetzt sehen - oder selbst die anderen frotzeln können. „Der Druck ist hoch, das kann auch lähmen. Aber grundsätzlich weiß ich: Wir haben eine große Gier auf dieses Spiel! Und die Mannschaft weiß ganz genau, worum es geht“, verspricht Trainer Christian Titz - wahrscheinlich etwas zu viel. Denn Spieler, die aus den Niederlanden, Südkorea etc. kommen und diese Derbys noch nie mitgemacht haben, können das nicht kennen. Woher auch?

Deshalb bin ich auch überzeugt davon, dass morgen am Ende die Mannschaft die Nase vorn haben wird, die sich der Bedeutung dieses Derbys bewusster ist. Diese Mannschaft wird morgen die Meter mehr machen, die der Gegner nicht macht. Und wie wichtig Laufleistung ist, ist sicher allen klar. Und wenn man bedenkt, dass der HSV in dieser Saison bisher nur die (beiden) Spiele verloren hat, in denen man weniger als der Gegner gelaufen ist, dann sagt das schon etwas aus. Nicht alles, wie vielleicht einige meinen werden. Denn das Ballbesitz orientierte Spiel hat in Form einer gewissen Dominanz sehr die Folge, dass der Gegner mehr (hinterher)laufen muss. Beispiel: In der Ersten Liga haben nur drei Teams weniger Kilometer im Durchschnitt abgerissen als der FC Bayern. 

Dennoch, morgen im Derby werden tatsächlich die Mechanismen greifen, auf die man beim HSV schon vor der Saison hingewiesen hatte. Es wird ein Spiel im DFB-Pokal-Style. „Die anderen Gesetze“, wie sie sprichwörtlich immer im Zusammenhang mit Pokalspielen zitiert werden, gelten dennoch nicht. Das heißt, es darf hier auch ein Remis geben. Aber das will - mit Ausnahme der Polizei vielleicht - keiner. Beide Mannschaften werden zusehen, das Spiel für sich zu entscheiden. Der FC St. Pauli mit etwas defensiverer Gangart auf die 90 Minuten gesehen. Eben so, wie alle Gegner gegen den HSV gespielt haben und die allermeisten spielen werden. Und der HSV wird seinerseits versuchen, die jüngst gezeigte defensive Stabilität zu bestätigen (und bestenfalls weiter auszubauen) und trotzdem offensiv zu agieren. Also wieder mit zwei Sechsern vor der Abwehr, von denen sich einer immer auch gestalterisch mit einbringt.

Und dieser Spieler wird aus meiner Sicht entscheidend sein. Namentlich ist das Orel Mangala. Der vom VfB Stuttgart geliehene Mittelfeldspieler ist für mich die bisherige Konstante im HSV-Spiel, der wichtigste Mann. Leider ist er - wie Douglas Santos seinerseits in der Viererkette - oft allein auf weiter Flur. Aber eben extrem wichtig. Denn Mangala gewinnt nicht nur defensiv entscheidende Zweikämpfe und verhindert eine Überlastung der anfälligen Innenverteidigung, er bietet sich den spielschwachen Innenverteidigern immer auch als Lösung nach vorn an. Kurzum: Mangala ist eine Mischung aus Sechster und Zehner - mit defensiver Unterstützung von Vasilije Janjicic. Und wenn ich das heutige Abschlusstraining richtig interpretiert habe, wird das auch so bleiben.

Auffällig: Mangala hat nach Pollersbeck sowie den Verteidigern des HSV im Schnitt die meisten Ballkontakte. Das spiegelt gut wieder, was der HSV macht. Hinten sicher den Ball zirkulieren lassen und dann ins Mittelfeld kommen. Es spiegelt leider auch wieder, woran es noch hapert: Die Balance aus abgesichertem Ballbesitz und Chancen kreieren. Aber das wissen wir alle.

„Wenn Ihr alles gebt, sind wir da. Egal, was passiert“, versprach HSV-Capo Hendrik Köncke heute nach dem öffentlichen Abschlusstraining, das rund 3000 Anhänger heute zu einem Spektakel gemacht haben, der Mannschaft, bevor sich diese in die Kabine vberabschiedete. „Wir werden für Euch sterben“, so der Vorsänger der HSV-Ultras, während er sich demonstrativ aufs Herz klopften und unter dem Jubel der zuhörenden Anhänger hinzufügte: „Und jetzt holen wir uns den Derbysieg. Wir gewinnen dieses Derby…!“

Unter dem Applaus der Anhänger und begleitet von verschiedenen Schlachtgesängen zog die Mannschaft nach knapp 60 Minuten Training zurück in die Kabine. „Wer noch nicht wusste, was dieses Derby für die Stadt und die eigenen Anhänger bedeutet, der weiß es spätestens jetzt“, sagte Sportvorstand Ralf Becker, derv zwar selbst kein Hamburger ist - der aber längst angestachelt ist. Ob man der Mannschaft mit Stimmungsfilmen noch mal verdeutlichen müsse, worauf es am Sonntag ankommt? „Das weiß ich nicht. Aber ich glaube es nicht. Dieses Training hat es auch dem Letzten verdeutlicht. Andererseits ist es vielleicht auch gar nicht so verkehrt, wenn der eine oder andere auf dem Platz nicht so emotional ist, sondern in bestimmten Situationen cool bleiben kann. Die Mischung wird’s ausmachen.“

Und ich glaube, haargenau so ist es!

Bei aller Emotionalisierung - im ausverkauften Volksparkstadion werden immer auch kühl überlegte Aktionen gefragt sein. Und nehme ich die von mir erwartete Startelf, dann sind beim HSV ausreichend Spieler  dabei, die cool bleiben können: Pollersbeck - Sakai, Bates, van Drongelen, Santos - Janjicic, Mangala - Hwang, Hunt, Narey - Lasogga. Ehrlich gesagt ist nicht mal ein Hamburger in dieser Startelf. Also kein Spieler, der es von Kindesalter an miterlebt hat, was so ein Hamburger Derby ausmacht. David Bates hat solche Derby schon in Schottland mit den Glasgow Rangers gegen Celtic Glasgow gespielt und kennt die Dramatik. Mit Gotoku Sakai, Aaron Hunt sowie den international erfahrenen Hee-chan Hwang und Douglas Santos stehen erfahrene Spieler in den eigenen Reihen, die sich von hitziger Atmosphäre eher nicht mehr zu Übersprunghandlungen verleiten lassen dürften.

Und dann gibt es ja auch noch die jungen, schnell zu emotionalisierenden, aber geografisch  eher Derby-Fremden: Denn sowohl der gebürtige Bayer Pollersbeck, der Niederländer van Drongelen, der aus Stuttgart geliehene Mangala als auch der Schweizer Janjicic werden ein Spiel spielen, das besondere Vorzeichen hat - aber sie persönlich sicher nicht so einfängt, wie es das bei Fiete Arp geschafft hat. Der gerade mal 18 Jahre junge Angreifer hatte sich zu der Dummheit hinreißen lassen, einen Anti-FC-St.-Pauli-Sticker als Avatar bei Instagram zu posten - und diesen schnell wieder vom Netz genommen. Aber es reichte für einige Moralapostel, den jungen Angreifer dafür medial und öffentlichkeitswirksam zu kritisieren.

Richtig ist, dass es in der aktuell etwas überhitzten Atmosphäre wichtig ist, dass Spieler die Ruhe bewahren und beide Vereine alles unternehmen, um Gewalt zu vermeiden. Andererseits erinnere ich nur einmal an einen gewissen Herrn Tim Wiese, der vor Nordderbys hetzte, was das Zeug hielt und dafür sogar noch von TV-Sendern und anderen Medien übertrieben gefeiert wurde. Da kann ich es einem Spieler wie Fiete Arp, dessen Herz seit Kindesalter am HSV hängt und der sich gegen einen Millionenvertrag beim FC Bayern entschieden hat, um beim HSV zu bleiben, nur bedingt übel nehmen. Er hat etwas Unüberlegtes gemacht - aber etwas menschlich nachvollziehbares. Denn Fiete Arp ist HSVer durch und durch. Und das wollte er demonstrieren. Nicht mehr - nicht weniger. Er wusste einfach nicht mehr wohin mit seiner Anspannung und hat das falsche Ventil gewählt. Und ganz ehrlich: Wer das verstehen will, der versteht das auch so…

Für die anderen, die eh nur auf Ärger aus sind, werden morgen mehrere Hundertschaften da sein, die zusammen mit Wasserwerfern sowie Pferde- und Hundestaffeln der Polizei dafür sorgen werden, dass die Unvernunft nicht Überhand nimmt. Sogar Polizeihubschrauber werden morgen im Einsatz sein. Und ich kann nur hoffen, dass das Umfeld dem Anlass gerecht wird und dieses Spiel zu einem Highlight in dieser Saison wird - in allen Belangen. Sportlich setze ich darauf, dass Trainer Titz die richtige Mischung aus Heißblut und Coolness sowie aus Risiko und defensiver Stabilität findet, damit der HSV seine nominelle Überlegenheit auch in einen Sieg umsetzt. In einen Derbysieg.

In diesem Sinne, bis morgen. Ich habe mal so richtig Bock auf dieses Stadtderby. Das 17. auf Bundesligaebene - andere Spiele zählen für mich nicht (mehr). Und ich hoffe, dass es zum einen den 9. HSV-Sieg (gegenüber 6 Remis und 2 Niederlagen) gibt und vor allem, dass es heute Nacht sowie natürlich morgen friedlich bleibt. Denn dieses Spiel hat nicht einen einzigen Verletzten verdient - weder auf noch neben dem Platz. Dafür aber umso mehr Freude und sportliche Rivalität Eben alles das, was ein echtes Fußballfest ausmacht…

Bis morgen. Auf ein Fest!

Scholle

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