Marcus Scholz

11. Juli 2020

. Ich habe weder mir noch Euch zu viel versprochen, als ich Euch einen zweiten spannenden Blogbeitrag von Dr. Olaf Ringelband angekündigt hatte. Denn der hatte es wieder in sich. Genau genommen eine Menge Wahrheiten, die viele sehen, die aber kaum jemand nachvollziehbar erklären kann. Zumindest bei mir ist es so, dass Dr. Ringelband viele wichtige Dinge, über die in Hamburg seit vielen Jahren gesprochen – aber nach denen nicht gehandelt wird -  mit verständlichen Worten versachlicht. Zum Beispiel erweckt er den oft gehörten Satz, dass die Kultur von oben vorgelebt werden muss, mit einer Handlungsanleitung zum Leben:

„Um solche Prinzipien glaubhaft im Verein zu verankern, sind jedoch die Führungskräfte des Vereins gefordert. Diese müssen die Prinzipien vorleben und in den Verein tragen, mit den Mitarbeitern (damit meine ich nicht nur die Spieler) reden und aktiv an der Kulturveränderung arbeiten. Die Führungskräfte des Vereins müssen sich bewusst sein, dass sie aktiv gefordert sind, die Kultur des Vereins zu ändern, dass alles, was sie tun und sagen (oder auch gerade: was sie nicht tun) Einfluss auf die Kultur und damit die Leistung der Mannschaft hat. Das Verhalten der Führungskräfte vermittelt den Spielern bestimmte Erfahrungen, die ihre unbewussten Überzeugungen nachhaltig prägen.“

Und genau daran sind beim HSV in den letzten Jahren noch alle gescheitert. In der abgelaufenen Saison sogar der mit mehr als 37 Jahren Profifußballerfahrung ausgestattete und mit allen Wassern gewaschene Trainer Dieter Hecking. Immer wieder wurde die ausgestrahlte Ruhe von Hecking genannt, wenn HSV-Anhänger wider die gezeigten Leistungen argumentierten, weshalb der HSV am Ende trotzdem aufsteigt. Auch ich habe die Erfahrung und die Ruhe Heckings als großen Pluspunkt gesehen – weil es das war, was anders war als zuvor bei Hannes Wolf zum Beispiel. Wie in vielen Bereichen griff auch hier allein der Faktor „anders“ schon so stark, dass die HSV-Anhänger allein daraus ihre Hoffnung zogen.

Was genau ich meine? Ganz einfach: Wer von Euch hat in der Saison nicht einfach mal einen Spieler gefordert, der lange nicht auf dem Platz stand – allein, weil er eben noch nicht gezeigt hatte, dass er es nicht kann? Nehme ich unseren Community-Talk mit Euren Fragen mal als Grundlage, waren es die allermeisten. Dort wurde immer wieder Xavier Amaechi gefordert. Die Frage, wie weit der junge Engländer denn sei und wann man ihn endlich mal auf dem Platz sehen dürfe, wurde schon zum Running Gag bei uns. Denn weder auf dem Trainingsplatz noch sonstwo hatte Amaechi auch nur den Hauch eines Ansatzes geleifert, ihn zum Hoffnungsträger zu stilisieren. Abgesehen natürlich von dem Fakt, dass er eben noch nicht wie die allermeisten Kollegen auf dem Platz gezeigt hatte, dass es eben nicht reicht. Seit Jahren läuft das schon so. Wenn etwas nicht funktioniert, wird es beim HSV ausgetauscht. Vorstände, Spieler, Aufsichtsräte, Sponsoren und Trainer – beim HSV strebt man ob der anhaltenden Misserfolge immer nach dem anderen, weil es eben noch nicht gescheitert ist.

Beim HSV wird immer nach dem anderen gesucht

Ähnlich ist es jetzt bei Daniel Thioune. Er ist per se schon einmal ein gänzlich anderer Trainertyp als Hecking – Hoffnungsfaktor eins. Er will anderen Fußball spielen lassen – Hoffnungsfaktor zwei. Und er findet andere Rahmenbedingungen vor. Dass diese Rahmenbedingungen nominell sogar schlechter als zuletzt sind – scheißegal. Sie sind anders, allein das reicht schon, um es zu Hoffnungsfaktor Nummer drei zu erklären. Leider wird dabei zu oft und zu schnell vergessen, dass Thioune die gesprochenen Worte erst einmal faktisch untermauern muss. Erst wenn Änderungen wirklich zugelassen und eine niemals bzw. nur sehr schwer bemessbare Zeit wirken konnten, kann man seriös darüber sprechen, dass sich etwas verändert und es entsprechend des Effektes bewerten. Von daher sind Uwe Seelers Worte, man solle Thioune in Hamburg auch die notwendige Zeit gewähren, zwar ebenso phrasenschweinvedächtig wie letztlich vor allem auch korrekt.

Alles entscheidend dabei ist der Punkt, den Dr. Ringelband in seinem Blog gefordert hat: Alles ist am Ende nichts, wenn die geforderte  Neuorientierung nicht von oben mit allem Mut und aller Konsequenz vorgelebt wird vorgelebt wird. Soll heißen: Auch die Vorstände müssen sich bekennen und daran messen lassen, was von dem Gesagten letztlich umgesetzt wird. Schaffen sie es nicht, Thioune, von dem sie nach eigener Aussage inhaltlich zu 100 Prozent überzeugt sind, die nötigen Rahmenbedingungen zu stellen, um optimal zu wirken, sind sie gescheitert. Schaffen sie das, aber der neue Weg mit dem neuen Trainer scheitert auf lange Sicht – sind sie gescheitert. Auch deshalb fordern nicht wenige einen Austausch aller derer, die hier in den letzten Jahren mitgewirkt und mitgescheitert sind. Angefangen beim Vorstand bis hin zu den Spielern, wo insbesondere die Namen Jung, van Drongelen, und Aaron Hunt immer wieder genannt werden.

Die Bosse müssen mutiger werden

Etwas anderes machen zu wollen (egal wie ehrlich der Gedanke auch gemeint sein mag) heißt noch lange nicht, auch anders zu werden. Hier entscheidet sich alles über die Konsequenz, mit der die Verantwortlichen sich zu diesen Veränderungen bekennen. Zuletzt haben sich noch alle Vorstände früher oder später von der sportlichen Entwicklung distanziert, wenn ein Scheitern zu befürchten war. Hinter vorgehaltener Hand wurden Schuldzuweisungen lanciert, um die eigene Haut zu retten. Und natürlich sprach sich das herum. Es löste bestimmte Darstellungen und dadurch Stimmungen aus, die sich bis zu den Spielern trugen. Von daher wird es wichtig sein, dass sich diesmal Sportdirektor Michael Mutzel sowie die Vorstände Wettstein, Boldt und eventuell ja bald noch ein dritter, neuer Vorstand komplett mit der Idee identifizieren und sich ebenso wie der Trainer daran messen lassen.

 

Erst wenn die Verantwortlichen ihr berufliches Schicksal tatsächlich mit dem Erfolg ihres eigenen Vorgehens gleichsetzen, werden die Spieler in der Kabine und auf dem Platz ihren Vorgesetzten auch glauben und überzeugt von dem sein, was von oben proklamiert wird. Und erst dann entsteht die so oft geforderte „neue Kultur“ des HSV. Oder wie viele sagen: es könnte endlich eine neue, gesunde DNA entwickelt werden. Dazu gehört neben dem sportlichen immer auch die soziale Komponente. Wie stellt sich der Verein personell auf, welches Bild vermittelt er nach außen. Zuletzt wirkte der HSV dümmlich arrogant. Man berief sich auf alte Erfolge, um künstlich das Bild eines verunfallten Erstligisten aufrecht zu erhalten. Bis Thioune kam und genau das ansprach. Man müsse die Umstände annehmen, auf Augenhöhe zu den Gegnern kommen. Unabhängig davon, ob diese Sandhausen oder Hannover 96 heißen.

Aber wenn wir schon dabei sind, die neue Kultur zu beschrieben, müssen wir ehrlicherweise auch eine Sache aus der alten Saison  mitnehmen und loben: Den neuen Umgang mit Spielern. Jonas Boldt und Trainer Dieter Hecking waren hier prägend und bekamen mit der Causa Jatta einen Präzedenzfall vorgesetzt, den sie mit Bravour lösten. Sie bewiesen, dass sie Werte wie Loyalität beim HSV leben. Und dafür erhielten sie zurecht Lob. Und dass jetzt einige Leute kommen und behaupten, alles würde sich drehen, wenn letztlich doch herauskäme, dass Jatta eben nicht Jatta sondern Daffeh hieße und/oder bei seinem Alter getäuscht hätte – das ist gelinde gesagt absoluter Bullshit! Die einzig wichtige Erkenntnis in diesem Fall ist und bleibt der Umstand, dass der Verein bis zu dem Moment bedingungslos zu seinen Spielern steht, bis sich etwas anderes bewiesen hat. Und das ist das einzig richtige.

Im Fall Jatta beweist der HSV Klasse

Ich habe es damals wie heute geschrieben: Der Fall Jatta muss zwingend rational gesehen werden. Das heißt, dass Jatta eben auch jatta ist, bis lückenlos nachgewiesen wird, dass das eben nicht so ist. Und das ist bis heute nicht der Fall. Es muss in diesem Fall klar unterschieden werden zwischen dem ausreichenden Tatverdacht, der die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen zwingt, und der Berichterstattung darüber. Die Staatsanwaltschaft ermittelt bei ausreichendem Verdachtsmoment. Das ist auch gut so. Dass die HSV-Fans hier öffentlich dazu auffordern, diese Ermittlungen einzustellen, ist emotional nachvollziehbar und aus Sicht des Zusammenhaltes ehrenwert – aber rational betrachtet nicht korrekt. Anders sehe ich derweil die Vorwürfe in Richtung Presse. Denn die Berichterstattung über Jatta war und ist verantwortungslos. Die BILD-Gruppe hat hier einen Menschen öffentlich geschädigt, ohne den faktischen Beweis zu haben. Und diesen Fehler wird nichts rückgängig geschweige denn wiedergutmachen machen können. Auch nicht, wenn sich in ferner Zukunft irgendwann doch herausstellt, dass bei Jattas Einreisepapieren etwas nicht stimmt. Denn erst zu dem Zeitpunkt hätte die Berichterstattung einsetzen dürfen. Dabei bleibe ich.

Fazit: Die HSV-Führung hat einmal an der richtigen Stelle Mut bewiesen und dafür zurecht viel Lob erhalten. Und so muss es jetzt weitergehen. Dieser HSV muss Mut beweisen, wie Dr. Ringelband zurecht einfordert. Hierbei müssen Fehler zugestanden werden. Und ich bin mir ganz sicher, dass das hier in Hamburg machbar ist, wenn sie im Sinne der Sache gemacht wurden und man daraus die richtigen Schlüsse zieht. Alles natürlich immer unter der Prämisse der Leistungskultur. Ich jedenfalls gestehe einem Josha Vagnoman oder anderen Talenten sehr gern Fehler zu, wenn ich dabei immer erkennen kann, dass sie für den HSV alles geben und sich dabei vorwärts entwickeln. Oder wie Dr. Ringelband schrieb:

„Wenn man fordert, dass Spieler Verantwortung übernehmen und Risiken eingehen, darf man die Spieler, die den Mund aufmachen und den Mut zeigen, Fehler zu machen, nicht bestrafen. Denn so lernen die Spieler schnell, lieber nicht zu viel Verantwortung zu übernehmen und Fehler zu vermeiden.“ Stimmt. Und ganz nebenbei fördert dieses Zugeständnis den Gemeinschaftsgedanken. Es verbindet. Vor allem auch die Fans und das gesamte Umfeld mit der Mannschaft. Welche Kräfte sich aus einer derart nachhaltigen Verbindung entwickeln können, wissen wir alle. Ich halte es hier mit Thioune, der seine Handlungsmaxime wie folgt beschrieb: „Weniger labern, mehr machen“ Genau das müssen wir den Verantwortlichen zugestehen, wenn wir von ihnen jetzt den Mut einfordern, Dinge nachhaltig zu verändern. Ich glaube, dass genau das übrigens die „neue Kultur“ ist, nach der alle streben. Ich zumindest. Übrigens auch mein Freund Elvis, von dem ich Euch an dieser Stelle noch einen echt starken, neuen Song reinstelle.

 

In diesem Sinne, bis morgen! Scholle

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