Tobias Escher

30. November 2019

Der Hamburger SV trifft in dieser Saison zumeist auf massierte Defensivreihen. Kaum ein Wochenende vergeht, an dem der HSV nicht die kompakt stehenden Abwehrketten des Gegners knacken muss. Der VfL Osnabrück war eine angenehme Ausnahme: Sie stellten sich nicht hinten rein, sondern verteidigten aktiv nach vorne. Mit dieser Form der Gegenwehr war der HSV jedoch über weite Strecken der Partie überfordert.

Nachdem Trainer Dieter Hecking beim 2:1 gegen Dynamo Dresden mit einer Raute experimentiert hatte, kehrte er gegen Osnabrück zur Stammvariante zurück. Der HSV agierte aus einem 4-3-3-System. Die Mannschaft stellte sich aufgrund Verletzungen und Krankheiten fast von selbst auf. So kam statt dem verletzten Lukas Hinterseer erneut Bobby Wood im Sturmzentrum zum Einsatz, im Mittelfeld durfte Christoph Moritz neben Jeremy Dudziak ran.

Zunächst begann die Partie nach dem bekannten Muster: Der HSV ließ Ball und Gegner laufen. Osnabrück versuchte, mit einer mannorientierten Defensive das Mittelfeld der Hamburger aus dem Spiel zu nehmen. So nahm Osnabrücks Zehner Niklas Schmidt Sechser Adrian Fein in Manndeckung. Auch sonst agierten die Osnabrücker nah am Mann. Trainer Daniel Thioune hatte seine Mannschaft dazu in einer 3-4-1-2-Formation aufgestellt; jeder Verteidiger bekam einen Angreifer zugeteilt.

Der HSV bewies zunächst, dass er mit solch einer Defensive mittlerweile umzugehen weiß. Die Spieler rochierten viel, um ihre Gegenspieler aus den Positionen zu ziehen. Fein und vor allem Linksverteidiger Tim Leibold setzten zu Dribblings an, um in die Lücken der gegnerischen Formation zu stoßen. 

Auf den Flügeln war der HSV erneut asymmetrisch eingestellt: Auf links übernahmen Leibold und Sonny Kittel die Kreativarbeit, sie agierten tiefer. Martin Harnik stand auf der rechte Seite weiter vorne. Der gebürtige Hamburger startete häufig in den Strafraum. Dieses Wechselspiel führte in der Anfangsphase zu mehreren guten Chancen, Harnik scheiterte am Pfosten. Links aufbauen, rechts veredeln: So lautet das Rezept des HSV in dieser Saison.

 

Daniel Thioune peitscht den VfL nach vorne

VfL-Trainer Daniel Thioune war nicht zufrieden mit der Anfangsphase seiner Mannschaft. Selbst am Fernseher war seine durchdringende Stimme zu vernehmen: „Nach vorne! Vorwärtsverteidigen!“, schallte es über die Außen-Mikrophone. Eigentlich gehören seine Osnabrücker zu den aggressiveren Teams der Liga, sie bevorzugen ein hohes Pressing. Das war in der Anfangsphase nur zeitweise zu erahnen.

Erst nachdem Wood mit einem Fehlpass den überraschenden 1:0-Treffer von Schmidt aufgelegt hatte (37.), traute sich der VfL, seinen Stil durchzuziehen. Auf einmal schossen die Außenverteidiger im Pressing nach vorne, sie agierten nahezu auf einer Höhe mit den Stürmern. Osnabrück deckte nun nicht mehr die Gegenspieler, sondern stand vor ihnen. Im Aufbau stellte der VfL sämtliche Anspielstationen in einem enorm aggressiven 3-1-4-2 zu. Vorne liefen sie die Innenverteidiger so an, dass diese nach rechts passen mussten – also weg von der Hamburger Schokoladenseite auf links.

Der HSV war mit der Aggressivität des Gegner überfordert. Die Außenverteidiger standen zu weit vorne, um sich im Spielaufbau anspielbar zu machen. Auch das Mittelfeld war wenig präsent. Den Verteidigern blieb nur der lange Ball – ein aussichtsloses Unterfangen angesichts der Tatsache, dass Wood seinen Gegenspielern körperlich unterlegen war. Der US-Amerikaner will derzeit einfach nicht in die Ausrichtung passen. Die Anforderungen an einen HSV-Stürmer – sich ins Kombinationsspiel einfügen, Bälle halten und ablegen – erfüllt er nicht.

Taktische Aufstellung OSN-HSV

 

Hecking reagiert

So war es kein Wunder, dass Wood nach der Pause nicht aus der Kabine zurückgekehrt ist. Hecking konnte mit der Spielweise seiner Mannschaft nicht zufrieden sein. Leider brachten weder die Einwechslung von David Kinsombi (für Moritz) noch von Jairo Samperio (für Wood) eine sofortige Verbesserung. Der HSV blieb dem eigenen 4-3-3 treu, Harnik wechselte ins Sturmzentrum. Doch gegen das weiterhin aggressive Pressing der Osnabrücker fand der HSV keine Lösung.

Einzig in der kurzen Phase, als sich der VfL weiter zurückzog, überzeugte der HSV. Diese Ausgangslage liegt ihnen: Mit Geduld und plötzlichen Tempowechseln einen tief stehenden Gegner knacken. Dem HSV kam zugute, dass Osnabrücks Mittelfeld sich fast in den eigenen Strafraum drücken ließ, sobald der HSV länger die Kugel laufen ließ. Das verschaffte Kittel und Fein um den Strafraum Freiräume.

Gerade als der HSV dem Ausgleich nahekam, meldete sich Thioune wieder zu Wort. Lautstark forderte er seine Mannschaft auf, wieder höher zu stehen. Die Spieler hörten auf ihren Trainer: Osnabrück schob erneut im 3-1-4-2 weit in die Hamburger Hälfte. Sie zwangen den HSV zu langen Bällen. Gleichzeitig umspielte der VfL geschickt mit Rückpässen das Hamburger Pressing. Die Osnabrücker Stürmer konnten die langen Schläge von Torhüter Philipp Kühn wesentlich erfolgsstabiler festmachen als die HSV-Angreifer die langen Bälle ihrer Innenverteidiger-Kollegen.

Fazit

 

Am Ende gab es kein großes Aufbäumen mehr seitens des HSV. Man fügte sich in sein Schicksal: Osnabrück war die aggressivere Mannschaft, sie zwangen dem HSV die Passwege im Spielaufbau auf. Ihr Mut wurde belohnt. Der HSV fand gegen die körperbetonte Spielweise der Niedersachsen kein Mittel. So blieben die Punkte am Ende an der Bremer Brücke. 

Es bleibt nur zu hoffen, dass sich die kommenden HSV-Gegner kein Vorbild an den Osnabrückern nehmen. Denn so gut der HSV aktuell tiefstehende Abwehrketten des Gegners bespielen kann: Wenn der Gegner aggressiv und mutig den Spielaufbau stört, fehlen den Hamburger Spielern Mittel und Wege, dieses Pressing zu umspielen – und vielleicht auch einen Schuss Galligkeit, um die Körperlichkeit des Gegners zu kontern. Dass der kommende Gegner Heidenheim heißt, sollte bei den Hamburgern Alarmglocken schrillen lassen. Denn wenn die Mannschaft von Trainer Frank Schmidt eins beherrscht, ist es ein starkes Pressing.

FAQs

 
 

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