Marcus Scholz

26. August 2020

Marco Hagemann, der Kommentator von  bei „Servus TV“, sprach immer wieder von einem sehr kurzweiligen, temporeichen Spiel und schien begeistert. Es würde von beiden Teams bei den vorherrschenden 28 Grad im Schatten eine erstaunlich „hohe Intensität“ an den Tag gelegt. Und das mag auch gestimmt haben. Allerdings brauchte der HSV beim 2:3 gegen den VfB Stuttgart im Rahmen des Helden-Cup in Kufstein auch fast eine gesamte Halbzeit, um diese hohe Intensität auch ein wenig wirkungsvoll einzusetzen. Dann war es Neuzugang Simon Terodde, der gegen seinen Exklub VfB Stuttgart einen Konter über Josha Vagnoman und Bakery Jatta aus kurzer Distanz mit links einnetzte (43.). Ein schön schneller Konter, wie ihn Trainer Daniel Thioune nur zu gern gesehen haben wird.

Allemal lieber als den Rest der ersten Halbzeit. Denn die war durchsetzt von Ballverlusten, Stellungsfehlern und unnötigen Fehlpässen. Der VfB Stuttgart musste gar nicht viel machen (und das taten sie auch nicht!), um in Führung zu gehen. Erst war es ein dummer Ballverlust im Mittelfeld, den die Stuttgarter mit einem schnellen Pass auf Angreifer Klimowicz (9.) zum 1:0 nutzten, ehe Gonzalez in der 32. Minute nach einem simplen, lang hinter die Abwehr geschlagenen Ball völlig frei vor Daniel Heuer-Fernandez auftauchte und zum 2:0 einnetzte. Interessant: Bis hierhin hatte der HSV statistisch mehr vom Spiel (65% Ballbesitz), die klareren Chancen aber hatte weiter der VfB. Wie so oft in den letzten zwei Jahren.

Trotzdem legte der VfB mit dem ebenso schönsten wie ärgerlichsten Treffer des Tages nach. Im Mittelfeld verlor der heute zu oft zu fahrig und am Ende auch müde wirkende Klaus Gjasula den Ball drei, vier Meter in der gegnerischen Hälfte. Gonzalez schnappte sich die Kugel, sah einmal kurz hoch und zog mit links ab – über den weit vor seinem Tor stehenden HSV-Keeper Daniel Heuer-Fernandes zum 3:0 (39.). Ein bitteres Gegentor für Heuer-Fernandes. Noch mehr aber für Gjasula, der den Ball fast willenlos im Mittelfeld verlor.

Gjasula und Co. legen dem VfB drei Treffer auf

Insgesamt wirkte Gjasula trotz einiger guter Diagonalpässe heute in vielen Szenen ungewohnt unkonzentriert. Ebenso wie die rechte Seite des HSV, die erst ab dem 0:3 aufzutauen schien. Denn da schickte Josha Vagnoman den durchstartenden Bakery Jatta lang, der legte quer in den Sechzehner und fand dort Simon Terodde, der bis auf eine Abseitssituation nach schönen Hunt-Solo (18.) kaum am Spiel teilnahm – dann  aber das machte, wozu er geholt wurde: er traf. Erstes Spiel – erstes Tor für den HSV. Und das zum 1:3-Anschlusstreffer (43.). Wobei, hätte Sonny Kittel in der Schlussminute der ersten Halbzeit einen Konter besser aufs Tor bekommen, das 2:3 war tatsächlich noch drin.

Fazit der ersten Hälfte: Der HSV hatte sich mal wieder selbst in Schwierigkeiten gebracht und bis in die Schlussminuten gewartet, bis man erkannte, dass man mit schnellem, geradlinigen Spiel durchaus gefährlich werden kann. Insbesondere die rechte Seite nutzte seine Möglichkeiten deutlich zu wenig. Vagnoman und Jatta sind wahrscheinlich zwei der schnelleren Spieler, dennoch nutzten sie ihr Tempo selten bis nie. Sie setzten sich gegenseitig genau einmal gut ein – und das war der Konter zum 1:3.

 

Apropos Tempo, das fehlte in der ersten Hälfte nicht nur nach vorn sondern auch bei langen Bällen der Stuttgarter. Die blutjunge, unerfahrene Innenverteidigung um Jonas David, der von Trainer Thioune immer wieder lautstark aufgefordert wurde, seine Mitspieler zu stellen, war gegen die Stuttgarter dreimal nicht auf der Höhe und kassierte drei Treffer, obgleich Heuer Fernandes einen starken Ball von Klimowicz noch parierte. Beim 0:3 kann man der Abwehr an sich nichts anlasten. Das Ding geht klar auf die Kappe von Gjasula und Heuer Fernandes.

Neben dem fehlenden Tempo im Spiel nach vorn und den Defensivlücken wurde deutlich, dass dieser Mannschaft hinten Erfahrung fehlt. Beide Innenverteidiger – Jonas David und meiner Meinung nach heute noch etwas mehr Stephan Ambrosius können in dieser Verfassung neben einem Führungsspieler in der Innenverteidigung bestehen und sich dabei noch entwickeln. Gegenseitig aber verleihen sie sich auch jetzt noch nicht die nötige Ruhe und Sicherheit, die das HSV-Spiel bedarf.

Defensive zeigt, dass Erfahrung nötig ist

Beide sind klassische Fälle für die Argumentation von Sportvorstand Jonas Boldt. Der sprach zuletzt bei  den Verpflichtungen von den „Säulen“ Terodde und Gjasula davon, dass diese Spieler nötig sein, um den Faktor Entwicklung hochzuhalten im Team. Auch deshalb soll definitiv noch eine Säule für die Innenverteidigung geholt werden, während man darauf hofft, dass der Brasilianer Ewerton nach seiner Tumor-Operation den Verletzungsherd der Vorsaison ausgeschaltet hat und im zweiten Anlauf zur „Säule“ in der Innenverteidigung wird. Auch wenn Thioune ihn heute noch schonte.

In der zweiten Halbzeit wurde das HSV-Spiel besser. Allein die Hereinnahme von Jeremy Dudziak scheint dem HSV-Spiel durchs Mittelfeld eine Nuance mehr Tempo zu geben – und macht es so gleich gefährlicher. Die Stuttgarter waren bei Gegenstößen zwar immer wieder mal gefährlich, aber wirklich viel passieret – abgesehen von einem Pfostentreffer von Al Ghaddioui. Wobei diese Chance passenderweise aus einem schnellen Gegenstoß entstand, nachdem auf der anderen Seite Bobby Wood das 3:3 auf dem Kopf hatte! Nach einem Eckball von Leibold kam der Ball über Umwege zum US-Amerikaner, der aber nicht genug Druck hinter seinen Versuch bekommt - Stuttgarts Keeper Bredlow hält den Ball sicher und leitete den Konter ein, der letztlich am Pfosten landete.

Zwischenzeitlich hatte Manuel Wintzheimer mit seinem zweiten Treffer im vierten Spiel den 2:3-Anschlusstreffer kassiert. Beim Abpraller nach Freistoß von Interimskapitän Khaled Narey reagierte Wintzheimer am schnellsten und zeigte, dass er hinter Terodde und Hinterseer weit vor Wood die Nummer drei im Angriff ist. Er wäre für mich zumindest ein Spieler als Backup, den man nicht zwingend neu besetzen muss. Auch wenn mir in der Spitze weiterhin der kleine, schnelle und wendige Typ Angreifer fehlt, der Konter spielen und über das Eins-gegen-eins gehen kann. Wintzheimer macht zumindest Tore.

 

Dennoch reichte es am Ende nicht zum Sieg – im Gegenteil: Der HSV schlug sich heute selbst. So sah es auch Tim Leibold, der heute in der Morgenpost noch einmal betont hatte, sich das Amt des Mannschaftskapitäns sehr gut vorstellen zu können: „Wir haben viel zu einfache Gegentore bekommen. Das ist vielleicht auch der Müdigkeit geschuldet, dass wir solche individuellen Fehler mit einstreuen. Das darf uns nicht passieren. Wenn du so viele individuelle Fehler machst, ist es natürlich gegen jeden Gegner schwer zu gewinnen.“

Ewerton kehrt zurück - Warten auf Neue

Ich würde noch weiter gehen und behaupten, dass es nicht nur schwer, sondern fast unmöglich ist. Auch deshalb  wird es Zeit, dass der HSV mit Ewerton (und eventuell Gideon Jung) wieder eigene Innenverteidiger-Alternativen hat, bis endlich die „Säule“ verpflichtet wurde. Denn dass der HSV diese Säule braucht, ist vielleicht die bislang eindeutigste Lehre dieser Vorbereitung. Aber er wissen will, wen ich holen würde, dem kann ich den Community-Talk von heute empfehlen, den ich Euch hier mit reingestellt habe.

In diesem Sinne, bis morgen. Da werde ich mich dann auch ein wenig mehr mit dem ganzen Drumherum beschäftigen und auf die heute kolportierten Zahlen für das laufende Geschäftsjahr eingehen, in dem der HSV laut Informationen von NDR 90,3 mit einem Minus von 30 Millionen Euro rechnen muss. Aber dazu morgen früh um 7.30 Uhr im Morning Call sowie am Abend im Blog dann mehr. Bis dahin Euch allen erst einmal einen richtig schönen Abend! Scholle

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